Jahre mit Camilla. Helmut H. Schulz
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«Und was hast du hier zu tun?», fragte ich.
«Ich werde ein paar Tage in der Staatsbibliothek arbeiten», sagte sie. «Störe ich dich auch nicht?»
Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte nie mit einem Menschen auf so engem Raum zusammen, gelebt.
«Du musst Kerzen besorgen. Und eine weiße Tischdecke fehlt dir. Es ist auch zu viel Chrom in der Wohnung» sagte sie missbilligend, «überhaupt ist alles zu nüchtern.»
Es stimmte, ein bisschen sehr kahl waren die Wände, einfach die Möbel, ein bisschen sehr praktisch der ganze Haushalt.
«Den Sachen fehlt die Geschichte», erklärte Camilla.
Die Stimmung war doch anders als im Sommer.
Es war erstaunlich, was alles in dem kleinen Koffer Platz gefunden hatte. Selbstverständlich auch die weiße Wickelschürze. Sie war immer weiß, obwohl Camilla sie häufig trug.
Ich entsinne mich an drei Ereignisse während Camillas Besuch.
Sonntagmorgen, Bodemuseum.
«Museen haben den Nachteil, dass man nichts anfassen darf.».
Ich dachte an Rickweiler aber zugleich sah ich Camilla an. Auf dem Fischland war die Erscheinung Camillas an Farben gebunden, an die leichten hellen Farben dieser Landschaft. Dennoch dachte ich an Rickweiler. Seit Camilla da war, kam ich nicht mehr zum Arbeiten. Unter Arbeit verstehe ich die Stunden geistiger Tätigkeit.
Sie fegte ihre Hände auf einen ägyptischen Sarkophag. Einen Augenblick ohne Aufsicht, protestierte sie sofort gegen die vorgeschriebene Ordnung. Ihre Brauen waren dunkler als, das Kopfhaar, fleischig und gerade die Nase. Unruhig glitt ihr Blick über die toten Gegenstände. Sie schien enttäuscht von diesem Museum, vielleicht auch vom Verlauf des ganzen Besuches.
Sonntagabend, Volksbühne.
Camilla hatte eine Stunde gebraucht, um das schwarze, am Hals geschlossene Kleid anzuziehen und ihre an leichte Turnschuhe gewöhnten Füße in offenbar neue, hochhackige Schuhe zu zwängen. Nach dem Mittag hatte sie sich das Haar gewaschen und auf Lockenwickler gedreht. Ich hatte das Haar gefönt und auf ihren Nacken hinabgesehen. Als Ergebnis dieses Aufwandes stand sie jetzt auf dem Parkett im Erfrischungsraum des Theaters und trank Sekt. Eine altmodische Gemmenkette, weiße Frauenköpfe auf braunem Grund, lag auf dem schwarzen Kleid.
Und mir wurde bewusst, dass sie morgen abreisen würde.
Sonntagabend, zu Hause.
Camilla sitzt steif und kerzengerade in ihrem Sessel. Der Tisch ist nicht abgeräumt worden. Zwischen Tellern und Gläsern steht die eine Kerze. In ihrem Blick mischen sich Unruhe, Erwartung und Enttäuschung. Ich beobachte sie, während ich sitze und darauf warte, dass sich Camilla ihr Lager zurechtmacht, dass sie die Kissen zusammensucht, die sie braucht, dass sie heiter und gelassen wird. Mir ist, als bewege sie die Lippen, wie im Selbstgespräch.
«Meerteufel sind nicht giftig», murmelt sie. Ein schwacher Protest gegen diese Tage ist in ihrer Stimme.
«Nein», sage ich, «ich glaube, sie sind nicht giftig.
Langsam löst sie die Gemmenkette und legt sie auf den Tisch.
«Soll ich etwas erzählen?»
Sie schüttelt, den Kopf.
Vor ein paar Tagen saß Rickweiler hier. Ich sehe ihn, wie er den Kopf nach hinten legt und Wodka hinuntergießt. Ich sehe den rissigen, braunen, Hals Rickweilers. Offene, wache Augen, sehe ich, seinen federnden Schritt, als wir beide das erste Mal durch die Abteilungen gingen. Ich glaube, ich halte nicht mehr lange durch, hatte Rickweiler vor ein paar Tagen gesagt. Alt werden, keine angenehme Sache.
Beinahe alles muss sich in unserem Bereich ändern.
Ich stehe auf und gehe hin zu Camilla. Ihre Haut schmeckt salzig. Sie rührt sich nicht. Vielleicht ist sie verheiratet? Wir haben nicht darüber gesprochen. Ihren Mann, falls es ihn gibt, stelle ich mir als einen kleinen unbedeutenden Menschen, vor, der schlank ist und sportlich. Wahrscheinlich ist er Sportlehrer. Vielleicht ist sie eine überstürzte Ehe eingegangen, wie das jetzt üblich geworden ist. Sie will sich vielleicht scheiden lassen. Warum? Der Soziologe könnte es erklären. Wie ich höre, beantragen mehr Frauen die Scheidung als Männer. Ich weiß natürlich, dass es Unsinn ist, sich ihren Mann klein und unbedeutend vorzustellen, aber in dieser Situation kann es nicht anders sein.
Ihre Lippen sind feucht, warm und scheu. Vielleicht war die Geschichte mit der Staatsbibliothek nur ein Schwindel.
Ich streife ihr die Schuhe von den Füßen. Durch das dünne Gewebe des Strumpfes schimmert der Fuß, so wie ich ihn am Strand gesehen habe, kräftig aber nicht zu groß. Aufatmend lehnt sie sich zurück. Sie verschränkt die Arme hinter dem Kopf. Unter ihren Achseln aus dem kurzärmligen Kleid heraus sehen dunkle Haarbüschel. Sie riechen nach Schweiß. Camilla nimmt mir die Brille ab. Ganz nahe sehe ich ihre Brust vor mir. Sie hebt und senkt sich ruhig. Das dunkle enge Kleid spannt sich um ihre Hüften. Sie legt ihren Kopf auf, meine Schulter, ihre Hand streichelt meinen Hals. Camillas Haut ist glatt und weich, ich habe sie um die Schulter gefasst. Meine Finger hinterlassen vier weiße Flecken auf ihrem Oberarm, die sich nur allmählich wieder mit Blut füllen. Mit beiden Händen streiche ich ihr Haar fest nach hinten. Ihr Gesicht müsste jetzt einen harten Ausdruck haben, etwas Strenges müsste darin sein, aber nichts kann die Unbestimmtheit, das Unfertige dieses Gesichtes stören. Das Licht brennt herunter. Es ist dunkel, als Camilla ihre Sachen nimmt und ins Nebenzimmer geht.
Ich weiß jetzt, dass Camilla schwer ist. Ich weiß jetzt, dass ihr Körper bitter ist. Ich weiß jetzt mehr von Camilla. Ich liege und sauge an der ausgegangenen Pfeife, zu faul, um ins Badezimmer zu gehen.
Das Deckenlicht flammt auf. Camilla steht im Türrahmen und schleift die Steppdecke hinter sich her.
«Ich kann nicht einschlafen.»
Antwort wartet sie nicht ab. Sie knipst das Licht aus und legt sich neben mich. Sie nimmt den Platz auf meiner Schulter ein, als hätte ihr Kopf immer dort gelegen, als hätte sie jetzt einen dauernden Anspruch darauf. Ich liege still und starre an die Decke, Lichtreflexe spielen auf dem kalkigen Weiß.
Sie ist eingeschlafen. Ihr Atem verrät es. Vorsichtig ziehe ich die Decke um ihre Schultern.
Sie verlängerte ihren Aufenthalt um drei Tage. Camilla ist einundzwanzig, ich bin einunddreißig.
Hören Sie, hatte ich dem Soziologen gesagt, könnten Sie nicht woanders schreiben? Es stört. Und er hatte geantwortet: Ja, richtig, Sie sollen Besuch haben.
Camilla las viel an diesen stillen Abenden. Während sie in dem einen Buch blätterte, las sie in einem anderen.
«Warum hast du keine Belletristik, Robert?»
«Ich kann nichts an Romanen finden», sagte ich, «die meisten sind auch zu lang.»
Sie überlegte. «Wir verwenden viel Zeit darauf, Faktenwissen zu vermitteln, und wenig, das Gemüt zu erziehen», erklärte sie streitbar.
«So ist es», sagte ich, «und trotzdem gibt es noch immer zu wenig Autos, Maschinen, Konsumwaren, während an Gefühlen kein spürbarer Mangel ist.»
Camilla