Der Baum des Lebens. Sandra Losch
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Deborah war einen Augenblick lang sprachlos, sie musste das eben Gehörte erst einmal verarbeiten. "Und was heißt das nun?"
"Die JCC will uns dabei helfen, das wieder zurück zu bekommen, was rechtmäßig uns zusteht. Das, wofür dein Urgroßvater mit so viel Fleiß und Hingabe gearbeitet hat, um etwas zu erschaffen, das er an seine Nachkommen weitergeben kann. Sie haben die Kontaktdaten eines Korrespondenzanwalts in Deutschland genannt, der uns in diesem Verfahren unterstützen wird."
"Und wie soll das funktionieren? Wird er herkommen?"
"Nun, der erste Schritt wäre zunächst, der Einladung zu dieser Stolperstein-Verlegung zu folgen, sie findet in zehn Tagen statt. Ich habe dir bereits einen Flug gebucht, die Vollmacht für dich habe ich schon unterschrieben. Dieser Anwalt, Dr. Wagner, wird dich am Flughafen abholen und dann alles weitere mit dir besprechen. Ich bin eine alte Frau und nicht mehr besonders gut zu Fuß, aber du kannst diese Reise für mich unternehmen. Und du wirst das Erbe deiner Vorfahren antreten."
"Aber Granny, das geht nicht. Du weißt, ich kann dir keinen Wunsch abschlagen, aber muss das ausgerechnet jetzt sein?! In vier Wochen findet die Vernissage statt, bei der wir meine Teilhaberschaft an der Galerie bekannt geben wollten, und es ist noch so viel zu tun. Ich kann hier nicht weg."
Deborah befand sich in einer misslichen Zwickmühle. Sie wollte ihre Großmutter auf keinen Fall enttäuschen, sie verdankte ihr so vieles im Leben und wie wichtig ihr diese Angelegenheit war, konnte sie nur erahnen. Aber die Erfüllung ihres beruflichen Traums war für sie von ebenso großer Bedeutung.
"Wie du bereits sagtest, kannst du mir keinen Wunsch abschlagen und insbesondere diesen nicht. Wenn alle Formalitäten erledigt und die nötigen Unterschriften geleistet sind und das Verfahren erst einmal läuft, dann kannst du in zwei Wochen wieder hier sein."
Deborah startete noch einen verzweifelten Versuch, einen Kompromiss zu finden: "Aber Granny, geht das nicht auch per E-Mail oder so? Die moderne Zivilisation bietet da so manche Möglichkeiten."
"Du fliegst."
Großmutter Rebecca konnte ein knallharter Verhandlungspartner sein, und damit war es beschlossene Sache.
II. Kapitel
Nürnberg, Deutschland
Es nieselte und der Himmel war grau bewölkt, als Deborah in Nürnberg aus dem Flugzeug stieg. Sie hoffte, dass ihr Gepäck trotz der kurzen Umsteigezeit in Frankfurt dennoch mitgekommen war und dass sie nicht allzu lange darauf würde warten müssen. Während des gesamten Fluges war Deborah so aufgewühlt, dass sie kein Auge zutun konnte und ihr schossen tausende Gedanken durch den Kopf. Es war eine Reise ins Ungewisse und doch war sie gleichzeitig auf den Spuren ihrer eigenen Geschichte unterwegs. Bisher hatte die jüdische Identität ihrer Vorfahren keine allzu große Rolle in ihrem Alltag gespielt. Sie kannte die Traditionen und Bräuche zu den Festtagen von ihrer Großmutter und fand es schön, diese zu zelebrieren, jedoch war sie keineswegs religiös erzogen worden. Großmutter Rebecca pflegte immer zu sagen: "Die Hauptsache ist, ein guter Mensch zu sein, der aufrecht und mit Rückgrat durchs Leben geht und auf sein Gewissen hört. Durch unser Gewissen hören wir Gottes Stimme." Deborah fragte sich, welches Gefühlschaos die Schatten der Vergangenheit wohl noch in ihr auslösen würden. Es war ein seltsames Gefühl, in Kürze zum ersten Mal deutschen Boden zu betreten, das Land, wo ihre Wurzeln lagen.
Ihre Großmutter hatte mit Dr. Wagner vereinbart, dass dieser sie am Flughafen abholen würde. Als Deborah ihr Gepäck vom Band genommen hatte und in die Ankunftshalle des Flughafens trat, sah sie einen sympathischen Mittfünfziger mit Brille in einem hellbeigen Trenchcoat auf sich zukommen.
"Miss Bloomberg? Schön, dass Sie hier sind. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise. Mein Name ist Dr. Michael Wagner", stellte er sich vor und schüttelte ihr die Hand.
"Die Freude ist ganz meinerseits. Aber woher wussten Sie sofort, dass ich Deborah Bloomberg bin?"
"Ihre Großmutter hat mir ein Bild von Ihnen mitgeschickt. Eine resolute ältere Dame, wenn ich das so sagen darf. Sie weiß, was sie will." Dr. Wagner zwinkerte Deborah verschmitzt zu, was ihn noch sympathischer erscheinen ließ. Er nahm ihr das Gepäck ab und sie folgte ihm zum Parkhaus, wo sein silbergrauer Mercedes auf sie wartete. Ganz Gentleman hielt er ihr erst die Beifahrertür auf, bevor er ihre Koffer im Auto verstaute. Dr. Wagner nahm hinter dem Steuer Platz, schnallte sich an, startete den Motor und steuerte die große Limousine souverän aus der Parklücke.
"Sie werden sich sicherlich erst ein wenig ausruhen wollen. Meine Tante besitzt eine kleine Ferienwohnung etwas außerhalb der Stadt und ich habe mir erlaubt, sie dort unterzubringen. Dort haben Sie auch ein wenig Privatsphäre und Ruhe für sich. Die werden Sie vielleicht zwischendurch brauchen, denn was wir vorhaben, wird ein anstrengender Weg sein und wir kämpfen gegen einen mächtigen Gegner. Aber all das werden wir noch in Ruhe besprechen."
Deborah war tatsächlich hundemüde und froh darüber, zunächst etwas Ruhe und einen Rückzugsort für sich zu haben. So verlief die restliche Fahrt auch eher schweigend, sie genoss die behagliche Wärme der beheizten Ledersitze und bald schon war sie eingeschlafen. Als sie wieder aufwachte, hatte Dr. Wagner das Auto vor einem mit Efeu berankten Fachwerkhaus angehalten und es wurde schon langsam dunkel.
"Wir sind da. Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Wohnung."
Dr. Wagner hielt ihr wiederum die Autotür auf, öffnete die verwitterte, alte Eingangstür aus Eichenholz und führte Deborah durch die kleine Ferienwohnung, die zwar einfach, aber dafür sehr gemütlich eingerichtet war. In der Wohnstube stand ein rotes Samtsofa im Loriotstil mit einem Mahagonitisch davor und kunterbunt zusammengewürfelten Stühlen, auf denen bunt bestickte Kissen lagen. Neben der großen Standuhr in der Ecke befand sich ein Wohnzimmerbuffet aus massivem Kirschholz, in dem verschnörkeltes Goldrandgeschirr dekorativ angeordnet war. Die Schränke der kleinen Küchenzeile verrieten, dass diese wohl in den 70er Jahren eingebaut wurde. Nebenan befand sich ein kleines Schlafzimmer mit einem entzückenden, schmiedeeisernen Himmelbett, kleinen Nachttischen mit verspielten Nachttischlämpchen und Gobelinbildern an den Wänden. Neben dem Schlafzimmer gab es noch ein kleines Badezimmer, dessen rosa Fliesen ein Rosendekor aufwiesen, das sich im Muster der Handtücher wiederfand. Es fehlte an nichts und sogar den Kühlschrank hatte Dr. Wagner schon mit einigen fränkischen Spezialitäten gefüllt. Deborah hatte schon von der deftigen fränkischen Küche gehört und war gespannt darauf, bald davon zu kosten.
"Ich wusste nicht genau, was Ihnen schmecken würde. Ich habe bei Ihrer Großmutter nachgefragt, ob Sie Vegetarierin sind oder vielleicht sogar die koschere Ernährung beachten. Aber da das nicht der Fall ist, habe ich ein paar hiesige Spezialitäten besorgt, unter anderem frisches Holzofenbrot und eine Flasche Frankenwein. Ich hoffe, es wird Ihnen schmecken."
"Vielen