Waldesruh. Christoph Wagner

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Waldesruh - Christoph Wagner Hauptkommissar Travniczek ermittelt inHeidelberg

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„Jägerstube“ war mit dunklem Holz getäfelt. Die Wände zierten mannigfaltige Geweihe, vom kleinen Rehbock bis zum mächtigen Sechzehnender. An den Scheiben der niedrigen Fenster hatten sich bizarre Eisblumen gebildet, die mit den weinroten Gardinen in eine Art Dialog zu treten schienen. Tannenzweige, in kleine Blumentöpfe gesteckt, verstellten den freien Blick nach draußen auf die tiefverschneite Dorfstraße. Auf den Tischen brannten Kerzen in zierlichen dreiarmigen Leuchtern, und aus zwei kleinen Lautsprechern über der Theke tönten dezent von einem Kinderchor gesungene Weihnachtslieder.

      Die wenigen Pensionsgäste hatten längst ihr Frühstück beendet. Die Wirtsfrau, Brigitte Gerster, räumte das Geschirr von den Tischen und baute dann das Buffet ab. Sie war schlank, trug einen enganliegenden blauen Jeansanzug und eine weiße Bluse mit einem roten, weiß gepunkteten Halstuch und wirkte mit ihren langen blondgelockten Haaren auf den ersten Blick jugendlich attraktiv. Doch ihr vollkommen verhärmtes, von Falten durchzogenes Gesicht schien eher einer alten Frau zu gehören, die schon zu viel Unglück erlebt hatte, um sich noch über irgendetwas freuen zu können.

      Da wurde der schwere Vorhang am Windfang zur Seite geschoben und die Gestalt mit dem flachen Paket unter dem Arm trat in den Gastraum. Es war der Kunstmaler Pietro Mostacci. Er hatte sich vor mehr als dreißig Jahren das letzte Haus vor dem hinteren Ortsausgang gekauft und später ein riesiges gläsernes Atelier anbauen lassen, in dem er fast ständig arbeitete. In aller Ruhe klopfte er sich den Schnee aus der Kleidung, zog den Mantel aus, hängte ihn an die Garderobe und schob Wollschal und Pelzmütze in einen der Ärmel. Das Paket lehnte er an die Wand und versuchte vergeblich, mit seinen großen knochigen Händen Ordnung in seine strähnigen Haare zu bringen.

      Als er Brigitte Gerster sah, hellte sich sein müde wirkendes Gesicht schlagartig auf. „Hallo Gittelein, bin ich mal wieder der Erste?“, fragte er, obwohl sonst noch niemand im Raum war.

      Die Wirtin, die gerade die letzten fast leer gegessenen Wurst- und Käseplatten in die Küche tragen wollte, drehte sich um und schenkte ihm ein leicht spöttisches Lächeln.

      „Ach Pietro, siehst du sonst noch jemanden?“

      Der Maler tat, als müsste er sich umsehen, richtete sich zu ganzer Größe auf und sah sie mit glänzenden Augen verlangend an.

      „Ich bin glücklich, dass noch niemand sonst da ist. Ein Moment mit dir allein versüßt mir den ganzen Tag.“

      „Quatschkopf!“

      Er näherte sich ihr.

      „Warum so abweisend? Brigitte, du bist die schönste Frau im Dorf. Wenn Michelangelo dich gesehen hätte, sofort hätte er dich malen wollen, als Venus.“

      Jetzt wurde die Wirtin ärgerlich.

      „Hör auf, dich über mich lustig zu machen. Ich weiß ganz genau, wie beschissen ich aussehe.“

      Aber der Maler ließ das nicht gelten.

      „Nein, nein, du siehst nur traurig aus, weil … weil du unglücklich bist.“

      „Ja, und du weißt auch, warum.“

      „Ach Gittelein, das Leben ist zu kurz, um sich ewig über die Vergangenheit zu grämen. Du musst lernen zu vergessen.“

      „Das kann ich nicht – nie und nimmer.“

      „Doch, du kannst, du musst nur wollen, du darfst dich nicht mehr dagegen wehren. Lass mich dir helfen.“ Er legte ihr eine Hand sanft auf die Schulter und sah unverhohlen lüstern auf ihre vollen Brüste, die sich deutlich unter der Bluse abzeichneten.

      „He, he, lass das gefälligst, du alter Schürzenjäger!“, tönte da eine metallische Tenorstimme. „Muss ich dir erst Hausverbot erteilen, damit du aufhörst, meine Frau anzubaggern?“ Egon Gerster, der Wirt, dessen Bauchumfang verriet, wie gern er bei seinen Gästen mittrank, war aus der Küche gekommen.

      „Egon, beschwer dich nicht“, entgegnete Mostacci lachend. „Du musst deine Frau eben glücklich machen, dann brauchst du keine Angst vor Nebenbuhlern zu haben.“

      Erneut bewegten sich die Vorhänge am Windfang, und als Nächster der „wichtigen Männer von Waldesruh“ trat Dr. Engelbert Wollzogen ein, der in Wilhelmsfeld* eine gutgehende Arztpraxis hatte. Der Doktor war eine stattliche Erscheinung. Das beeindruckend volle, nach hinten gekämmte weiße Haar, stechend blickende Augen und eine große, gebogene Nase verliehen dem Mittsechziger die kalte Majestät eines Steinadlers.

      Er gab dem Nächsten die Klinke in die Hand, Edwin Jauerneck, Studienrat für Biologie und Chemie am Helmholtz-Gymnasium in Heidelberg. Die Augen des recht schmächtigen Mannes wanderten sofort unruhig durch den Raum, als fürchtete er Gefahren, die es rechtzeitig zu erkennen galt. Vor einigen Jahren – er war da gerade fünfunddreißig Jahre alt – wurde er zum Ortsvorsteher gewählt, nicht etwa, weil jemand von seiner Eignung für das Amt überzeugt gewesen wäre, sondern weil alle sicher waren, dass er ihre privaten Interessen nicht stören würde.

      Die vier Männer setzten sich an den Stammtisch und Brigitte Gerster servierte jedem ein Pils. Nur Mostacci bestand auf seinem geliebten Valpolicella.

      Dr. Wollzogens Augen funkelten erregt. Er musste erst einmal etwas loswerden.

      „Also, es ist jedes Mal das Gleiche. Immer wenn dieser linke Jungspund von Vikar predigt, wird’s unerfreulich.“

      Jauerneck sah missbilligend in sein Bierglas, ohne ihm aber zu widersprechen.

      „Er kann einfach das Politisieren nicht lassen.“

      „Hat der Oberkirchenrat ihm immer noch nicht klargemacht, dass er hier das Wort Gottes zu verkündigen hat und keine politische Propaganda?“, ereiferte sich der Wirt. „Was war es denn diesmal?“

      „Ach, er meint, wir müssten alle Asylanten und Flüchtlinge willkommen heißen, dürften niemandem unterstellen, er wolle nur unser Geld. Das sei unsere elementare Christenpflicht.“

      „Was hat das denn mit Religion zu tun?“, tönte es von der Eingangstür her. Sigismund Mampel, der seit acht Jahren pensionierte Kriminalkommissar,

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