unGlaubliche Patienten. Marcus Schütz

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу unGlaubliche Patienten - Marcus Schütz страница 2

Автор:
Серия:
Издательство:
unGlaubliche Patienten - Marcus Schütz

Скачать книгу

zur Kur gefahren.

      Ja, da gibt es heute gute Möglichkeiten.

      Schon im Mittelalter sind die Leute nach Bad Wilsnack gepilgert, denke ich, um durch den Anblick der blutenden Hostien geheilt zu werden. Oft war die kleine Kirche so voll, dass die meisten Pilger nicht einmal das Innere des heiligen Raumes geschweige denn die Hostien zu Gesicht bekamen.

      Sie könne jetzt nicht mehr so gut laufen, die Arthrose. Aber es habe ihr doch immer gut getan. Gerne sei sie in die Slowakei nach Pieš?any zur Kur gefahren.

      Die Krankenkasse wird wohl nichts mehr dazuzahlen.

      Das sei egal, sie hat die Firma ihrer Mutter übernommen. Sie produziere Untertrikotagen, Dessous sagt sie nicht. Untertrikotagen. Ich schaue auf ihr Geburtsdatum – sie ist schon Ende 80. Immer wieder bleiben meine Augen an ihrem Blick hängen.

      Auch das Herz mache ihr jetzt zu schaffen. Sie weiß nicht, ob sie die Strapazen der Reise überstehen wird.

      Oft waren die Kranken des Mittelalters so schwach, dass sie selbst nicht pilgern konnten. Sie schickten Verwandte. Bis aus Ungarn waren sie wegen der Heilung nach Bad Wilsnack gekommen. Zu Fuß. Wie lange werden sie da unterwegs gewesen sein?

      Ich fange an den Wunsch der Dame zu bekräftigen. Aus meiner Sicht gäbe es keine Anhaltspunkte, die gegen eine Kur sprechen, sage ich. Geld spiele schließlich keine Rolle und manches Bad stärkt auch Herz und Kreislauf. Immerhin hatte die Dame den Weg bis in mein Dachgeschoss geschafft.

      Für die Pestkranken kratzten die Pilger mit Münzen den Backstein aus der Kirchenmauer. Das Pulver brachten sie als Heilmittel mit nach Hause. Viele Kranke wurden so tatsächlich geheilt.

      Wieder tasten sich unsere Augäpfel gegenseitig ab. Was ist nur mit ihrem Blick?

      Es sei 45 in Berlin gewesen, gleich hier um die Ecke. Da sei eine Granate mitten auf der Straße eingeschlagen. Ein Splitter fuhr durch ihr linkes Auge in ihr Hirn. Da liege er immer noch. Auf der Schädelbasis. Es gäbe auch keine guten Glasbläser mehr und die Krankenkasse zahle nur noch alle zwei Jahre ein neues Auge. Früher hätte es schließlich jedes Jahr ein neues gegeben.

      Was denn mit dem Granatsplitter im Hirn sei.

      Abgekapselt. Nur wenn sie schnell ihren Kopf drehte, werde ihr schwindlig. Da spiele aber die Arthrose nicht mehr mit, mit der schnellen Kopfbewegung. Abends nehme sie das Auge immer heraus. Ihr jetziges drücke etwas.

      Zusammen mit den Zähnen, hätte ich fast gefragt, bei der Vorstellung, wie sie ihr Auge in ein Wasserglas auf dem Nachttisch gleiten lässt. An ein Glasauge hatte ich wirklich nicht gedacht als sich unsere Blicke kreuzten. Ich bin begeistert wie gut das Glasauge die Bewegungen des gesunden Auges mitmachte. Meistens jedenfalls, das war so merkwürdig an ihrem Blick.

      Schäferstündchen

      Nachdem ich die Bänder an seinem Knie geordnet habe und er es wieder in alle dafür vorgesehenen Richtungen bewegen kann, druckst er noch etwas herum. Er habe da noch ein Problem mit der Blase. Ob ich da nicht irgendeinen Tee empfehlen könne.

      Seit wann denn das Problem aufgetreten sei.

      Wie der Blitz fasst er Vertrauen und platzt heraus. Er habe da so eine Gummielektrode, die man ans TENS-Gerät anschließen könne. Die führe man tief in die Harnröhre ein, das mache sein Geschlecht groß und hart und wenn er die richtigen Frequenzen auf dem Gerät eingestellt habe, entlade sich sein Schwanz mit einem Megaorgasmus.

      Mir fällt sofort die Geschichte vom Schafshüter aus einem uralten Buch für Sexualmedizin von Georg Back ein: Einsam, beim Schafe Hüten in den Bergen, suchte der Schafsjunge nach einer Beschäftigung. Weit und breit keine Menschenseele, nur er und seine Herde von Schafen. Irgendwann fängt er an, an seinem Schwanz zu hobeln, onaniert auf die herrlichen Kräuter, die wie ein Teppich unter ihm liegen und an dem die Schafe so viel Gefallen finden. Der Schafsjunge hat seine Lust entdeckt und geht nun seiner Lieblingsbeschäftigung regelmäßig nach. Irgendwann reicht der Reiz, den seine arbeitenden Hände an seiner Glans penis ausüben, nicht mehr aus. Er braucht einen stärkeren Reiz, und zieht aus dem Kräuterteppich einen kleinen Zweig heraus, den er nun zum Onanieren in die Harnröhre schiebt. Über die Zeit werden die Stöckchen immer größer, der Reiz auf Eichel und Röhre immer stärker. Diesmal sitzt er auf einem Felsen und schaut wieder gelangweilt den Schafen beim Meckern und Graszupfen zu. Die Lust ruft, doch es ist kein Stöckchen zur Hand. Er zieht sein Taschenmesser aus der Scheide und führt es ein, Blut entweicht der verletzten Harnröhre. Doch der Schmerz, den die Wunde bereitet, ist noch viel besser, als alles, was seine Experimente an seiner Männlichkeit jäh hervorgebracht haben. Über die Jahre bohrt sich das Messer immer tiefer in sein Glied und spaltet es in zwei Hälften. Inzwischen muss er die beiden Hälften mit einem Lederband zum Onanieren zusammenbinden. Das letzte Mal findet er wieder ein Stöckchen. Durch den vollständig aufgespaltenen Schwanz ist der Weg zur Blase sehr kurz geworden, beträgt nur noch 4 cm, wie bei einer Frau, was nebenbei bemerkt, bei Frauen zu viel häufigeren aufsteigenden Infektionen und damit verbundenen Blasenbeschwerden führt. Das letzte Stöckchen fällt durch diese verbliebenen 4 cm in seine Blase und penetriert irgendwann seine Blasenwand. Er schafft es wohl noch zum Arzt, aber der Blasendurchbruch hat inzwischen seine ganze Bauchhöhle vergiftet und er stirbt an einer Sepsis. Die Geschichte stammt aus dem scheidenden 19. Jahrhundert, Antibiotika, die seine Sepsis vielleicht noch aufgehalten hätten, kannte man zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

      Für Infektionen sei ich nicht zuständig, erkläre ich meinem Patienten. Er müsse einen Urologen aufsuchen und eine Kultur von seinem Urin anlegen lassen, um herauszufinden, welches Antibiotikum ihm helfen könne.

      Das habe ich noch im Studium bei Prof. Hyphe gelernt. So nannten wir unseren Mikrobiologieprofessor, dessen richtiger Namen zwar mit H anfing, ich aber längst vergessen habe. Der Professor war ein alter Kautz mit wallenden grauen Haaren, auf die er sehr stolz war.

      Das beste Handtuch, meinte er, wenn man auf einer öffentlichen Toilette nach dem Händewaschen abgepackter Papiertücher nicht fündig würde, seien die eigenen Haare. Die noch feuchten Hände ziehe er zum Trocknen dann durch sein Haar und die körpereigene Mikrobenflora könne sich seiner Hände wieder annehmen. Selbstredend funktioniere das nur, wenn man über eine so ausgezeichnete Haarpracht wie er selbst verfügte.

      Schließlich jagte er uns mit einem Stapel Petrischalen durch das Universitätsgebäude zum Probensammeln.

      Wir eilten von Türklinke zur Toilette, rutschten über Fußböden bis hin zum öffentlichen Fernsprecher, inokulieren eine Petrischale nach der anderen mit den unsichtbaren Keimen der Universität. Eine Woche später steht fest: die Ohrmuschel des öffentlichen Telefons ist die absolute Keimschleuder. Wir beimpfen neue Petrischalen mit den Keimproben und stempeln sechs verschiedene Antibiotika darauf. In der darauffolgenden Woche erkennen wir, wo die Keime gar nicht oder nur wenig gewachsen sind. Jetzt wissen wir, auch ohne den Krankheitserreger selbst bestimmt zu haben, welches Antibiotikum zur Therapie hier am besten wirkte. Das muss nun der Urologe mit meinem Patienten machen, um ihn hoffentlich schnell von seiner Blasenentzündung zu befreien.

      Eine Bemerkung zu den Sexualpraktiken meines Patienten verkneife ich mir.

      Monsieur S.

      Es ist Spätsommer. Meine Mutter erteilt Monsieur S. seit kurzer Zeit Englischunterricht. Heute ist er mit seiner ganzen Familie zu Besuch, meine Mutter hat ihre Kinder auch dazu eingeladen.

Скачать книгу