Waldesruh. Christoph Wagner

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Waldesruh - Christoph Wagner Hauptkommissar Travniczek ermittelt inHeidelberg

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Gedanken verloren an Klarheit und er fiel noch einmal in einen leichten Schlaf.

      Noch lange, nachdem die letzten Töne verklungen waren, blieb er liegen und sann der Frage nach, warum diese schubertschen Klänge, so voller Resignation und Traurigkeit, vom vergeblichen Aufbegehren gegen das Leiden der Welt, ihn immer wieder in ihren Bann zogen. Er fand keine Antwort.

      Dafür glaubte er ganz plötzlich zu wissen, woran seine Ehe mit Marion, die doch so schön begonnen hatte, wirklich gescheitert war. Er hatte sie überfordert, hatte von ihr verlangt, was sie nicht geben wollte oder konnte: die voraussetzungslose Geborgenheit, die er als Kind von seiner Mutter erfahren durfte.

      Er sprang auf, lief ins Bad und duschte ausgiebig. Dann kochte er einen starken Kaffee und schnitt zwei Scheiben von dem würzigen Bauernbrot ab mit dem uralten Brotmesser, das schon seiner Mutter gute Dienste geleistet hatte. (An die elektrische Brotschneidemaschine, die Marion seinerzeit gekauft hatte, wollte er sich nie gewöhnen.) Er holte den besonders aromatischen Tannenhonig aus der Vorratskammer, Butter aus dem Kühlschrank und ließ es sich erst einmal schmecken.

      Er stöberte in seinem Notenregal, blätterte in Chopins Etüden und den sieben Bänden von Schumanns Klaviermusik, den Klaviersonaten von Mozart und Beethoven, konnte sich aber nicht entscheiden. Da fiel sein Blick auf den zweiten Band der Schubertsonaten. Die Klänge von vorhin waren wieder in seinem Ohr.

      Er legte die Noten aufs Klavier, blätterte ein wenig darin und hatte dann den Anfang der großen B-Dur Sonate vor sich. Sie gehörte zu den wenigen nicht von Bach stammenden Werken, die er auch in den vergangenen Jahren immer wieder gespielt hatte.

      Er wusste um ihre Besonderheit. Vollendet hatte Schubert sie wenige Wochen, bevor er starb, einunddreißigjährig, an den Folgen der Syphilis.

      Travniczek begann mit der weit ausschwingenden, in vollen Akkorden ausharmonisierten Eröffnungsmelodie, untermalt mit der klopfenden Wiederholung des fast immer gleichen Tons. Das Schlagen eines beunruhigten Herzens? Unendliche Traurigkeit, ja vollständige Resignation hörte er aus diesen Anfangstakten, doch die Sonate stand in Dur, und Dur drückte ja normalerweise Freude und Lebendigkeit, Übermut oder Triumph aus. Aber bei Schubert? Travniczek erschien dieses Dur wie ein Einverständnis damit, dass alles vorbei war. Der Lebenswille war gebrochen. Nur ein letztes Mal noch sollte Schönheit die Welt verklären. Da war sie, jene einmalige Fähigkeit Schuberts, so in Dur zu schreiben, dass es wie gesteigertes Moll klang.

      Nach dieser ersten Phrase hielt die Musik plötzlich an. Sollte man dem Gehörten einfach nur nachsinnen? Doch der Schönheit folgte die Bedrohung: Einen Triller in ganz tiefer Lage so leise wie möglich zu spielen empfand er wie einen unheimlichen, fernen Donner, der ein Unheil ankündigte, dem niemand würde entkommen können. Dann war es still – Fermatenpause. Und als ob nichts geschehen wäre, begann es wieder von vorne, dieselbe Melodie erst ganz am Schluss etwas abgewandelt, das Donnergrollen des Trillers, etwas höher liegend, also nicht mehr ganz so bedrohlich.

      Doch so konnte es nicht weitergehen. Fast übergangslos ein Ruck abwärts in eine weit entfernte Tonart (Ges-Dur). Das klang wie Flucht. Ein drittes Mal dieselbe Melodie, aber in völlig anderem Gewand. Schnelle Spielfiguren in der Begleitung. Die Musik nahm jetzt Energie auf, fand Travniczek, schien endlich auf ein Ziel zuzusteuern. Doch was geschah dann wirklich? Die Melodie zerfaserte in Dreiklangsbrechungen und virtuose Spielfiguren. Aber es ging wenigstens vorwärts. Akkordballungen steigerten die Klangintensität. Auf zu neuen Ufern! Aber dann: Es gab nichts Neues, sondern die bekannte Anfangsmelodie, nur jetzt sehr viel lauter, kraftvoller zu spielen. …

      Das Klingeln an der Wohnungstür unterbrach sein Spiel.

      Mürrisch stand er auf.

      „Wer ist denn das jetzt um diese Zeit? Wahrscheinlich der Postbote.“

      Er ging an die Wohnungstür und betätigte den Türöffner. Er hörte stolpernde, schwere Schritte und keuchenden Atem. Ein alter Mann in einem abgetragenen Wintermantel kam mit gebeugtem Rücken die Treppe hoch. Seine leicht gelockten weißen Haare hingen ihm wirr ins tief gefurchte Gesicht. Der Vollbart war ungepflegt.

      „Maurischat mein Name, Dieter Maurischat“, stellte er sich vor und schüttelte den Schnee vom Mantel. „Entschuldigen Sie, wenn ich störe. Ich muss Sie unbedingt sprechen. Jetzt gleich. Sie sind meine letzte Hoffnung.“

      Ganz gleich, was der alte Mann ihm sagen wollte, auf alle Fälle brauchte er Hilfe, und da konnte er ihn doch nicht im kalten Treppenhaus stehenlassen.

      „Langsam, langsam. Jetzt kommen Sie erst einmal weiter“, versuchte er den alten Mann zu beruhigen. Er nahm ihm den Mantel ab und hängte ihn an die Garderobe, führte ihn dann in sein Wohnzimmer und bot ihm einen Platz auf der Couch an.

      „Möchten Sie einen Kaffee?“

      „Nein, danke, ich bin schon so nervös, da macht meine Pumpe nicht mit. Aber ein Glas Wasser, wenn es nicht zu viel Umstände macht.“

      „Ach, woher.“

      Travniczek holte eine Flasche Mineralwasser nebst zwei Gläsern aus der Küche und setzte sich ihm gegenüber auf einen Sessel.

      „Was erregt Sie denn so?“

      Der alte Mann brauchte lange, ehe er mit gepresster Stimme begann: „Mein Sohn …“ Seine Hände zitterten. „Mein Sohn … er wird … in einigen Tagen … aus dem Faulen Pelz* entlassen.“

      Maurischat atmete flach und hektisch. Travniczek ließ ihm viel Zeit, ehe er dann vorsichtig nachfragte: „Weswegen ist er denn in Haft?“

      Da ballte der Alte die Fäuste.

      „Das ist es ja! Wegen nichts! Wegen rein gar nichts! Zehn Jahre! Und jetzt ist alles kaputt.“

      Travniczek merkte gar nicht, wie sehr ihn die Verzweiflung des alten Mannes berührte. Vorsichtig und ruhig fragte er weiter: „Zehn Jahre … was soll Ihr Sohn denn verbrochen haben?“

      Der Alte konnte nicht sofort antworten. Er kämpfte mit den Tränen.

      „Er soll … seine Freundin umgebracht haben“, sagte er leise mit Kopfschütteln. „Aber sie haben nicht einmal die Leiche gefunden.“

      „Und Sie glauben also, dass Ihr Sohn unschuldig ist?“

      „Ja,

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