Das zweite Gleis. Helmut Lauschke
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Gottes Tisch in der Zelle – Lehrter Straße 3
von Eberhard Bethge: “Eines Tages bittet einer (Lindemann) um das Heilige Abendmahl. Es hatte sich herumgesprochen, dass ich Geistlicher bin. Schon früher, als meine Zellentür noch nicht offenstand, hatte mir ein jüdischer Kalfaktor beim Essensempfang einen Kassiber zugesteckt. Einer, der das Todesurteil erwartete, bat um das Sakrament. Man suchte Anträge zu stellen; aber niemand wagte, eine Entscheidung zu treffen, oder der Bittzettel verschwand. Kurz, es gelang nicht. Nun aber ist der Bittende selber ein Kalfaktor. Es ist streng verboten, dass sich mehrere Häftlinge in einer Zelle aufhalten. Aber Kalfaktoren finden vielleicht einen hinreichenden Grund. Er ist Sozialdemokrat und hatte während der schrecklichen Verhörzeit dreimal in diesem Gebäude versucht, sich das Leben zu nehmen. Nun bittet er um die Kommunion und drängt, dass wir es wagen sollen.
Doch, wie kommen wir zu Brot und Wein? Auf unserem Flur liegt als Gefangener der Pater Rösch. Auch er arbeitet an der Lösung dieser Frage wie wir. Ein treuer Wächter findet sich; der bringt ihm aus der Pfarrei in der Stadt die Oblaten. Wenn wir nachmittags zum Spaziergang auf den runden Hof geführt werden, überholt der Pater mit eiligen Schritten – das wird immer wieder verboten – die Reihe der Gehenden und spricht im Flüsterton schnell mit seinen Pfarrkindern, wer wohl das Sakrament begehrt. Dann bittet er uns, Kassiber zu vermitteln: die schriftliche Beichte. Und des Morgens, wenn er unbemerkt seine Messe gelesen hat, tragen wir die geweihte Hostie in die angegebene Zelle. Seine Gemeinde wächst und wächst. Es ist selbstverständlich, dass er mir von seinen Oblaten gibt, als sich unsere Abendmahlsgemeinde bildet.
Auch zum Weine kommen wir. Ernst v. Harnack, zum Tode verurteilt, wird verlegt. >Verlegen< sagt man ihm und uns, die wir ihm die Sachen zusammensuchen helfen und heruntertragen. Man gibt sich Mühe, in der quälenden Stunde des Abschieds das zu glauben. Wie alle in dem ungleichen Kampf um das Leben hatte auch er die begehrlichen Wächter mit diesem und jenem, was seine Frau herantragen konnte, bestochen. Dadurch konnte er wohl manche vorübergehende Erleichterung erfahren, aber doch nichts verhindern. So findet sich bei ihm eine Flasche Wein, und ehe sich die Wache mit dem Besitz des Toten eine unwürdige Szene machen kann, nehme ich sie für meine und des Paters Zwecke. Sie wird uns lange dienen.
Durch die allnächtlichen Fliegerangriffe kommt man sogar zu einigen Kerzen. Ein Holzkreuz ohne Ständer ist vorhanden. Die Bibel liegt auf dem numerierten, geflickten Handtuch, das als Altardecke dienen muss. Endlich ist der armselige, graue Tisch an der Zellenwand zum wahrhaftigen Tisch des Herrn geworden. Der leidende Gott vereinigt sich mit uns und unserem Leib, greifbar und gegenwärtig und tröstend.
Alles muss schnell gehen. Wir hatten gefürchtet, die Angst vor Entdeckung würde alle Sammlung und den würdigen Empfang empfindlich stören. Doch das Gegenteil tritt ein. Die überlieferten Worte, die alte Handlung werden in dieser Wirklichkeit neu und voll Gewalt. Das war die erste Kommunion.
Nun kommen die Tage, da die näherrückenden Fronten und die täglichen Angriffe die Anspannung in den Zellen furchtbar steigern. Exekutionen oder nicht? Befreiung oder Liquidierung? Die Wachen scheiden sich in solche, die es für richtig halten, schärfer gegen ihre Opfer vorzugehen, und solche, die von den zukünftigen Befreiten etwas erwarten, und endlich solche, deren Frömmigkeit an dem, was sie da sehen, wiedererwacht. Es gibt Gerüchte. So heißt es, zu Ostern würden wir uns im Keller einen Abendmahlsgottesdienst halten können. Aber die Angst bei den Verantwortlichen erreicht jetzt erst ihren Höhepunkt. So muss es bei unserer Heimlichkeit bleiben.
Doch nun ist es schwieriger als ehedem. Was soll man für einen Grund angeben, wenn zwei Häftlinge in der Zelle hinter verschlossener Tür gefunden werden? Wir müssen die Stunde abpassen, in der die gutgesinnte Wachablösung kommt. Dann knien wir vor unserem grauen Wandtisch. Hinter der Bibel stehen jetzt ein paar Zweige der blühenden gelben Forsythie. Draußen hören wir den gleichmäßigen Schritt des Postens. Er beobachtet, ob die Kontrolle schon in unserem Flügel unterwegs ist. Ich teile das Sakrament aus. Die Kommunikanten sind zum Tode verurteilt. Der eine (5teltzer) wird die Freiheit in dieser Welt wiedersehen, der andere nicht mehr (Justus Perels). Jetzt wissen wir davon noch nichts.”
Wo Seine Zeugen sterben, ist Sein Reich.
Am 10. November 1943 wurden vier Lübecker Geistliche – die drei katholischen Kapläne Johannes Prassek (*1911 in Hamburg), Hermann Lange (*1912 zu Leer in Ostfriesland), Eduard Müller (*1911 in Neumünster) und der evangelisch-lutherische Pastor Karl Friedrich Stellbrink (*1894 in Münster) in Hamburg durch das Fallbeil hingerichtet. Sie hatten den Brand von Lübeck von der Kanzel als Gottesgericht bezeichnet. Als Johannes Prassek das Todesurteil vernommen hatte, trug er in sein Neues Testament die Worte ein: ‘Der Name des Herrn sei gelobt! Heute wurde ich zum Tode verurteilt.’
Hermann Lange schrieb am 11. Juli 1943 aus dem Hamburger Gefängnis: “Ich persönlich bin ganz ruhig und sehe fest dem Kommenden entgegen. Wenn man wirklich die ganze Hingabe an den Willen Gottes vollzogen hat, dann gibt das eine wunderbare Ruhe und das Bewusstsein unbedingter Geborgenheit. […] Menschen sind doch nur Werkzeuge in Gottes Hand. Wenn Gott also meinen Tod will – es geschehe sein Wille. Für mich ist dann eben das Leben in diesem Jammertal beendet, und es nimmt dasjenige seinen Anfang, von dem der Apostel sagt: >Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr hat es gehört, in keines Menschen Herz ist es gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben.<”
Eduard Müller schrieb im April 1942 aus dem Hamburger Gefängnis: “In dieser Fastenzeit möge er uns die Gnade geben, dass wir wenigstens etwas verstehen von dem Geheimnis des Kreuzes, damit auch wir uns rühmen im Kreuz unseres Herrn Jesus Christus wie ein heiliger Paulus. Wenn esuns Menschen von heute schwer fällt, unser Leid zu tragen, unser Kreuz auf uns zu nehmen, das der Herr uns schickt, so liegt doch der Grund darin, dass uns der Sinn des Kreuzes und Leides verlorengegangen ist. Das alles ist für uns bloße Theorie geworden; in der Praxis machen wir nur zu schnell Einschränkungen. […] Ich habe früher immer wieder mich ergreifen lassen von den Helden unserer heiligen Kirche, von ihrer Opferbereitschaft und vollkommenen Hingabe an Christus. Heute beginne ich erst, ihre Größe zu ahnen, und stehe voller Bewunderung vor ihrem Heroismus, der durch nichts übertroffen wird! Wie weit sind wir doch von einer solchen Haltung entfernt! Und nun nimmt uns unser Herr und Meister in Seine harte Schule; jetzt lässt Er uns ein klein wenig spüren, was es heißt: Christusnachfolge!”
Karl Friedrich Stellbrink schrieb aus dem Hamburger Gefängnis vor dem Urteilsspruch: “Nicht grübeln! – glauben! … Wem Zeit ist wie Ewigkeit und Ewigkeit wie Zeit, der ist befreit von allem Leid.”Nach dem Urteilsspruch: “O Ewigkeit, du schöne, mein Herz an dich gewöhne, mein Heim ist nicht in dieser Zeit. […] In Deiner Hand steht meine Zeit, lass Du mich nur Barmherzigkeit vor Deinem Throne finden. Er hat noch niemals was versehn in Seinem Regiment. Nein, was Er tut und lässt geschehn, das nimmt ein gutes End’. Wie schön muss es doch sein, wenn die Tore der Ewigkeit sich öffnen!”
Der Fall Stettin
Am 13. November 1944, um 16 Uhr, wurden im Zuchthaus zu Halle durch Fallbeil hingerichtet: Der 50-jährige Provikar der Diözese Innsbruck, Prälat Dr. Carl Lampert, der 47-jährige Oblatenpater Friedrich Lorenz und der 36-jährige Kaplan Herbert Simoleit. Seit Jahren hatten die drei Priester aus verschiedenen Gegenden Deutschlands in Stettin als Priester gewirkt. Sie wurden im Februar 1943 im Zuge einer Gestapo-Aktion gegen den mecklenburgisch-pommerschen