Kreisläufe des Lebens. Marina Feil
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Pfeffi hatte sich die ganze Zeit still im Hintergrund gehalten. Er hatte sich aber einen Platz gesucht, von dem er alles genau beobachten konnte. Nun hört er, wie das rote Feuerwehrauto gestartet wird. Auf dem Dach des Fahrzeugs beginnt eine blaue Leuchte ihre Arbeit. Der Wagen fährt vom Hof und das Geheul der Sirene deutet allen anderen Verkehrsteilnehmern, dass hier ein Notfall transportiert wird. Pfeffer steht jetzt auf der Terrasse und blickt dem davonbrausenden Auto nach. Er lauscht und hört noch eine Zeit lang das sich immer weiter entfernende und damit leiser werdende Geräusch. Dann ist alles still. Es dauert noch eine geraume Weile bis der kleine Hund sich endlich bewegt. Er dreht sich um und geht zu Matthis Liegestuhl. Er schnuppert an den am Boden liegenden Decken, die den Geruch des Jungen tragen, legt sich auf einer nieder und platziert seinen Kopf in seiner eigenen üblichen Manier auf den Vorderpfoten. In dieser Position verbleibt Pfeffi den Rest des Tages. Erst als es bereits dunkel ist, geht er in das Haus und legt sich in seinen Korb. Er hört –wie so oft- den Geräuschen der Nacht zu. Im nahen Eichenwald bellt ein Rehbock, der offensichtlich sein Rudel ruft. Ein Uhu gibt Kund, dass er auch noch da ist. Selbst die scheue Hofkatze lässt sich sehen und hören. Das Rauschen der Bäume zeigt aufkommenden Wind an. Mehrere Igel sind auf der Suche nach etwas Fressbaren. So vergehen Stunden. Und plötzlich fährt es Pfeffi durch Mark und Bein. Er hört den langgezogenen Schrei: „Kiiiiiiewittt!“ Er hebt den Kopf und spitzt die Ohren. Es folgt erneut: „Kiiiiiewittt, Kiiiiewittt!“ Das Käuzchen ist ganz in der Nähe des Hofes. Pfeffi, der eigentlich alles andere als ängstlich ist, fürchtet sich. Er zittert sogar ein wenig. Er bleibt jedoch in seinem Korb zusammengerollt liegen, macht sich ganz flach und wartet weiterhin ab. Es vergehen wieder Stunden und Pfeffi ahnt, dass etwas Schreckliches passiert sein muss. Irgendwann schläft er ein. Doch es ist ein unruhiger Schlaf. Pfeffi zuckt ununterbrochen mit den Pfoten. Er träumt von Matthi, der ihn ruft und zum Spielen auffordert. Er hört das Lachen des Kindes und sieht, wie Matthi das Bällchen wirft. Pfeffi will dem Ball nachlaufen, um ihn einzufangen und dem Jungen zurückzubringen. Pfeffi springt auf und wird in diesem Moment wach. Er steht nun total durcheinander vor seinem Korb. Es ist dunkel und Matthi ist nicht da. Der kleine Hund fühlt in diesem Augenblick große Trauer und jault auf. Er senkt den Kopf und schaut nach, ob Matthi vielleicht doch zurückgekommen sei. Er geht zu seinem Zimmer, aber es ist leer. Der kleine Hund fühlt einen Schmerz in seinem Herzen, den er zunächst noch nicht versteht. Da er nicht weiß, was er tun soll, wandert er weiter suchend durch das Haus. In diesem Moment hört er, wie ein Auto auf das Grundstück fährt. Pfeffi wirbelt erwartungsvoll herum und rennt über den Flur zur Terrasse auf den Hof. Dort steht mit laufendem Motor ein vom Mondlicht angestrahltes beigefarbenes Taxi. Im Innenraum geht das Licht an. Gleichzeitig wird ein schwarzes Schild mit dem gelben Wort Taxi auf dem Autodach beleuchtet. Pfeffer wird hiervon für einen kurzen Augenblick abgelenkt und schaut darauf. Er blinzelt etwas, weil sich seine Augen an das plötzliche Licht erst gewöhnen müssen. Dann aber erkennt er drei Personen im Innenraum des Fahrzeugs. Zwei befinden sich im hinteren Teil des Wagens, der Dritte sitzt hinter dem Steuerrad. Er erkennt seine Menschen Christin und Tristan. Tristan, der seine Frau im rechten Arm hält, reicht mit der freien Hand dem Fahrer etwas nach vorn. Dann öffnet sich die hintere rechte Tür und Tristan und Christin steigen gemeinsam an dieser Seite aus. Dabei lässt Tristan Christin keinen Augenblick los. Pfeffi schaut auf seine Menschen und sieht die unaufhörlich über ihre Gesichter laufenden Tränen. Christin schluchzt herzzerreißend. Tristan wirft die Tür des Wagens hinter sich zu und geht mit Christin ins Haus. Pfeffer stellt sich auf seine Hinterpfoten und blickt kurz in das Innere des Autos, weil er Matthi vermisst. Aber außer dem Fahrer ist niemand mehr im Fahrzeug. Dieser schaut noch eine Sekunde seinen Fahrgästen nach und fährt dann mit einem bekümmerten Gesichtsausdruck los. Pfeffi wendet den Kopf und sieht hinter seiner Familie her. Im Haus geht jetzt das Licht an, und er hört, wie Christin nun ihrer Trauer freien Lauf lässt. Ihr Weinen endet in ein entsetzliches Jammern und Schreien. Es folgt die leise aber von Tränen und Trauer erstickende Stimme von Tristan. Pfeffer wusste nun: Sein bester Freund war im Alter von acht Jahren heute Nacht im Krankenhaus der nahegelegenen Stadt gestorben.
Das Haus ist leer ohne Matthi. Es wird nur erfüllt von tiefster Trauer. Alle Fenster sind mit leicht durchsichtigen schwarzen Tüchern verhangen. Auf den Sofern, Sesseln und Stühlen liegen schwarze Decken, ja selbst die Tischdecken sind schwarz. So ist es im Haus auch am Tage so dunkel, dass die Deckenlampen fast immer angeschaltet bleiben. Auf den Kommoden, Regalen und auch auf Tristans großem Schreibtisch stehen Bilder von Matthi mit schwarzen Rahmen und Trauerfloren über den rechten oberen Ecken. Daneben hat Christin an jedem Bild eine kleine Vase mit roten Moosröschen positioniert. Sie hofft, dass der Junge von irgendwoher diese sehen kann und weiß, wie sehr sie ihn liebt. Schließlich war Matthi ihr einziges eigenes Kind und wird es auch bleiben.
Am Tag der Beerdigung kommen viele schwarz gekleidete Menschen ins Haus. Alle sprechen ihr Mitgefühl aus. Es ist Tristan, der Stärke zeigen muss, und die Trauerbekundungen entgegennimmt. Christin hält sich mit ihrer Trauer im Hintergrund. Sie erscheint erst, als es an der Zeit ist, sich auf den Weg zur kleinen Kirche zu machen, wo die Trauerfeier stattfinden soll, und wo auch der weiße Sarg mit Matthi darin in mitten einem Meer von Blumen steht. Die leisen Gespräche der Trauergemeinde verstummen als Christin erscheint. Alle drehen sich zu ihr um, und jeder einzelne Gast kann ihr Leid nachempfinden. Einige Frauen weinen leise, aber Christin ist wie versteinert. Man sieht ihr auch durch den schwarzen Schleier an, wie sehr sie die letzte Zeit gelitten und gezeichnet hat. Alle sind gekommen, um Matthi die letzte Ehre zu erweisen und um seinem Sarg zu der letzten Ruhestätte auf dem Friedhof zu folgen.
Auch Pfeffer will wissen, wo man sein geliebtes Herrchen hinbringen wird. Er möchte den Platz sehen, wo man Matthias beerdigt. Deshalb will Pfeffi den Menschen vorsichtig und in einem gebührenden Abstand folgen, die er liebt und die Matthi lieben. Doch es wird für den treuen Hund alles ganz anders kommen….
Pfeffer ist besorgt, dass er den Anschluss an die Trauergemeinde verpasst. Deshalb läuft er aufgeregt hin und her und schaut nach jedem, der gekommen ist. Bei seinem Handeln ist er so eifrig, dass er wohl dem einen oder anderen lästig ist. Er wird von den meisten Gästen wieder und wieder zur Seite geschoben bis Tristan ihn greift. Er klemmt sich den kleinen Hund unter den linken Arm und hält mit der linken Hand dessen Vorderpfoten fest. Pfeffi missversteht die Situation völlig, begrüßt seinen Herrn freudig und leckt ihm über die Wange. Dieser zieht aber den Kopf ärgerlich weg und brummt irgendetwas, was Pfeffi nicht versteht. Tristan läuft mit ihm eilig durch den Flur zu einer Abstellkammer. Er öffnet die Tür, hockt sich nieder und schiebt den Hund nicht grob, aber doch bestimmt und auch ein wenig mürrisch in die Kammer. Er schließt die Tür, und ehe Pfeffi überhaupt begreift, was passiert ist, sitzt der kleine Hund in der Falle. Er schaut hoch zur Türklinke, dreht den Kopf hin und her und erwartet, dass ihm wieder geöffnet wird. Doch nichts passiert. Er beginnt zu bellen, es passiert weiterhin nichts. Er springt in seinem Gefängnis hin und her, wirbelt herum, springt hoch zur Türklinke, erreicht sie aber nicht, und bellt immer weiter bis sich seine Stimme überschlägt und in Hysterie übergeht. Doch es nützt alles nichts, die Tür bleibt verschlossen. Pfeffer gibt auf und legt sich nieder. Erst jetzt bemerkt er, dass man ihm Futter und Wasser auf den Boden gestellt hat. Er soll wohl hier länger bleiben müssen. Zum ersten Mal in seinem Leben ist er von seiner Familie enttäuscht. Leise weinend und fiepend bleibt er liegen. Sein Blick folgt einem Lichtschein auf dem Boden und er sieht, dass die Tür nicht komplett schließt. Durch einen Spalt zwischen Türblatt und Rahmen kann er einen Teil des Flures sehen und auch etwas vom Wohnzimmer. Die Menschen waren in der Zwischenzeit alle gegangen. Es ist im Haus völlig still geworden. Pfeffer fühlt sich vergessen und beginnt von neuem an zu bellen. Zunächst kläfft er ärgerlich, dann heult er so laut er kann; es hört ihn aber niemand, weil keiner mehr da ist. Zum Schluss winselt der kleine Hund nur noch und irgendwann schläft er ein.
Es ist ein traumloser fester Schlaf aus dem er jäh gerissen wird. Die Tür der Kammer ist geöffnet worden. Im Türrahmen