unGlaubliche Patienten. Marcus Schütz

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unGlaubliche Patienten - Marcus Schütz

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dem Knöchel gibt es eine bläulich verfärbte Stelle.

      Da tue es weh. Und stellen Sie sich vor, in Italien habe man ihr Heparin gespritzt.

      Das sei gar nicht so verkehrt gewesen, sage ich.

      Sie ist verwundert. Die kleinen Piekser in den Bauch hätten ihr immer so weh getan, sie habe es abgesetzt.

      Sie hat eine Thrombose. Ich greife zur Alternativmedizin und bestelle zwei Blutegel. Sie sind steril und kommen aus der Türkei. Mein alter Lehrer hatte sich als Schüler immer nackig in einen Tümpel gestellt. Anschließend hatte er seine Ernte an ein Krankenhaus verkauft. Da nahm man es mit der Sagrotanwelt noch nicht so genau. Am nächsten Tag setze ich die Egel am Thrombus an. Die kleinen Biester fangen an zu saugen, nach einer halben Stunde haben sie ihr Körpervolumen mindestens verdoppelt. Nach einer dreiviertel Stunde sind sie satt und fallen ab, zwei rote Rinnsale am Fuß hinterlassend, so wie nach einem Fernseh-Vampir-Biss.

      Der Blutegel, den ich zuletzt eingefangen hatte, war wunderbar gefärbt, hellgrün mit dunklen Streifen. Er war mir bei einer Expedition durch einen gemäßigten Regenwald auf meine Lederhose gefallen, wo er sich vergeblich festsaugte, haha, nix von meinem Blut ergatterte.

      Der Thrombus am Fuß der Italienerin löst sich auf. Ich verbinde die stark blutende Wunde und empfehle mit der Stadterkundung noch einen Tag zu warten und das Bein lieber Hochzulegen. Sie läuft gleich los, schmerzfrei, es gibt so viel zu entdecken.

      Neureiche Russen

      Spitzt man seine Ohren im Berliner Omnibus, vernimmt man nicht mehr die Gassenhauer von damals; Türkisch klingt es von jedem Sitz. Max findet dit voll krass und Moritz hat sich längst aus dem Staub gemacht. Am Ku'Damm flanieren gestöckelt die christiandiorten Russinnen handynierend in Pelzen entlang, warten auf ihre edlen Limousinen, die sie vom Bummel zum nächsten Appointment transportieren. Am Schlesischen Tor duften Knoblauch und gebratenes Lamm aus dem Döner-Laden, das Starbucks-Café hat amerikanische Touristen zum Potsdamer Platz getragen, im Scheunenviertel wird wieder koscher gekocht, im Prenzlberg wird schwäbisch gesprochen und am Pariser Platz hält man es französisch wie einst. Gesternte Köche verwöhnen die oberen Zehntausend mit Gebratenem und Gesottenem zu den Ersten Bordelaiser Gewächsen.

      Ich werde ins Adlon gerufen. Eine russische Oligarchin empfängt mich zum Tee in der Lobby. Sie macht einen gebildeten Eindruck, ist Mitte 50 und hat ein rundes jugendliches Gesicht.

      Sie esse jetzt nur noch gesund, viel Salat, wenig Kalorien, keine Mayonnaise.

      Ein kleines Erdbeer-Sahne-Törtchen wird serviert. Ich gucke sie fragend an.

      Das gönne sie sich einmal in der Woche.

      Ihr reicher Mann habe sie - oder sie hat ihn - verlassen, erklärt mir die Dolmetscherin. Sie hätte jetzt einen jungen Stecher und braucht eine Schönheits-OP.

      Im freundlich lächelnden Gesicht der Russin verschwindet gerade wieder ein Stückchen der reichhaltigen Torte. Den Tee süßt sie mit dicken Kandisstücken. Ihr Gesicht ist wirklich Jugendlich, was will sie da für eine OP, denke ich. Ihre kleinen prallen Händchen greifen nach ihrer Louis Vuitton Handtasche, sie will das Törtchen bezahlen.

      Sie komme gerade aus Mailand. Sie musste ihren Koffer selbst schleppen, auf dem Flughafen. Jetzt habe sie Rückenprobleme.

      Deswegen sei ich hier. Ich verkneife es mir, sie zu bedauern. Wir gehen in ihre Suite. Ein Eck-Apartment mit Blick auf Pariser Platz und Wilhelmstrasse. Alles ist großzügig gehalten, gediegen. Zum Nachbarapartment gibt es eine Durchgangstür.

      Ihre Tochter komme am Wochenende.

      Wir erkoren den Esszimmertisch zur Behandlungsliege. Die Dame verschwindet kurz im Schlafzimmer. Völlig entkleidet und mit einer Bettdecke kommt sie zurück. Schließlich will sie es weich haben, auf dem Esszimmertisch. Augenblicklich wird mir klar wo ihr Schönheitsmakel liegt. Während ich die Wirbelsäule einrenke und den Rücken hart massiere, erklärt die Dolmetscherin: Die Haut an den Oberschenkeln wird durchtrennt, dann wird die gesamte Haut an den Beinen heruntergezogen, das Fett entfernt und wieder hochgekrempelt. Ich glaube, da hätte ich doch lieber auf das Sahnetörtchen verzichtet. Immerhin ist so ein invasiver Eingriff nicht ohne Risiko, da ist schon so manche auf der Matte liegen geblieben. Und ob das Resultat den jungen Stecher halten wird, wage ich zu bezweifeln.

      Als mir die russische Dame 50 € Trinkgeld auf mein Honorar drauflegt, erahne ich, was den Stecher in der besten Zeit seines Lebens wirklich bei der mittelalten Dame halten könnte.

      Ballettöse

      Im Friedrichstadtpalast sorge ich dafür, dass es in der abendlichen Girlreihe keine Ausfälle gibt. Immerhin müssen die Damen des Balletts ihre Beine nicht nur synchron sondern auch auf die gleiche Höhe schwingen.

      In der gestrigen Vorstellung gab es einen kleinen Unfall: Nachdem sich ein Tuch über eine Tänzergruppe gesenkt hatte – das gehörte zur Dramaturgie des Stückes – verhakt sich der Fuß einer Tänzerin im verdeckenden Gewebe. Als der Stoff von der Bühne gezogen wurde, gab es für sie kein Entkommen, das hartnäckige Tuch schleift sie über den Tanzboden von der Bühne. Sie verdrehte sich das Knie und ich musste ihre Kreuz- und Seitenbänder neu ordnen. Doch sie war eine wirkliche Pechmarie. Binnen Jahresfrist löste sich diesmal eine Plastikkugel aus dem Theaterhimmel und traf sie direkt auf Kopf und Schulter. Ein Fall für den Notarzt. Das Ende ihrer Karriere.

      Wochen später nach dem Klinikaufenthalt stellt sie sich wieder vor, sie litt weiter unter Schwindel und ich machte mich an ihrer Halswirbelsäule zu schaffen.

      Ihre Mutter sei Scherenschleiferin. Sie hätte endlich wieder Zeit sich um ihre Mutter zu kümmern, unten in Süddeutschland.

      Der Arbeitstag der Balletttänzer ist hart am Friedrichstadtpalast, jeden Tag Vorstellung, am Wochenende doppelt. Nur montags ist frei. Das geht auf die Knochen und das soziale Leben. Mitte 30 ist Schluss. Das ist anders als an den Opernhäusern, wo maximal ein Ballett pro Woche gegeben wird. Auch wenn es anspruchsvoller ist.

      Einmal habe ich Pina Bausch kennengelernt. Das war in Berkeley, Kalifornien. Ich war als Dolmetscher eingesetzt, beim Bühnenaufbau, damit die deutschen Bühnenarbeiter der Kompanie, die Deko an den richtigen amerikanischen Haken hängten.

      Ob ich nicht mittanzen wolle, fragt Pina.

      Nee, ich sei hier nur der Dolmetscher.

      Das mache nichts, sie suche noch Leute, die auf der Bühne das amerikanische Alltagsleben darstellen sollen.

      Augenscheinlich ist ihr Stück ein Spiegel, eine Art Verarsche des popligen amerikanischen Lebens. Da hätte ich mich vielleicht noch zum Hans, äh, zum Joe gemacht.

      Schuster, bleib bei deinen Leisten!

      Kokain

      Bestimmte Ausscheidungen des menschlichen Körpers lassen sich nicht wegklären. Sie landen irgendwann im Oberflächenwasser und verändern Mensch und Natur nachhaltig. Da gibt es beispielsweise die Weichmacher, die nicht nur über den Urin sondern auch über das Waschmaschinenabwasser oder aus den Plastikflaschen gelöst irgendwann in Flüssen und Seen eintreffen. Festgestellt hat man diesen Effekt zuerst in den USA: das amerikanische

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