Waldesruh. Christoph Wagner

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Waldesruh - Christoph Wagner Hauptkommissar Travniczek ermittelt inHeidelberg

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Geld hatte, in verschiedenste Behandlungen gesteckt – umsonst. Zwei Jahre nach der Diagnose ist meine Frau gestorben.“

      Maurischat schluckte wieder mehrmals und fügte dann hinzu: „Ich war kurz davor, mich auch davonzumachen. Was mich zurückhielt: Mein Sohn braucht mich doch, wenn er wieder draußen ist.“

      Schon während des ganzen Gesprächs hatte Travniczek immer wieder Mühe, Klangfetzen der Schubertsonate aus seinem Bewusstsein zu vertreiben, die ihn vom genauen Zuhören abhielten. Und jetzt war da plötzlich die doch eigentlich abwegige Frage: Konnte es Zufall sein, dass er ausgerechnet jetzt mit der Geschichte des alten Maurischat konfrontiert wurde, da er mit dem Studium der Schubertsonate begann?

      Auf jeden Fall war er fest entschlossen, diesem Mann zu helfen, auch wenn es eigentlich nicht sein Job war und es sicher sehr schwierig werden würde. Und er wusste jetzt schon, dass er dabei ohne weiteres auch Dinge tun würde, die er nach der Dienstvorschrift eigentlich nicht tun durfte.

      „Also, Herr Maurischat, ich kann Ihnen jetzt erst einmal Folgendes anbieten. Ich werde mir morgen die Akte von dem Fall besorgen. Dann sehe ich, ob es irgendwelche Verfahrensfehler gegeben hat. Das nehme ich fast an. Sie müssen wissen, dass man jemanden ohne Leiche und Geständnis wegen Mord oder Totschlag nur verurteilen kann, wenn es ganz schwerwiegende Indizien gibt und vor allem nichts, was den Täter offensichtlich entlastet.“

      Das Gesicht des alten Mannes hellte sich auf: „Sie glauben also, etwas machen zu können?“

      „Vorsicht, nicht zu schnell. Ich kann jetzt noch gar nichts sagen. Und, … wann wird Ihr Sohn aus der Haft entlassen?“

      „Am Tag nach Neujahr.“

      „Gut, dann brauche ich ihn nicht im Gefängnis zu besuchen. Denn – das werden Sie sicher verstehen – bevor ich mich in diesem Fall engagiere, will ich Ihren Sohn persönlich kennenlernen.“

      „Ja, natürlich, natürlich versteh ich das. Aber trotzdem haben Sie jetzt schon vielen Dank, dass Sie überhaupt etwas tun wollen. Sie wissen gar nicht, was für eine Last Sie von mir nehmen. Die Beamten damals, die haben mir nie auch nur zugehört. Für die war der Fall von Anfang an klar. Seitdem habe ich kein Vertrauen mehr in die Polizei.“

      „Und da kommen Sie zu mir? Ich bin doch auch Polizist.“

      „Aber Sie wurden mir als jemand geschildert, der zuhört. Das tun doch die meisten Ihrer Kollegen eher nicht.“

      „Na ja, unsere Arbeit ist auch nicht immer leicht. Aber eine letzte Frage noch: Haben Sie zufällig ein Foto von Ihrem Sohn bei sich?“

      „Nein. Es gibt gar kein Aktuelles.“

      „Ist ja verständlich.“

      „Dann will ich Sie jetzt nicht länger stören und mich verabschieden.“

      Als Maurischat gegangen war, ließ Travniczek sich auf die Couch fallen und schloss die Augen. Unschuldig im Gefängnis, das musste mit das Schlimmste sein, was einem Menschen passieren konnte. Das Leben war dann zerstört. Er war froh und dankbar, dass er, soweit ihm bekannt war, noch nie zu einer solchen Katastrophe beigetragen hatte.

      Aber war Wolfgang Maurischat wirklich unschuldig? Noch kannte er ihn nicht. Doch sein Instinkt sagte ihm, dass in dem Prozess nicht alles korrekt gelaufen war. Sollte er nicht gleich losfahren, um sich die Akte anzusehen? Besser nicht. Das wäre zu auffällig. Noch brauchte niemand zu wissen, dass er sich für diesen mehr als zehn Jahre alten Fall interessierte.

      Er setzte sich wieder ans Klavier und spielte die ganze Schubertsonate von Anfang bis Ende. Nahm hier ein Fieberkranker am Rande des Wahnsinns Abschied vom Leben, das doch hätte noch so schön werden sollen?

      Noch lange nach dem Schlussakkord blieb er am Klavier sitzen und sann den Klängen nach. Merkwürdig. Dieser Wolfgang Maurischat war genauso alt wie Schubert, als er starb.

      Plötzlich merkte er, wie hungrig er war. Er hatte vollkommen das Zeitgefühl verloren. Ein Lokal aufsuchen? Dazu war ihm das Wetter zu schlecht. Er ging in die Küche und inspizierte seinen Kühlschrank. Viel war nicht mehr da, denn eigentlich hatte er heute einkaufen wollen. Doch daraus würde jetzt auch nichts mehr werden. Er fand noch ein großes Stück Greyerzer Käse und eine noch fast volle Flasche Grünen Veltliner. Das ist doch jetzt gerade das Richtige, dachte er, schnitt sich noch zwei dicke Scheiben vom Bauernbrot ab und trug seine Schätze ins Wohnzimmer. Als Tafelmusik startete er eine CD mit frühen Sinfonien von Joseph Haydn.

      Er aß mit großem Appetit und genoss die wohlige Wärme, die das erste Glas Wein in ihm verbreitete. Bald waren Brot und Käse verzehrt, und vom Grünen Veltliner würde sicher auch nichts übrigbleiben.

      Tagebuch - 27.12.

      Was war besonders schlimm? Da fällt mir als erstes diese Geschichte ein. Zu meinem siebten Geburtstag schenkte mir Tante Arabella einen jungen Dackel. Vater wollte aber keinen Hund im Haus. „Hunde machen Dreck“, sagte er. Aber er konnte Tante Arabella nicht von dem Geschenk abbringen. Das machte ihn wütend. Ich hab mich wahnsinnig über den Hund gefreut. Am Abend sagte Vater streng zu mir: „Du bist mir dafür verantwortlich, daß der Hund keinen Dreck macht. Wenn du das nicht schaffst, muß ich dich bestrafen. Das siehst du doch ein.“

      Zwei Tage ging alles gut, dann lag morgens ein Häufchen auf dem Perserteppich im Wohnzimmer. Natürlich war Vater wütend. Er kam in mein Zimmer und schrie mich an. „Du hast nicht aufgepaßt!“ Er riß mir Waldi, so hatte ich ihn genannt, aus den Armen und drückte ihn brutal an sich. Er griff ihm unter das Kinn und drückte den Kopf ganz langsam nach oben gegen den Rücken. Waldi jaulte und strampelte heftig. Aber es half ihm nichts. Ich hörte ein Knacken und Waldi bewegte sich nicht mehr. Vater ließ ihn einfach auf den Boden fallen und ging, ohne noch etwas zu sagen, aus dem Zimmer. Aber dann drehte er sich doch noch einmal um und sagte: „Daß du mir ja nichts Tante Arabella erzählst!“

      5

      Da war dieser Mann, klein, abgemagert, aber noch jung. Er starrte mit weit aufgerissenen Augen in einen großen Spiegel, der einen Sprung hatte. Wie schütter sein schwarzes Haar geworden war! Er erschrak, als er merkte, dass es büschelweise ausfiel, wenn er nur mit den Händen hindurchfuhr. Fing an zu schreien, das Gesicht schmerzverzerrt.

      Andere standen um ihn herum und glotzten ihn nur blöde an. Warum stehen sie alle nur da und tun nichts? Warum hilft niemand diesem Mann? Warum lassen sie ihn einfach schreien?

      Also musste er ihm helfen. Er wollte loslaufen. Aber seine Beine wollten nicht. Warum nicht? Jemand hielt ihn fest. Aber wer? Er konnte ihn nicht sehen.

      Warum hältst du mich fest? Ich muss doch helfen!

      Die Schreie des jungen Mannes – aber das waren doch gar keine Schreie – das war Musik – Lieder – eigentlich wunderschön – aber – der Mann schrie statt zu singen –

      Mit einem Mal war da ein junges Mädchen bei ihm – höchstens fünfzehn … blond – wunderschön – war es die kleine Schwester des Mannes? – Sie wollte ihn trösten – ihm geben, wonach er schrie –

      Ungläubig

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