Wolke 8 ... oder Plädoyer für die Liebe. Monika Kunze

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Wolke 8 ... oder Plädoyer für die Liebe - Monika Kunze

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Erkennungsmerkmal für die lange Zeit, die seit damals vergangen war, trug die Landschaft selbst. Wie hatte sie sich doch verändert!

      Als sie sich mit Jean vor langer Zeit an diesem Ort getroffen hatte, gab es hier nur ein riesiges Loch, aus dem die Lausitzer Braunkohle gekratzt wurde. Wer hätte es denn damals auch glauben sollen, dass es hier jemals einen See geben könnte? Sie, die junge Frau aus der DDR und er, der junge Mann aus Marseille, jedenfalls nicht.

      In all den Jahren war sie nur ein einziges Mal hier gewesen. Das musste in der Zeit gewesen sein, als man gerade begonnen hatte, den See zu fluten.

      Staunend und auch ein bisschen erwartungsvoll hatte sie ganz allein an dem noch nicht einmal richtig verfestigten Ufer (dessen Betreten eigentlich verboten war) gestanden wie einst mit Jean am Tagebaurand. Sie hatte sich umgeschaut und tief in sich hinein gelauscht. Aber nichts hatte sich in ihrem Inneren geregt. So jedenfalls hatte sie es sich selbst eingeredet. Heute wusste sie, dass sie sich damals etwas vorgemacht hatte. Aber diese uralte Sehnsucht schien ihr zu nichts nütze zu sein, sie würde sie nur wieder durcheinanderbringen. Ob Freunde, die Familie, Lehrer und spätere Kollegen: alle hatten ihr suggeriert, dass ihr tiefes Gefühl nur die unsinnige Schwärmerei eines jungen Mädchens sei. Bis sie irgendwann selbst davon überzeugt gewesen war.

      Nach dieser Einsicht wollte sie sich keine Schwäche mehr erlauben, denn seit jenem Tag befürchtete sie nicht mehr, dass sie vergeblich warten würde. Sie wusste es - oder glaubte es wenigstens zu wissen.

      So war sie damals nach Hause gegangen und hatte sich unter der heißen Dusche ihren tiefen Schmerz, ihre Hoffnung und wohl auch ihre Sehnsucht endgültig abgespült.

      Danach hatte es Anne nicht mehr über sich gebracht, zum See fahren.

      Natürlich hatte sie aus den Medien und aus Erzählungen ihrer Freunde und Arbeitskollegen erfahren, dass der See, der nun die einstigen Mondlandschaft ersetzte, von Jahr zu Jahr schöner geworden war.

      Aber dass er eines Tages so schön werden würde wie er sich ihr jetzt zeigte, das hätte sie niemals für möglich gehalten. Sie nicht und die meisten Menschen, die sie kannte, wohl auch nicht.

      Und Jean? Wäre vielleicht alles anders gekommen, wenn sie einander mehr vertraut hätten?

      Anne musste schlucken. Mit Wucht drängte eine Frage aus ihrem tiefsten Inneren an die Oberfläche: Wie hatte sie es zulassen können, dass die schmerzlichen Erinnerungen sie von diesem so traumhaften Platz ferngehalten haben? All die Jahre!

      Kühles Wasser umspülte ihre Füße. Leichtes Plätschern drang an ihr Ohr und dann plötzlich schnatterte laut ein Vogel. War es ein Erpel, der von irgendwo her nach seiner Liebsten rief?

      Wie sehr wünschte sie sich jetzt, dass Jean angeschwommen käme, prustend aus dem Wasser stiege und sich schüttelte. Wie gern hätte sie sich in seine Arme geworfen.

      Heute musste sie sich noch gedulden. Wer weiß, was der morgige Tag bringen würde?

      Doch warum sollte sie sich um die Zukunft Sorgen machen? Das hatte sie sich doch schon vor Jahren abgewöhnt, weil sie gemerkt hatte, dass es sich im Jetzt und Hier unbeschwerter leben ließ.

      Mit geschlossenen Augen genoss sie die Wärme des ausklingenden Sommertages. Alle Geräusche, ganz gleich ob sie von den Booten, von den Bäumen und Sträuchern, von den Vögeln oder einfach nur von anderen Badegästen kamen, schienen in weite Ferne gerückt zu sein. Würziger Duft nach Kiefern und nach Meer lag in der Luft. Nach Meer? Sie war wohl allmählich in so einen Zustand zwischen schlafen und wachen geglitten, bei dem sie Traum und Realität nicht mehr unterscheiden konnte?

      Doch das Rot hinter ihren Lidern war real, so real, dass es mit einem Mal zu brennen begann. Träge öffnete sie die Augen und musste blinzeln. Es war genau der Moment, als sich der Himmel über dem Horizont blutrot färbte und sich im Wasser spiegelte. Was für ein Schauspiel!

      Unter die Freude über diesen schönen Augenblick mischte sich sofort Ärger. Die Kamera! Sie lag im Rucksack – und der befand sich im Auto. Mist!

      Aber so schnell wie der Ärger gekommen war, verflog er auch wieder. Heute war sowieso nicht der rechte Tag zum Arbeiten.

      Langsam ließ sie sich zurück gleiten in den warmen Sand, vom See her wehte eine leichte Brise.

      Wieder wünschte sie sich Jean an ihre Seite, seine Hände auf ihrer Haut, seinen Mund, der ihr eine Haarsträhne aus der Stirn pustete!

      Was hatte er damals gesagt, als sie eng umschlungen am Tagebaurand gestanden und sie ihn gefragt hatte, wann er wiederkäme?

      „Wenn aus dieser Mondlandschaft ...“

      Nein, irgendetwas in ihr sträubte sich nach wie vor dagegen, die Erinnerung an seine vollständige Antwort zuzulassen. Du meine Güte, meldete sich der Verstand, was soll denn das? Würde es denn weniger weh tun, wenn sie ihre Erinnerungen immer weiter in die hinterste Ecke ihres Bewusstsein verbannte?

      Viel zu lange und viel zu oft hatte sie das in den zurückliegenden Jahren getan!

      Genützt hatte es offenbar gar nichts. Na, also. Sollte sie nicht inzwischen erwachsen genug sein, um zu wissen, dass der Verstand gegen so ein großes und echtes Gefühl sowieso nichts auszurichten vermag?

      Sie spürte, wie ihr Puls schneller wurde. Sie hatte diesen Franzosen wohl nie so richtig vergessen können, nicht einmal in den Jahren, als sie mit Hartmut verheiratet gewesen war.

      Anne schaute auf die Datumsanzeige ihrer Armbanduhr: 13. Juli 1995. Morgen also, morgen würde der Vierzehnte sein, der 14. Juli, der französische Nationalfeiertag.

      An jenem denkwürdigen Tag hatte ihr Jean einstmals einen Heiratsantrag gemacht.

      Ihr wurde flau im Magen, anscheinend waren dort gerade Tausende von Schmetterlingen aus ihrem jahrzehntelangen Tiefschlaf erwacht. Wie war denn so etwas möglich? Sein Antrag lag dreißig Jahre zurück!

      *

      Begonnen hatte ihre Brieffreundschaft aber schon viel eher, als beide noch zur Schule gingen. Er wohnte damals in Marseille und schrieb ihr jede Woche. Sein Deutsch ließ anfangs ebenso zu wünschen übrig wie ihr Französisch. Doch mit der Zeit verbesserten sich ihre Sprachkenntnisse, was auch Annes Lehrerin erfreut zur Kenntnis nahm.

      Nach dem Abitur schrieben sie einander weiter. Eines Tages wollte er Anne sehen und in den Arm nehmen. Er lud sie ein, zu sich nach Hause, nach Marseille. Er wollte sie seinen Eltern vorstellen, wie hatte ihr Herz gejubelt!

      Doch schon im nächsten Augenblick kam eiskalte Ernüchterung. Wie konnte sie das vergessen? Sie lebte doch in einem Land, das Frankreichbesuche für seine Bürger überhaupt nicht vorsah. Aber anstatt zu rebellieren, versuchte sie, ihm diese absurde Beschränkung der Freiheit zu erklären. Sie schrieb ihm von der Berliner Mauer und davon, wie gefährlich es sein würde, sie überwinden zu wollen.

      "Dann komme ich womöglich ins Gefängnis" stand in ihrem Briefentwurf. Beim Durchlesen bekam sie einen Schreck. Das konnte sie so auf keinen Fall stehen lassen.

      Sie schrieb den Brief neu, diesmal ohne die Angst vor dem Gefängnis auch nur mit einer Silbe zu erwähnen. Man konnte ja nie wissen, wer noch alles ihre Post mitlas.

      „Gut, dann werde ich eben kommen …“ schrieb Jean kurz entschlossen zurück.

      Sie freute sich riesig,

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