Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi. Franz Gnacy

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Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi - Franz Gnacy

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du die Sünden, so werden die Spinnweben zum Faden, dann zur Schnur. Hierauf bindet dich die Sünde, die du wiederholst, wie mit Stricken und schließlich wie mit Ketten.

      Zunächst ist die Sünde in deiner Seele fremd; denn ist sie Gast, und schließlich Herr im Hause.

      Ein Seelenzustand, in dem der Mensch sich des Bösen, das er tut, nicht bewusst wird, tritt dann ein, wenn man entweder sein Verhalten nicht vernünftig prüft, oder, noch schlimmer, wenn man die Vernunft dazu verwendet, seine Handlungen zu rechtfertigen, die der Verführung und dem Aberglauben entsprungen sind.

      Wer zum ersten Mal sündigt, fühlt stets seine Schuld; wer aber dieselbe Sünde häufig wiederholt, der unterliegt, besonders wenn seine Umgebung in derselben Weise sündigt, der Verführung und fühlt die Sünde nicht mehr.

      Junge Leute, die zu leben beginnen, betreten neue unbekannte Bahnen und finden rechts und links glatte, verlockende, amüsante Seitenwege. Man braucht sie nur zu betreten, so erscheint auf ihnen zunächst alles so amüsant und nett, dass man immer weiter geht. Will man dann aber auf den alten bekannten Weg zurück, so weiß man nicht mehr, wie man umkehren soll; geht immer weiter und gerät schließlich ins Verderben.

      Wenn jemand eine Sünde begangen hat und das begriffen hat, stehen ihm zwei Wege offen: der erste ist, seine Sünde eingestehen und darüber nachdenken, wie man eine Wiederholung vermeidet. Der zweite: seinem Gewissen nicht trauen, sich danach erkundigen, wie die Leute über die begangene Sünde denken, und wenn die sie nicht verurteilen, weiter sündigen, ohne sich etwas dabei zu denken.

      „Warum soll ich nicht dasselbe tun wie andere; sie machen’s ja alle so!“

      Sobald jemand auf diesem glatten abschüssigen Wege angelangt ist, bemerkt er nicht mehr, wie er sich vom Guten entfernt.

      Verführung und Aberglaube umgeben den Menschen auf allen Seiten. Der Lebensweg inmitten dieser Gefahren ist gerade so, wie ein Sumpf, in den man beständig versinkt und sich dann wieder herausarbeitet.

      „Es muss Ärgernis in die Welt kommen“, sagte Christus. Ich denke, der Sinn des Ausspruches ist folgender: Erkenntnis der Wahrheit genügt nicht, um die Menschen vom Bösen abzuhalten und sie an das Gute zu gewöhnen. Um diese Wahrheit zu erkennen, müssen die meisten Menschen durch Sünden, Verführung und Aberglauben bis äußerste Ende der Verirrung und der aus ihr entspringenden Leiden gelangen.

      Sünden rühren vom Körper her; Verführung von der Meinung der Leute; Aberglaube vom Misstrauen gegen eigene Vernunft.

      Jemand, der reine Schuhe anhat, geht vorsichtig um eine Pfütze herum; sobald er aber einmal fehlgetreten ist und die Schuhe beschmutz hat, ist er weniger vorsichtig; und wenn er sieht, dass die Schuhe schmutzig sind, patsch er dreist im Dreck herum und beschmutzt sich immer mehr.

      So hütet man sich auch in der Jugend, wenn man noch rein ist, vor schlechten und abscheulichen Dingen; sobald man aber ein – oder zweimal gefehlt hat, denkt man bereits, ob man sich nun in acht nimmt oder nicht – es kommt ja doch, was kommen muss, und lässt allen Lastern freien Lauf. Handle nicht so. Hast du dich beschmutzt – reinige dich und sei in Zukunft vorsichtiger; hast du gesündigt – tu Buße und hüte dich in Zukunft vor der Sünde.

      Leibliche Sünden lassen mit den Jahren nach; Verführung und Aberglaube aber lassen nicht nach, sondern werden mit den Jahren stärker.

       Das Hauptlebenswerk des Menschen besteht in der Befreiung von Sünden, Verführung und Aberglaube

      Man freut sich, wenn der Körper aus der Gefangenschaft oder aus dem Gefängnis befreit wird. Wie soll sich jemand nicht freuen, wenn er von Sünden, Verführung und Aberglaube frei wird, die seine Seele gefangen hielten?

      Wenn man sich ausmalt, dass die Menschen nur ein tierisches Dasein führen und ihre Leidenschaften nicht bekämpfen würden – wie schrecklich wäre dann das Leben, welcher Hass aller gegen alle würde dann wüten, und welche Sittenlosigkeit und Grausamkeit würde herrschen. Nur dadurch, dass die Menschen ihre Schrecken und Leidenschaften kennen, und ihre Sünden, Verführung und Aberglauben bekämpfen, wird ein Zusammenleben möglich.

      Den Geist, der im Körper lebt, bindet dieser Körper. Der Geist dringt aber mehr und mehr durch den Körper hindurch und macht sich frei. Darin besteht das Leben.

      Ob man will oder nicht – das Leben führt zu stets fortschreitender Befreiung von Sünden. Wer das begreift, unterstützt durch Bemühungen, was durch sein Leben geschieht. Das Leben solcher Menschen ist leicht, weil es mit dem übereinstimmt, was in ihm geschieht.

      Kinder sind noch nicht an Sünden gewöhnt; jede Sünde ist ihnen zuwider. Erwachsene unterliegen bereits der Verführung, sündigen und merken es gar nicht.

      Wer seine Sünden nicht eingesteht, kann wie ein fest verkorktes Gefäß nicht das in sich aufnehmen, was ihn von Sünden befreit. Sich demütigen, bereuen, heißt das Gefäß öffnen, sich zur Befreiung von Sünden tauglich machen.

      Buße tun heißt seine Sünden eingestehen und sich um Kampf mit ihnen rüsten. Deswegen ist Buße dann gut, wenn man noch Kraft besitzt.

      Öl muss man nachgießen, wenn der Docht noch nicht erloschen ist.

      Zu einem Greise kamen zwei Frauen, um sich belehren zu lassen. Die eine hielt sich für eine große Sünderin. Sie hatte in ihrer Jugend ihren Gatten betrogen und machte sich deswegen beständig Vorwürfe. Die andere aber hatte ein ordentliches Leben geführt, maß sich keine besondere Schuld bei, sondern war mit sich zufrieden.

      Der Alte fragte beide Frauen nach ihrem Leben. Die eine gestand ihm unter Tränen ihre große Sünde. Sie hielt sie für so groß, dass sie keine Vergebung erwartete; die andere sagte, sie sei sich keiner Schuld bewusst.

      Da sagte der Greis zu der ersten:

      „Magd Gottes, geh hinter den Zaun, such einen großen Stein, so schwer du ihn heben kannst und bring ihn mir . . . Du aber,“ wandte er sich an die andere, die sich keiner großen Sünde bewusst war, „bring mir auch Steine, so viele du tragen kannst, aber lauter kleine.“

      Die Frauen machten sich auf den Weg und taten, was ihnen der Alte geheißen. Die eine brachte einen großen Stein, die andere einen Sack voll kleiner Steine.

      Der Greis betrachtete die Steine uns sagte:

      „Jetzt tut folgendes: Tragt die Steine zurück und legt sie an dieselbe Stelle, wo ihr sie fortgenommen habt. Wenn ihr damit fertig seid, kommt wieder zu mir.“

      Die Frauen vollzogen den Befehl des Alten. Die erst fand bald die Stelle, von der sie den großen Stein geholt hatte und legte ihn wieder genau an seinen Platz; die andere wusste nicht mehr all die Stellen, von denen sie die Steine geholt hatte und kehrte schließlich, ohne den Auftrag erledigt zu haben, mit ihrem Sack zum Alten zurück.

      „Seht ihr, “ sagte der Alte, „genau so ist es mit den Sünden. Du hast den großen schweren Stein wieder an Ort und Stelle gebrach, weil du wusstest, wo du ihn hernahmst. Du aber konntest nicht damit zurechtkommen, weil du nicht mehr wusstest, woher du die kleinen Steine geholt hattest.

      Genau so ist es mit den Sünden.

      Du bist dir deiner Sünde bewusst; hast die Vorwürfe der Menschen und deine Gewissensbisse ertragen, in Demut alles auf dich genommen und bist deshalb von den Folgen der Sünde

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