Kreisläufe des Lebens. Marina Feil
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Es fängt ein neuer Tag an. Eigentlich ist alles wie immer, nur dass Matthias schon seit Tagen keinen Unterricht mehr hat. Da heute sowieso Sonntag ist, käme ohnehin kein Lehrer ins Haus. In der Nacht hat Matthi wieder viel gehustet und schrecklich geweint. In solchen Nächten wacht dann Christin bei dem Jungen und versucht ihm Trost zu spenden. Sie gibt ihm Medizin und hofft, dass es unnötig sein wird, den Doktor zu holen. In dieser Nacht ist Matthi nach einiger Zeit tatsächlich wieder eingeschlafen. Christin blieb trotzdem zur Sicherheit bei ihrem Sohn. Tristan war ebenfalls aufgestanden und lief im Arbeitszimmer hin und her. Seine Hände steckten in den Taschen des weinroten Morgenmantels, den er übergezogen hatte. Dennoch fror er und seine Gedanken waren düster und sorgenvoll.
Nun ist aber der Morgen angebrochen. Der Tag verspricht warm zu werden, obwohl der Herbst mit seinen bunten Farben bereits Einzug genommen hat. Dick und warm eingepackt trägt Tristan seinen Sohn auf die Terrasse. Die frische saubere Luft soll ihm gut tun und seiner kranken Lunge etwas Erleichterung bringen. Auf dem Weg dahin erklingt Matthis Stimme wie immer hell, aber doch wesentlich leiser und kraftloser als sonst: „Pfeffer, Pfeffi! Komm zu mir!“ Der kleine Hund gehorcht sofort und läuft zu seinem Herrchen. Er merkt, dass etwas anders ist als sonst, ja er kann diese Veränderung sogar riechen. Deshalb legt er sich ganz vorsichtig neben den Liegestuhl des Jungen. Mit dem Kopf auf den Vorderpfoten schaut er das Kind unentwegt an, wobei das Weiße in seinen Augen sichtbar wird. Pfeffi ist ganz still und bleibt auch ganz verhalten als Matthias nach dem roten Bällchen greift, das auf dem Blumenkasten liegt, der auf der Fensterbank neben dem Liegeplatz des Jungen steht. In dem Kasten befindet sich derzeit nur Erde. Christin hatte dieses Jahr keine Lust, irgendetwas zu pflanzen. Es wird ohnehin bald der Winter kommen, und die üblichen bunten Herbstblumen hat sie dieses Mal ausgelassen. Pfeffi hebt den Kopf als Matthi den Ball in den Hof wirft. Er steht auf und läuft ihm ohne Eile nach. Er fängt den hüpfenden Ball auf, kehrt zu dem Kind zurück und legt ihn in den Schoß des Jungen auf die Wolldecke. Dabei stellt er sich auf seine Hinterbeine und stützt sich nur mit einer Pfote am Liegestuhl ab, so als ob Pfeffi Angst hätte, das Kind zu berühren. Es ist aber nicht die Angst vor der Berührung, die den Hund so vorsichtig sein lässt…...
Christin beobachtet die Szene von der Küche aus und sieht, dass Matthi seinen rechten Arm frei gemacht hat, der nun unter der Wolldecke hervorkommt, um mit dem Hund zu spielen. Sie läuft auf die Terrasse und will ihren Jungen wieder richtig zudecken. Der aber mault: „Mu, lass` mich doch ein bisschen, bitte!“ Er nennt seine Mutter häufig so, besonders dann, wenn sie ihm so wie im Augenblick zu fürsorglich erscheint. Christin lässt Matthi seinen Willen -nicht ohne die Ermahnung: „Aber nicht herumtollen, mein Kind.“ „Mein Kind…“, wiederholt Matthi. Er mag nicht, wenn seine Mutter ihn so nennt. Aber er liebt seine Mu über alles und nimmt deshalb den Überschwang ihrer Fürsorglichkeit hin. Er deckt sich daher auch nicht weiter auf. Einarmig spielt er mit Pfeffi weiter. Der Hund bringt ihm nach jedem Wurf den Ball zurück. Hüpft dieser in den Hof, fängt Pfeffi ihn und legt das Bällchen immer in der gleichen Weise auf den Hinterbeinen stehend und sich mit einer Vorderpfote am Liegestuhl abstützend Matthi auf die Wolldecke in den Schoß. Pfeffi hatte dieses Spiel gleich verstanden. Er bringt dem Jungen den Ball gern und unermüdlich zurück. Dabei trabt der Hund hin und her und legt den Ball immer so ab, dass Matthi mit der einen freien Hand problemlos danach greifen kann. So verbringen die beiden ein Weilchen mit ihrem Spiel.
Dann aber plötzlich….! Matthi schreit kurz auf, fast gleichzeitig verschluckt sich der Junge und beginnt zu husten. Er hustet so wie Pfeffi seinen Freund hat noch nie husten hören. Pfeffer vergisst den Ball und rennt voller Panik ins Haus. Er rutscht aus, springt wieder auf und bellt Tristan entgegen. Dieser schaut kurz auf den Hund, dann in den Flur. Er sieht seine Frau auf die Terrasse laufen. Sie ruft ihm zu: „Tristan, schnell!“ Tristan greift nach dem Telefon und ruft dieses Mal nicht wie sonst den Doktor an. Er wählt die Notrufnummer: „Hallo, spreche ich mit dem Notruf der Feuerwehr?“ Tristan versucht ruhig zu bleiben und bemüht sich um Fassung. „Es geht um meinen achtjährigen Sohn. Er hat einen Anfall. In seinen Lungen befinden sich Tumore, die nicht mehr operiert werden können. Bitte schicken Sie den Notarztwagen zum Uhlenhof. Es ist sehr eilig!“ Nachdem Tristan das Telefonat beendet hat, eilt er auf die Terrasse. Er sieht seinen Jungen und erblasst. Matthias wird von schrecklichen Hustenkrämpfen geschüttelt. Er weint und hält den Mund geöffnet, um besser Luft zu kriegen. Matthi schlägt voller Panik um sich, Christin fängt seine Arme ein und hält den Jungen fest. Dann flößt sie ihm die Notfallmedizien ein, die ihr der Doktor für den schlimmsten Fall dagelassen hat. Die Tränen laufen dem Jungen über das Gesicht. Er versucht sich freizukämpfen. Er will alles loswerden, was ihn einengt; die Decken, die ihn eigentlich wärmen sollen; ja selbst die Mutter, die ihn festhält, um ihm Schutz zu geben. Matthi hustet von neuem und es läuft Blut über seine Lippen. Seine weitaufgerissenen Augen suchen die Mutter. Matthi ist nicht mehr in der Lage, irgendetwas zu sagen. Pfeffi steht ein wenig abseits. Er riecht das Blut und erstarrt. Schon vorhin hatte er diesen Geruch in der Nase, nur nicht so intensiv.
Tristan beobachtet voller Sorge die Szene. In diesem Moment fährt endlich der ersehnte Notarztwagen auf den Hof. Aus dem roten Auto springen zwei mit roten Hosen und weißen Shirts bekleidete Männer. Der eine Mann öffnet die Seitentür des Fahrzeugs und holt eine metallene Flasche heraus, an der eine durchsichtige Kunststoffmaske hängt. Der andere greift nach einem Aluminiumkoffer. Ein dritter bleibt am Steuer sitzen und schaut zu dem Jungen, dem der erste Mann schon die Maske auf das Gesicht drückt. Er dreht an einem an der Flasche befindlichen Rad. Das Rauschen verrät, dass ein Gas fließt. Dieses Gas soll Matthi einatmen und Ihm Erleichterung bringen. Trotz des Sauerstoffs kann der Junge nur schwer ein- und ausatmen. Er hält sich nun krampfhaft an der Mutter fest. Die Decken liegen auf dem Boden und Christin greift danach, um ihr Kind zu wärmen. Matthi will dies aber nicht. Er hofft wohl, besser Luft zu kriegen, wenn ihn nichts bedeckt.
Der andere Mann ist Arzt. Er hat, genauso wie Matthis Hausarzt, ein Stethoskop, mit dem er Herz und Lunge des Jungen abhört. Außerdem prüft er den Blutdruck. Zu diesem Zweck stülpt er Matthi eine Manschette über den linken Oberarm. Mit einem Blasebalg pumpt er Luft in die Manschette bis diese fest um den Arm des Jungen liegt. Nun lässt er mit Hilfe einer kleinen Schraube die Luft wieder ab und misst mit einem Manometer den Druck des Blutes zwischen den Pumpvorgängen des Herzens von Matthi. Die Gesichtszüge des Mannes wirken angespannt. Er öffnet eilig seinen Koffer und holt eine Ampulle und ein Spritzbesteck hervor. Mit einer kleinen Pfeile sägt er das obere Ende der Ampulle auf, um mit Nadel und Spritze das darin befindliche Medikament aufzuziehen. Der andere Mann hat in der Zwischenzeit mit einem Gummischlauch den Oberarm des Kindes abgebunden. Er reibt nun mit dem Zeigefinger die Innenseite der Armbeuge und findet die Vene. Der Doktor spritzt die Flüssigkeit in das Blutgefäß und es dauert nicht lange und Matthi wird ruhiger und atmet etwas leichter. Erst jetzt spricht der Doktor: „Das Kind muss sofort ins Krankenhaus. Unsere technischen Möglichkeiten im Fahrzeug sind begrenzt und der Junge sollte an die Herz- Lungenmaschine.“ Tristan nickt. Der Arzt nimmt Matthi auf den Arm und legt ihn auf die Bahre im Krankenwagen. Die Maske bleibt auf seinem Gesicht und das Gas