Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi. Franz Gnacy
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi - Franz Gnacy страница 16
Wenn alle Menschen sich vereinigten, würde nicht mehr existieren, was wir für unser besonderes Leben halten, weil dieses nur stets zunehmende Vereinigung dessen ist, was sich entzweit hat. In diesem einen, in immer engerer Vereinigung dessen, was sich entzweit hat, besteht das wahre Leben und das wahre Lebensglück.
Wir finden alles, nur uns selbst können wir nicht finden. Wunderbar! Die Menschen leben viele Jahre in der Welt und können nicht dahinter kommen, wann sie sich am wohlsten fühlen. Wer nur das weiß, dem wird schon klar, worin allein das wahre Glück besteht; ihm wird klar, dass es ihm nur dann gut geht, wenn in seiner Seele Liebe zu anderen Menschen wohnt.
Wir denken offenbar wenig nach, dass wir das bis jetzt nicht wissen.
Wir haben unseren Geist verdorben und bemühen uns deswegen nicht, zu erfahren, was wir allein nötig haben.
Wenn wir wenigstens eine Zeitlang mit unserem Jagen und Hasten innehielten und in uns gingen, würden wir sehen, worin unser Heil besteht.
Unser Körper ist schwach, unrein, sterblich; in ihm ruht aber ein Schatz, der unsterbliche Geist Gottes. Wir brauchen diesen Geist in uns zu erkennen, so gewinnen wir die Menschen lieb, und wenn das geschieht, erhalten wir alles, was unser Herz wünscht: wir werden glücklich.
Nur wer die ganze Unbeständigkeit und Not des Lebens begriffen hat, erkennt die Bedeutung des Glücks, das ihm die Liebe gibt.
Äußeres Glück, Vergnügungen erreichen wir nur auf Kosten anderer. Geistiges Glück, den Segen der Liebe, im Gegenteil nur dann, wenn wir das Glück anderer vermehren.
All unsere Kulturerrungenschaften: Eisengahnen, Telegraphen und alle möglichen Maschinen können die Vereinigung der Menschen fördern, und deswegen auch den Beginn des Reiches Gottes beschleunigen. Es ist aber schlimm, dass Menschen sich durch diese Erfindungen verleiten lassen, zu glauben, wenn sie viele Maschinen bauen, würde dadurch das Reich Gottes ihnen näher gebracht. Das ist eben solch ein Fehler, wie wenn jemand stets ein und dasselbe Stück Land pflügt und nichts darauf säet. Damit all jene Maschinen Nutzen bringen, müssen die Menschen ihr Inneres vervollkommnen, die Liebe in sich vermehren. Ohne diese Liebe tragen Telefone, Telegraphen und Flugmaschinen nicht zur Vereinigung der Menschen bei, sondern entzweien sie im Gegenteil mehr und mehr.
Kläglich und lächerlich ist jemand, der sucht, was ihm auf dem Rücken hängt; ebenso kläglich und lächerlich jemand, der das Gute sucht und nicht weiß, dass es in der Liebe liegt, die ihm ins Herz gepflanzt ist.
Schaut nicht auf die Welt und die Werke der Menschen, sondern blickt in eure Seele; in ihr findet ihr das Glück, das ihr nicht finden konntet: findet die Liebe; wenn ihr sie gefunden habt, erkennt ihr, dass dieses Glück so groß ist, dass, wer es besitzt, nichts anderes wünscht.
Wenn dir schwer zumute ist, wenn du die Menschen fürchtest, wenn dein Leben in Unordnung geraten ist, sag dir: gut, ich werde mich nicht mehr um das kümmern, was mit mir geschieht, sondern werde alle lieben, mit denen ich zu tun habe; im übrigen mag kommen was will. Versuch nur so zu leben, so wirst du sehen, dass alles sich entwirrt und du nichts mehr zu fürchten und zu wünschen brauchst.
Tu’ deinen Freunden Gutes, damit sie dich noch mehr lieben, den Feinden, damit sie deine Freunde werden.
Wie alles Wasser dem Eimer entströmt, wenn ein kleines Loch darin ist, so bleiben keine Freuden der Liebe in der Seele haften, sobald Hass gegen irgendjemand in ihr wohnt.
Man sagt: was ist das für ein Geschäft, den Menschen Gutes tun, wenn sie es mit Bösen vergelten? – Sobald du den liebst, dem du Gutes tust, liegt dein Lohn schon in der Liebe, und dieser Lohn wird noch größer, wenn du außerdem das Böse erträgst, das er dir zufügt.
Ein gutes Werk, das in bestimmter Absicht geschieht, ist schon kein gutes Werk mehr. Du liebst nur dann richtig, wenn du nicht weißt, warum und wozu.
Die Menschen glauben oft, sie hätten sich vor Gott verdient gemacht, wenn sie ihren Nächsten lieben. Es ist aber gerade umgekehrt. Wer seinen Nächsten liebt, hat nicht sich vor Gott verdient gemacht, sondern Gott hat ihm unverdientes Glück gegeben, das höchst Glück, das es im Leben gibt, die Liebe.
„Wir wissen, dass wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind, wenn wir unsere Brüder lieben. Wer seinen Bruder nicht liebt, der hat nicht das ewige Leben“.
Ja, es kommt die Zeit, und sie kommt bald, von der Christus sagte, er trage Verlangen nach ihr -: es kommt die Zeit, wo die Menschen sich nicht damit brüsten, durch Gewalt Menschen und ihre Arbeit in Besitz genommen zu haben, und sich nicht darüber freuen, anderen Furcht und Neid einzuflößen, sondern stolz darauf sind, alle zu lieben und sich darüber freuen, trotz allen Kummers, den sie den Menschen verursacht, ein Gefühl zu haben, das sie von allem Schlechtesten befreit.
Es war einmal ein Mann, der lebte so, dass er niemals an sich dachte, oder für sich sorgte, sondern nur für seine Nächsten trachtete und um sie bemüht war.
Das Leben dieses Mannes war so wunderbar, dass die unsichtbaren Geister ihn deswegen lieb gewannen und sich über sein Leben freuten.
Und da sagte einmal einer dieser Geister zu einem anderen: „Dieser Mensch ist ein Heiliger, und das sonderbare ist: er weiß es nicht. Solche Leute gibt es wenige in der Welt. Wir wollen ihn fragen, womit wir ihm dienen können; welche Gaben er von uns wünscht.“
„Gut“, sagten alle anderen Geister, „das wollen wir tun.“
Und da sprach einer von den Geistern unsichtbar, aber ganz deutlich zu dem guten Menschen: „Wir haben dein Leben und dein heiliges Wesen bemerkt und möchten dich beschenken. Sag’, was wüschest du. Möchtest du die Not und Armut aller Menschen, die du siehst und bedauerst, erleichtern? Wir können das. Oder sollen wir dir solche Macht verleihen, dass du die Menschen von Krankheit und Leiden befreist. So dass sie nicht mehr vor der Zeit sterben? Auch das können wir. Oder möchtest du, dass alle Leute: alle Männer, Frauen, Kinder dich lieben? Das können wir auch. Sag’, was du dir wüschest.“
Der Heilige sagte: „Ich wünsche nichts von alledem, weil es Gott zusteht, die Menschen von dem zu erlösen, was er ihnen gesandt: von Not und Leiden, Krankheit und vorzeitigem Tod. Die Liebe der Menschen aber fürchte ich. Ich fürchte, die Liebe der Menschen verführt und stört mich in meiner Hauptaufgabe: die Liebe zu Gott und den Menschen in mir zu vermehren.“
Da sagten alle Geister: „Ja, dieser Mensch ist wirklich heilig und hat Gott wirklich lieb.-
Die Liebe gibt, verlangt aber nichts.“
Sünden, Verführung, Aberglaube
Das Leben wäre ununterbrochenes Glück, wenn nicht Aberglaube, Verführung und Sünden die Menschen des möglichen und ihnen zugänglichen Glückes beraubten. Sünde – ist Nachgiebigkeit gegen leibliche Begierden; Verführung – falsche Vorstellung, die man von seinem Verhältnis zur Welt hat; Aberglaube – falsche Lehren, die für wahr gehalten werden.
Das wahre Leben liegt nicht im Körper, sondern im Geist
„Sünde“ nennt man im Russischen beim Pflügen, wenn der Pflüger den Pflug nicht festhält,