Jahre mit Camilla. Helmut H. Schulz

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Jahre mit Camilla - Helmut H. Schulz

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jedes Material wurde erzeugt, erprobt, verworfen oder verwendet. Dann baute Rickweiler den Diodensaal mit den breiten Fenstern. Rickweiler ließ die ersten brauchbaren Einkristalle züchten, das Grundmaterial für Halbleiter, er schuf die Voraussetzung für ihre industrielle Herstellung.

      Und wieder sah ich den Professor. Er sagte: Zum Anderen muss beim Kristallzüchten immer mit dem Einbau fremder Atome gerechnet werden, denn selbst bei größter Reinheit kommt auf zehn hoch neun richtige Gitterbausteine ein falscher. Eine Störstelle auf zehn hoch sieben normale Gitterbausteine macht sich bei elektrischen Messungen schon bemerkbar.

      Komisch, dass man sich die Reihenfolge und selbst den Tonfall bestimmter Unterweisungen derart merkt.

      Und ich dachte triumphierend: Rickweiler hat mit seinem Kollektiv die ersten brauchbaren Dioden gebaut, aber warum ist er heute ein so unzulänglicher Technologe? Warum Stück für Stück biegen, schneiden, löten, ätzen, waschen, trocknen, messen, dreimal, viermal? Warum nicht ganz anders? Wie anders?

      Kubach, der Kalmückenkopf, unser Hauptökonom, ist ein Mann, der unbequeme Wahrheiten liebt. Manufakturbetrieb. Er sagt: Manufakturbetrieb. Und Czwietusch ist Forscher, nur Forscher.

      Was soll man tun? Tausende Elemente gehen selbst in einen Rechner älterer Generation.

      Ich will aufstehen und Licht machen, irgendetwas arbeiten oder einfach Pfeife rauchen.

      Camilla schrieb: Es war traurig, als du weg warst.

      Nebenan spannte der Soziologe ein neues Blatt in die Maschine. Die Dissertation würde wohl sehr lang werden, oder er verwarf früh, was er nachts getippt hatte.

      Sie schrieb: Und du hast nicht einmal gemerkt, dass wir uns duzten, als das Telegramm kam. Meerteufel sind nicht giftig. Ich möchte ein Haus am Meer haben. Ist das kleinbürgerlich? Ich würde keinen Zaun stellen. Ich würde Sanddorn anpflanzen.

      Ich wollte über Rickweiler nachdenken, ich wollte über die Probleme nachdenken, die wir lösen mussten.

      Sie schrieb: Warum hast du nicht gesagt, was du dachtest? Dein Brief hat sich wie ein Geschäftsbrief gelesen. Man muss etwas haben, was man, ohne Kritik liebt, einfach so, weil es da ist. Ich bin nicht sicher, ob ich da recht habe. Im November bin ich für zwei Tage in Berlin. Kann ich bei dir unterkommen? Ich rufe dich noch an, Camilla.

      Der Soziologe hatte die Arbeit für heute aufgegeben, wie es schien. Ich hörte ihn laut pfeifen.

      Von meiner Etage konnte ich nach Karlshorst hinübersehen. Ich hatte Sehnsucht nach einer weiten Ebene ohne Hindernisse, nach dem Gespensterwald und nach der See, nach großen modernen Produktionsräumen, nach Maschinen. Es war eine unbestimmte Sehnsucht.

      Camilla kommt im November.

      Sie kam mit Verspätung.

      Mir fiel ein Gespräch ein. Es wurde auf dem Flur der Wohnung Jewgeni Andrejewitschs in Moskau geführt.

      «Du bist ein typischer Deutscher», hatte Jewgeni Andrejewitsch gesagt. Meinen Protest wehrte er mit seinen mächtigen Händen ab.

      Ich nahm damals an einem Symposium über interdisziplinäre Forschung teil. Jewgeni Andrejewitsch hatte einen Vortrag aus der Antiteilchenphysik beigesteuert und mich nach einem heftigen, sachlichen Dialog in seine Wohnung eingeladen. Ich kannte ihn durch meinen Vater.

      «Aber warum bin ich ein typischer Deutscher?»

      «So, etwas ist schwer zu erklären», sagte der Physiker, der im Institut in Serpuchow arbeitete.

      «Was ist das Schönste im Leben, Jewgeni Andrejewitsch?»

      Der große Augenblick einer Entdeckung, einer Erkenntnis, um die man, jahrelang gerungen hat, dachte ich.

      «Zweifellos, eine Frau zu umarmen, aber sag das nicht weiten», er lachte grimmig, «du kannst es übrigens ruhig erzählen. Es ist ohnehin bekannt genug. Du bist eben doch ein typischer Deutscher.»

      Wir standen auf meinem Flur, und dort fiel mir dieses Gespräch mit, dem Physiker wieder ein.

      Camilla brachte einen winzigen Koffer mit. Sie gab mir verlegen die Hand.

      «Zeig mir deine Wohnung», sagte sie.

      Sie trug ein Kleid und hohe hässliche Stiefel wegen des schlechten Wetters. Ihr kleiner Koffer stand auf der Diele, und ihr Mantel hing triefnass am Garderobenhaken. Aus der Küche hörte man das Summen des Wasserkessels.

      «Du wohnst sehr hoch über der Stadt», sagte sie, «ist das dort drüben Karlshorst?»

      «Ja. Möchtest du dich umziehen? Ich könnte inzwischen den Tisch decken.»

      Sie nickte und schüttelte den Kopf.

      «Den Tisch deck ich.»

      Während sie im Badezimmer duschte, überprüfte ich die Vorbereitungen, die ich für ihren Besuch getroffen hatte. Dann hörte ich sie in der Küche wirtschaften.

      Es wird keinen Zweck haben ihr Hilfe anzubieten, eigensinnig, wie sie ist, dachte ich.

      Sie kam in meinem Bademantel mit einem Tablett.

      «Darf ich den anbehalten?»

      Gut in Erinnerung hatte ich ihre Neigung zur Schlamperei. Ihre Augen hatten plötzlich wieder den grünen Glanz, der mich im Sommer so gefesselt hatte. Jetzt war Herbst. Es war grau und regnerisch.

      Vielleicht gehört, sie zu den Menschen, dachte ich, um die immer etwas Sonne bleibt. Ich liebe eine bestimmte Sonne, eine Sonne, die hell ist und heiß und hoch. Ein leichter Wind muss wehen.

      Camilla suchte nach dem Essen alle Kissen zusammen und machte sich ihr gewohntes Lager auf der Couch, dort fand sie einen Lippenstift.

      «Das war Sigrid», sagte ich, «nichts von Bedeutung.»

      Wir hatten uns getrennt. Das Verhältnis war so unkompliziert gewesen, dass wir ohne Krach auseinander konnten.

      Sie nickte, als habe sie eine solche einfache Erklärung erwartet. Damit war die Sache erledigt.

      «Nun erzähl irgendwas», sagte sie, «erzähl von deinen Reisen.»

      Ich hütete mich, in den Vortragston des Sommers zu fallen.

      «Wir kamen einmal zu einer Nomadenfamilie in der Eismeerregion. Sie züchteten, Rentiere, und die ganze Familie stand versammelt, als wir aus dem Helikopter kletterten. Ich fragte einen Alten, wie er die neue Zeit finde. Wissen Sie, antwortete er, die neue Zeit ist gut, aber zu unruhig. Sie sind schon der zweite Gast in diesem Jahr.»

      Ich log frech. Diese Geschichte hatte mir Jewgeni. Andrejewitsch an einem unvergesslichen Abend erzählt. Er hatte Lachtränen in den Augen, als er sie umständlich berichtete. Ich log also, aber ich log, um sie zu unterhalten, um etwas von der Heiterkeit des Sommers herbeizuzaubern. Es war erfolglos.

      Vielleicht erzählte Jewgeni Andrejewitsch diese Geschichte besser als ich.

      Sie schwieg, dann sagte sie: «Das ist eine sehr ernste Geschichte.»

      Mir fielen keine Geschichten

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