Waldesruh. Christoph Wagner

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Waldesruh - Christoph Wagner Hauptkommissar Travniczek ermittelt inHeidelberg

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begann zu grölen: „Hoch soll er leben, hoch soll er leben, …“

      Die Anderen fielen ein, nicht sehr intonationssicher, dafür laut und martialisch. Das klang ganz anders als vorher in der Kirche.

      3

      Edwin Jauerneck hatte als Erster die „Jägerstube“ verlassen. Draußen schneite es immer noch, jetzt schon den vierten Tag in Folge. Der Nebel schien sogar noch dichter geworden zu sein und es wollte überhaupt nicht hell werden an diesem Tag. Nichts war zu hören außer dem Knirschen seiner Winterstiefel im hohen Schnee und seinem keuchenden Atem. Denn der Weg zu seinem Haus, das oberhalb der anderen direkt am Waldrand lag, war anstrengend, weil bei jedem Schritt die Füße fast bis zu den Knien im Schnee versanken.

      Aber das nahm er gar nicht wahr. Zu sehr beunruhigte ihn, was sie eben beschlossen hatten, denn das war nicht recht. Es würde neues Unheil heraufbeschwören. Aber obwohl er das wusste, hatte er dennoch mitunterschrieben. Warum, warum nur war er immer zu schwach, sich gegen die Schittenhelms zu behaupten? Warum hatten sie diese Macht über ihn und alle anderen, die das aber gar nicht merkten oder merken wollten?

      Dazu hatte ihn Mostaccis Gemälde zutiefst verstört. Der Mann verstand seine Kunst. Diese Teufelsfratze blickte so abgrundtief bösartig in die Welt, dass sich vernichtet fühlen musste, wer sie ansah. Und dennoch war es ein menschliches Antlitz. Es war unleugbar Wolfgangs Gesicht.

      Aber noch mehr als die Teufelsgestalt beunruhigte ihn die junge Frau auf dem Bild. Sicher, es war unverkennbar Berit. Seine Erinnerung an damals war noch deutlich genug. Aber sie war es dann eigentlich doch nicht, denn gemalt hatte Mostacci nicht das sechzehnjährige Mädchen, das Wolfgang damals ermordet hatte. Das Bild zeigte die junge Frau, die Berit heute wäre, wenn sie noch lebte. Wie konnte Mostacci sie so malen? Künstlerische Intuition … oder? … Nein, es konnte kein Oder geben.

      Und es kamen ihm wie schon so oft Zweifel, ob damals im Prozess wirklich der Richtige verurteilt worden war. Natürlich waren die Indizien erdrückend gewesen. Nur – es fehlte eben die Leiche. Und Wolfgang hatte die Tat hartnäckig geleugnet. Sicher wäre er nicht verurteilt worden ohne die Zeugenaussagen von Adalbert und Waldemar. Aber warum hätten die lügen sollen? Er konnte sich keinen Grund vorstellen, damals nicht und auch heute nicht.

      Mostacci – der hatte ihn auch verwirrt. Noch nie hatte er diese Traurigkeit in seinem Gesicht gesehen. Da war ihm mit einem Mal klargeworden: Der Dorfclown, das war nur seine Maske, und dahinter verbarg sich ein ganz anderer Mensch. Aber wer? Hatte das mit der Geschichte zu tun? War er irgendwie darin verstrickt? Wusste er, dass es doch ganz anders war, und hatte Gründe, das für sich zu behalten? War er vielleicht gar der Mörder?

      Nein, nein, soweit durfte er nicht spekulieren. Dennoch: Der Maler musste von dem Mord an Berit irgendwie persönlich betroffen sein. Aber wenn das so war, dann steckte in dem Bild womöglich eine geheime Botschaft an die Dorfbewohner.

      Er war froh, als er seine Haustür erreichte. Er öffnete schnell. Der betörende Duft von Gänsebraten kam ihm entgegen und ließ ihn seine bangen Gedanken fürs Erste vergessen.

      Tagebuch - 25.12.

      Ich soll alles aufschreiben, was passiert, hat Oma gesagt, und auch alles, was schon passiert ist. Deswegen hat sie mir extra dieses Heft zu Weihnachten geschenkt.

      Aber was soll das eigentlich helfen? Und wenn Vater das Heft in die Hände fällt, schlägt er mich tot. Ich muß es immer gut verstecken.

      Wie hat alles eigentlich angefangen? Es hat gar nicht angefangen. Es war schon immer so. Und überhaupt kann ich mich schlecht erinnern. Irgendwann war ich lange krank, wohl schwer krank. Aber genau weiß ich das nicht mehr. Dann war ich plötzlich im Krankenhaus. Ich hatte mir den Arm gebrochen. Aber wie es passiert ist, weiß ich auch nicht mehr. Mein Freund, der Paul, hat mir erzählt, er weiß noch, was er zum dritten Geburtstag bekommen hat. Aber ich bin anders. Irgendetwas ist bei mir nicht in Ordnung. Vater ist nie zufrieden mit mir. Mein Bruder kann alles viel besser, obwohl er viel kleiner ist. Ich bin einfach schlecht. Deswegen verprügelt mich Vater immer wieder und meinen Bruder nie.

       https://www.youtube.com/watch?v=ZFh07rBEmAU

       https://de.wikipedia.org/wiki/St._Nazarius_(Adelshofen)

      Montag, 29. Dezember 2014

      4

      Wird es denn schon hell, fragte sich Joseph Travniczek, Kriminalhauptkommissar und Chef der Mordkommission Heidelberg, als er erwachte. Er sah auf seinen beleuchteten Wecker: 5 Uhr 12. Natürlich, der Schnee draußen reflektierte jedes auch noch so schwache Licht und ließ es nicht richtig dunkel werden.

      Er hatte geträumt und versuchte sich zu erinnern. Doch die Bilder waren so undeutlich, dass er sie nicht in Worte fassen konnte. Aber sie hatten wie vom Grund eines tiefen Bergsees Erinnerungen aufgewirbelt, die allmählich an die Oberfläche drangen und immer klarer wurden:

      Er war fünf Jahre alt. Familienurlaub auf einem Bauernhof. Es gab viele junge Kaninchen. Fasziniert saß er stundenlang vor den Ställen und beobachtete die Kleinen. Aber er wollte sie unbedingt auch streicheln und öffnete irgendwann doch einen der Ställe – was ihm ausdrücklich verboten worden war. Sofort sprangen welche heraus. Sie waren schon viel flinker, als er gedacht hatte. Vergeblich lief er hinter ihnen her, um sie wieder einzufangen. Und dann war da plötzlich dieser große schwarze Hund, fast so groß wie er selbst. In Panik lief er davon, hörte Bellen und leises Quieken. Dann war es wieder still.

      Ängstlich schlich er zurück. Der Hund war fort. Am Boden vor den Ställen lagen vier junge Kaninchen. Der Hund hatte ihnen das Genick durchgebissen. Er stand einfach nur da, ohne sich rühren zu können. Dann kamen die Tränen. Er lief los und suchte die Mutter. Die fragte nicht lange, sondern nahm ihn in ihre Arme und ließ ihn sich an ihrer Brust ausweinen. Die wohlige Wärme ihres Körpers spürte er heute noch.

      Warum kommen mir seit einiger Zeit so oft ungerufen Kindheitserinnerungen, fragte er sich. Er war jetzt einundfünfzig. War er zu viel allein, nachdem vor drei Jahren seine Ehe in die Brüche gegangen und er nach Heidelberg geflohen war?

      Er hatte über Weihnachten bis jetzt freigehabt. Sein ältester Sohn Bernhard, der seit eineinhalb Jahren bei ihm wohnte und an der Uni Geschichte studierte, war nach München gefahren, um die Feiertage mit seinen Geschwistern und der Mutter zu verbringen.

      Die freie Zeit war ihm aber nicht gut bekommen. Zwar hatte er viel gelesen, Klavier gespielt, endlich einmal ausgiebig das Kurpfälzische Museum* durchstreift, am zweiten Weihnachtstag den Lohengrin im Nationaltheater Mannheim gesehen, eine beeindruckende Aufführung. Und dennoch: Alles war irgendwie leer und schal geblieben. Bernhard sagte ja immer wieder: „Vadder, du musst wieder heiraten, so

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