Mord und andere Scherereien. Sylvia Giesecke
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Inzwischen kannte er jeden verfluchten Stein auf dieser Insel und die Einsamkeit setzte alles daran, ihn langsam aber sicher aufzufressen. Nach über sechs Jahren selbst auferlegter Verbannung beschloss er, seinem Martyrium ein Ende zu bereiten und sich endlich mal wieder unter Menschen zu begeben. Er ließ die frisch gestrichene Rosine zu Wasser und steuerte sehnsüchtig und erwartungsvoll das Festland an. Einen ganzen Tag lang genoss er das Treiben in der kleinen Hafenstadt. Er schaute sich ein paar Sehenswürdigkeiten an, besuchte den mit Touristen überschwemmten Wochenmarkt, aß in einer gemütlichen Taverne zu Mittag und kaufte ein paar nützliche Dinge ein. Auf dem Rückweg gab der Motor seinen Geist auf. Obwohl seine Arme vom anstrengenden Rudern furchtbar schmerzten, wollte er möglichst bald in das hübsche kleine Hafenstädtchen zurückkehren. Doch die ständig vorherrschende Lethargie machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Höchstens einmal im halben Jahr schaffte er es, seiner Unlust Paroli zu bieten und seinen Plan auch tatsächlich in die Tat umzusetzen.
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An diesem Donnerstag war es unangenehm schwül. Valentin schlenderte gelangweilt über den wie immer gut besuchten Marktplatz. Ihm fiel ein blondes Mädchen auf, welches sich suchend durch die Menschenmassen schob. Ihre verweinten Augen ließen vermuten, dass sie den Anschluss zu ihrer Familie verloren hatte. Als sich ihre Blicke trafen, lächelte er. Sie hielt kurz inne und Valentin verspürte ein großes Verlangen, sich ihrer anzunehmen. Möglicherweise verstand sie ihn ja gar nicht, aber das würde er schnell herausfinden. „Hey, hallo.“
Sie wischte sich mit dem Handrücken quer durchs Gesicht, „Hallo.“
„Warum weinst du, … was ist denn passiert?“
„Ich habe meine Eltern und meine Geschwister verloren und kann sie nicht mehr wiederfinden.“
Er gab sich betont nachdenklich, „Moment mal, bist du nicht die kleine, … die kleine …“
„Maja, mein Name ist Maja.“
Er wusste nicht genau, welcher Teufel ihn gerade ritt, ließ ihn aber dennoch gewähren, „Man, da bin ich aber froh, dass ich dich gefunden habe. Deine Eltern suchen dich bereits.“
In ihren großen braunen Augen spiegelte sich eine gewaltige Portion Hoffnung wieder, „Weißt du, wo sie sind?“
„Aber sicher doch. Komm mit, ich bringe dich zu ihnen.“
Vertrauensvoll legte sie ihre kleine Hand in die Seine und die beiden machten sich auf den Weg zum Hafen. Dort angekommen wurde sie etwas stutzig und schaute sich suchend um, „Wo sind denn meine Eltern?“
Er deutete aufs Meer, „Wir müssen rüber zur Leuchtturminsel. Deine Eltern haben befürchtet, dass du ins Wasser gefallen sein könntest, und suchen dich deshalb mit einem Boot. Wenn du lieber hier auf sie warten willst, ist das auch in Ordnung, aber …“
„Nein, ich will nicht alleine bleiben, ich komme lieber mit.“
Frei von jeglichen Skrupeln nutzte Valentin ihre kindliche Naivität und ihre Verzweiflung für seine niederen Zwecke. Obwohl er eigentlich gar nicht wirklich wusste, was er mit ihr anfangen sollte, spielte er sein übles Spiel. Wenn sie erst mal auf der Insel waren, würde ihm schon irgendetwas einfallen. Zumindest musste er zukünftig nicht mehr unter dieser zerstörerischen Einsamkeit leiden und diese Tatsache rechtfertigte sein Handeln allemal.
Die Kleine wurde unruhig, „Wo ist denn das andere Boot?“
Valentin hob sie auf den Steg, „Das liegt auf der gegenüberliegenden Seite der Insel, aber deine Eltern warten oben im Leuchtturm auf dich.“ Er befestigte die Haken des kleinen Krans, um die Rosine aus dem Wasser zu holen.
„Warum machst du das?“
„Weil ein Sturm aufzieht und ich nicht will, dass meiner Rosine etwas passiert.“
Die Antwort schien das Mädchen nicht wirklich zu interessieren, „Können wir jetzt endlich zum Leuchtturm gehen, ich möchte zu meiner Mama und meinem Papa.“
„Aber sicher können wir das“, er streckte ihr die Hand entgegen, „na komm, lass uns gehen.“
Sie schüttelte ihren Kopf, „Ich möchte lieber allein gehen.“
„Ganz wie du willst, aber pass auf, dass du nicht stolperst.“
Am Leuchtturm angekommen, öffnete er zunächst die schwere Tür und gleich anschließend eine hölzerne Klappe im Boden, „Hallo da unten, ihre Tochter ist da und wird jetzt zu ihnen runter kommen.“ Er schenkte ihr sein schönstes Lächeln, „Na los, Kindchen, du wirst schon sehnsüchtig erwartet. Und sei bitte vorsichtig auf der Leiter.“
Die Kleine schaute skeptisch in die dunkle Öffnung, „Mama, Papa, seid ihr da unten?“ Als die erhoffte Antwort ausblieb, schossen ihr sofort die Tränen in die Augen, „Du hast mich angelogen, meine Eltern sind gar nicht hier.“
Er reagierte mit einem gleichgültigen Schulterzucken, „Stimmt genau, aber du wirst jetzt trotzdem da runterklettern.“
Sie schluchzte laut, „Nein, ich will da nicht runter, ich will zu meiner Mama. Bitte, … bitte lass mich zu meiner Mama.“
Valentin packte sie bei ihren langen Haaren, „Hör auf zu flennen, Mädchen, das hilft dir nämlich auch nicht weiter. Sieh zu, dass du da runter kommst, sonst werde ich nämlich ernsthaft böse.“
Bitterlich weinend ergab sie sich ihrem Schicksal und kletterte in die Dunkelheit. Valentin zog die Leiter hoch, schloss die Klappe und nickte zufrieden. Hier sollte sie erst einmal bleiben, bis sich der zwangsläufig entstehende Rummel um ihre Person etwas gelegt hatte. Außerdem würde sie die Dunkelhaft bestimmt auch ein wenig gefügiger machen. Mit einem unbeschreiblichen Kribbeln im Bauch ging er rüber ins Haus. Er musste