Sieben Schwestern - Wolfsbande. J.L. Stone
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So nahm ich einen letzten, tiefen Atemzug, raffte all meinen Mut zusammen – und ließ los.
Wie ein Stein fiel ich nach unten. Der schwarze Asphalt kam gefährlich schnell näher. Ich war wie gelähmt und vergaß vor lauter Schreck, meine Schwingen auszubreiten. Erst im allerletzten Moment übernahmen meine Instinkte die Kontrolle.
Mit Mühe und Not gelang es mir den Sturz dicht über dem Boden abzufangen. Nur die Krallen meiner Beinchen und die Spitzen meiner Flügel berührten für einen Sekundenbruchteil den Asphalt. Ansonsten kam ich heil davon.
Hektisch flatternd versuchte ich an Höhe zu gewinnen. Dabei zog ich immer größere Spiralen um den Baum, wobei ich immer mehr an Sicherheit gewann und schließlich die Spitze der Krone erreichte.
Sobald ich dies geschafft hatte, sah ich mich rasch um, um herauszufinden, wohin sich die Schwestern gewandt hatten. Leichte Panik stieg in mir auf, als ich im ersten Augenblick keine Spur von ihnen fand. Wütend flatterte ich über dem Baum umher.
Wie konnten sie nur so gedankenlos sein?
Hatte ich nicht schon genug durchgemacht?
Leise vor mich hin wetternd, kreiste ich weiter über dem Baum herum und bemühte mich verzweifelt, eine Spur von ihnen zu entdecken. Doch es wollte mir nicht gelingen. Immer hektischer flatterte ich hin und her, während mein kleines Herz wie wild pochte.
Hoffentlich hatten sie mich nicht vergessen.
Das wäre der absolute Gipfel!
Warum hatten sie überhaupt die Gestalt von Fledermäusen gewählt und nicht die eines Nachtvogels mit einem wesentlich besseren Sehvermögen?
Aber halt!
Fledermäuse?!?
Ultraschall! Natürlich!
Wie hatte ich das nur wieder vergessen können?
Diese kleinen nachtaktiven Flattertiere mochten zwar fast blind sein, aber mit ihrem Ultraschallsinn konnten sie sich noch in der tiefsten Finsternis hervorragend zurechtfinden, wie ich ja schon feststellen konnte.
Mit neuer Zuversicht öffnete ich meine spitze Schnauze, stieß eine Folge der für Menschen fast unhörbaren Schreie aus und war bestrebt, deren Echos mit den relativ großen Ohren aufzufangen. Doch obwohl ich es gehofft hatte, gelang es mir mit diesem ersten Versuch nicht, den Aufenthaltsort der drei Schwestern zu ermitteln. Nicht die kleinste Reflexion kam zu mir zurück.
So zog ich gezwungenermaßen weiter meine Kreise und schickte einen Schrei nach dem anderen in alle Himmelrichtungen. Mein Frust wuchs stetig, je mehr Fehlversuche ich zu verzeichnen hatte. Sie waren wie vom Erdboden verschwunden.
Ich hatte die Hoffnung fast schon aufgegeben und mich damit abgefunden, dass ich unverrichteter Dinge nach Hause fliegen konnte, als ich drei sehr schwache Reflexe am Rande meiner Wahrnehmung ausmachte, die sich zudem dicht nebeneinander befanden. Das konnten, ja mussten Nathalie, Neve und Nell sein. Anders konnte es gar nicht sein. Das hoffte ich zumindest.
Sofort nahm ich mit kräftigen Flügelschlägen die Verfolgung auf. Zum Glück flogen sie nur gemächlich dahin, so dass es mir innerhalb kurzer Zeit gelang, zu ihnen aufzuschließen. Neve und Nell begrüßten mich mit einem fröhlichen, schrillen Fiepen, als ich mich neben sie setzte. Nur Nathalie ignorierte mich wie gewohnt.
Jetzt stellte sich auch wieder das berauschende Gefühl ein, völlig ungebunden und frei hoch über dem Erdboden dahin zu gleiten. Zwar war es mit dem Flug als Falke ganz und gar nicht zu vergleichen. Aber nichtsdestotrotz genoss ich es in vollen Zügen.
Auch gelang es mir immer besser, mich mit Hilfe des Ultraschalls unter dem wolkenlosen Sternenhimmel zu orientieren. Sukzessiv steigerte sich dieses erhabene Gefühl zu einer berauschenden Sinneserfahrung, das mich tatsächlich all meine Sorgen und Bedenken vergessen ließ.
Es ging sogar so weit, dass ich mich in wagemutigen Sturzflügen spontan dem kaum erkennbaren Boden entgegen stürzte. Äußerst knapp schoss ich darüber hinweg und jagte den aufgeschreckten Insekten in wilden Manövern hinterher. Dann raste ich wieder steil in die Höhe, schlug übermütig Loopings und wirbelte um die eigene Achse. Kurz gesagt, ich sprühte nur so vor Lebensfreude.
Ich führte mich so wild und enthemmt auf, dass ich mich selbst kaum wiedererkannte. Es war sehr lange her, dass ich das letzte Mal so ausgelassen war. Zudem spornte mich das heitere Lachen von Neve und Nell noch mehr an, obwohl sie versuchten, meine Flugkünste geflissentlich zu übersehen. Nur Nathalie gab sich den Anschein, dass sie mich ignorierte. Dennoch bemerkte ich immer wieder, wie sie mir kurze Blicke zuwarf.
Doch ich hatte es zu bunt getrieben.
2 – Jäger der Nacht
»Achtung!« schrie ich so laut ich konnte, als ich abrupt aus meinem heiteren Freudentaumel gerissen wurde.
Denn in den vielfältigen Echos, die meinen Geist erfüllten, hatte sich jäh ein großer, dunkler Schatten abgezeichnet, der mit extrem hoher Geschwindigkeit auf mich zugeschossen kam. Sofort warf ich mich herum und sauste davon.
Im nächsten Moment konnte ich ein enttäuschtes Krächzen vernehmen. Hoffentlich zeigte es mir, dass die drei Schwestern augenblicklich auf meine Warnung reagiert hatten und ihnen auch die Flucht in letzter Sekunde gelungen war. Nachprüfen konnte ich es nicht, denn ich hatte genug mit mir selbst zu tun.
So wie es aussah hatte mein wildes, ungestümes Treiben einen Jäger der Nacht auf uns aufmerksam gemacht. Damit war aus meinem unbekümmerten Spiel innerhalb von einer Sekunde blutiger, wahrscheinlich tödlicher Ernst geworden.
Und es war noch nicht vorbei.
Wie sich zeigte, hatte ich mich mal wieder zu früh gefreut. Denn der Angreifer hatte sich an meine Fersen geheftet und jagte nun hinter mir her. Er hatte mich eindeutig als Beute auserkoren. Doch dem wollte ich auf keinen Fall Rechnung tragen.
So jagte ich mit hektischen Flügelschlägen in die Finsternis davon. Dabei verlor ich natürlich sofort meine Begleiterinnen aus den Augen. Der Jäger hielt mich so sehr in Atem, dass ich nicht den Bruchteil einer Sekunde dafür verschwenden konnte, mich nach ihnen umzusehen.
Außerdem hatte ich mich in der kurzen Zeit ohne Frage schon viel zu weit von ihnen entfernt. Das Einzige, das mich neuen Mut schöpfen ließ, war, dass ich sie durch diese Tatsache in Sicherheit wusste. Solange der Jäger hinter mir her war, konnte er ihnen nichts antun.
So lieferte ich dem Angreifer eine Verfolgungsjagd, die sich sehen lassen konnte. Denn nun bewährten sich meine zuvor so ausgiebig geübten Flugmanöver. In dem ich alle meine erst vor wenigen Minuten gesammelten Erfahrungen einbrachte, Loopings vollführte, abrupte Sturzflüge einlegte und unerwartete Haken schlug, konnte ich ihn mir doch ziemlich effektiv vom Leib halten.
Seine Angriffe gingen zum Glück letztendlich immer wieder ins Leere, auch wenn es manchmal äußerst knapp war und ich seinen Luftzug in meinem Rücken spüren konnte.
Doch all meine Mühe half nichts. Alles, was ich versuchte, war vergebens. Ich konnte den verdammten Plagegeist einfach nicht abschütteln. Hartnäckig klebte er