Ein Kleid aus Seide. Sanne Prag

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Ein Kleid aus Seide - Sanne Prag

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Hände an ihr gezerrt hatten. Sie wusste, Inge hatte nachtblaue Strümpfe in ihrem Fundus, die wenig durchsichtig waren. Sie verschwand zwischen den Kleidern, stellte die Handschuhschachtel zurück und lief mit der Strumpfschachtel davon. Nachtblaue mit Naht, wenig durchsichtig – schnell, die Zeit war am Auslaufen. Sekundengenau kam sie zwischen den Kleiderständern heraus. Da war schon wieder Besichtigung. Unschuldig stellte sie sich in die Reihe, den Arm über dem großen Fleck an der Rippe.

      Udo hatte seinen Künstlerblick. Bei Theresa verharrte er. Theresa schaute so leer wie möglich. Drehte sich ein wenig, spielte mit der Handschuhkreation. Udo versuchte sich zu erinnern, wann er auf diese Form gekommen war. Es fiel ihm nicht ein, war wahrscheinlich ein Missverständnis, aber sah eigentlich interessant aus. Er musste nochmals darüber nachdenken.

      Da kam Ponhomy zurück. Ihm war eingefallen, dass auch bei Ankunft der Gäste am Vormittag Damen in Udos Kreationen bei den Gästen stehen konnten, irgendwas würde er von Udo dafür verlangen. Und am Abend wäre dann die richtige Modeschau, Reklame für seine Burg und eine gute Einleitung zu dem neuen Filmprojekt. Udo sollte darüber nachdenken.

      Die Stimmen waren in weiter Ferne für Theresa. Müdigkeit hüllte sie inzwischen ein wie ein Kokon. Sie spürte, wie sie langsam wegbrach. Die Gesichter vom Vortag drängten sich ins Bild. Ihre Abwehr schwächelte. Alle lachten durch ihre Schmerzen hindurch, besoffen, schrill. Sie konnte sehr schlecht sitzen, vor allem nicht auf diesem Hocker. Die Gesichter veränderten sich, bösartig schreiend. Es war ein Fehler gewesen, sich als Dekoration auf dieser Party anheuern zu lassen. Im gleichen Moment spürte sie die Hände an den Fußknöcheln, die Hände, die die schmerzenden, roten Druckstellen erzeugt hatten – und gleichzeitig kam wieder die Atemnot, der Druck auf der Brust. Dann war der da, den sie aus ihrem Kopf heraushalten wollte. Der, der auf ihrem Rückgrat kniete und ihr die Luft wegpresste. Er saß plötzlich vor ihren Augen, durch den Riss im Vorhang musste sie ihm zuschauen. Eisige Kälte breitete sich über ihren Körper aus.

      Eine Fotorunde noch. Und was dann?

      Udo kam zu ihr. „Sag den anderen, die beim Filmprojekt mitmachen, dass es Zimmer gibt – und morgen Abend ist ein Auftritt geplant.“ Dann lief er weiter. Ende der Durchsage, sie hatte keine Ahnung, wo die Zimmer waren.

      Wer war wohl bei dem Projekt dabei, und wo konnten Zimmer sein? Sie suchte Rod im Saal, ließ den Blick über die betriebsamen Menschen im Licht gleiten, bis sie ihn gefunden hatte. Dann kroch sie schwerfällig von dem Hocker und versuchte, einen geraden Schritt vor den anderen zu setzen. „Udo sagt, wir sollen allen, die beim Filmprojekt mitmachen, sagen, dass es Zimmer gibt, und morgen Abend ist Auftritt. Ich kann nicht – muss zum Foto. Wo sind denn die Zimmer?“

      „Zimmer sind oben.“ Rod eilte davon, um den Auftrag auszuführen. Wo oben? Zimmer klang wie Ruhe, wie Schlaf, aber sie wusste es, sie konnte noch nicht nachlassen, noch nicht dem schmerzenden Körper nachgeben. Wo genau war oben? Kein Mensch würde dafür sorgen, dass sie das Zimmer fand. Sie musste sehr genau darauf achten, wo die anderen hingingen, damit sie nicht vergessen zurückblieb.

      VORMITTAG DANACH

      Sie hatte tatsächlich das Zimmer mit Ariane gefunden, indem sie versucht hatte, Udo und Rod nicht aus den Augen zu lassen, die beiden verbissen zu beschatten. Immer wieder hatte sie der Gedanke verfolgt, dass sie, zwischen Kameras und ausgeschalteten Scheinwerfern übriggeblieben, auf diesem scheußlichen Hocker oder am Boden schlafen musste.

      Unter Aufbietung aller Kräfte hob sie glücklich lächelnd beide Arme, das gesündere Bein angewinkelt – ein Scheinwerfer simulierte die Sonne dazu - und sie hörte das letzte leise Klicken der Kamera. Schnell, ganz schnell ihre Tasche aufheben und in den Seidenkimono wickeln, und alles, ohne Udo und Rod aus den Augen zu lassen. Das Zimmer hatte inzwischen eine ungeheure Wichtigkeit, eine immense Bedeutung. Es fühlte sich an, als ob Blut aus ihr herausrinnen würde.

      Das Zimmer und die Badewanne waren ihr Anker um 5 Uhr früh gewesen. Wie eine Erlösung, Stunden der Ruhe.

      Um 10 Uhr rappelte es heftig an der Zimmertüre. Udo brüllte: „Fertig in 25 Minuten.“ Er hatte vergessen, zu brüllen, wo sie sich einfinden mussten. Theresa zog etwas Simples an. Ariane stand vor dem Spiegel. Sie hatte immer das Gefühl, sie musste mit Sorgfalt auftreten. Ariane war schon ein bisschen älter – so wahrscheinlich 26 – und jedes Jahr mehr machte ihr Panik, den Job zu verlieren. Daher dauerte es länger. Theresa wurde unruhig. Sie hatte Angst, zu spät zu kommen.

      Dann machten sie sich auf den Weg hinunter.

      Die oberste Etage war niedrig, aber tiefer unten wurde in diesem Haupthaus alles größer und mächtiger, wie in der Burg ja auch. Riesige Gänge in Stein. Die Zimmer waren vor allem im obersten Geschoß sehr klein mit enorm dicken Wänden. Ein bisschen weniger Wand und dafür mehr Zimmer hätte sie besser gefunden. Dann wäre vielleicht auch Platz für mehr Badezimmer geblieben. Sie alle mussten ein Gemeinschaftsbad am Gang benützen, und sie hatte am Vorabend rücksichtslos die Türe abgesperrt, um alles abzuwaschen, was abzuwaschen war.

      Als sie nun in die Tiefe stiegen, hörte sie fernes Stimmengemurmel. Wo nur konnten sie Udo finden? Ariane war auch ratlos. Rita irrte am Gang herum und schloss sich ihnen an. Rita brauchte man gar nicht fragen, die wusste sicher nichts. Die wollte immer selbst geführt werden.

      Sie schauten in den Raum, wo das Gemurmel herkam. Sollten sie dort Udo treffen? Großer Saal, großer Empfang mit Gläsern in der Hand. Theresa begann zu überlegen, dass Udo wahrscheinlich doch die Gelegenheit wahrnehmen wollte, um seine Tageskreationen herzuzeigen. Sonst hätte er sie nicht aufgeweckt. Sie nahm Ariane und Rita an der Hand. „Ich glaube, ich weiß es, wir müssen doch zur Mode.“

      Sie liefen in die Burg und zum Kleiderfundus. Keuchend kamen sie an, gerade nur ein kleines bisschen zu spät. Inge händigte die Tagesmodelle aus. In jeder Hand eines, stand sie vor den Mädchen. Theresa schaltete blitzschnell und griff nach dem mit den Ärmeln, das eigentlich für Ariane gedacht war. Das war günstig. Blickdichte gelbe Strümpfe und eine rostfarben und gelb gestreifte Samenkapsel auf den Kopf, mehr Kopftuch als Krone. Sie schaute in den Spiegel. Die Augenfarbe war nicht optimal.

      Sie hatte sich für solche Momente einen Fundus an Kontaktlinsen angelegt, in vielen Farben. Rostbraun fand sie am besten, rostbraune Augen zu den rostbraunen Streifen auf der Samenkapsel, - schließlich wollte sie das Modell behalten, nicht umziehen müssen.

      Udo war zufrieden. Sie konnte zum Empfang, Ariane musste umziehen. Zwei Mädchen mussten gehen, weil sie zu spät gekommen waren.

      Sie ging durch den Saal mit den Käfern und den Rüstungen. Eines von den Eisengewändern hatte den Speer in der Brust stecken. In der Nacht war das noch nicht gewesen. Oder doch? Sie wusste das nicht ganz genau. Sie hatte beim Anblick der aufgespießten Käfer geschaut, ob denn die Rüstungen auch aufgespießt waren. Waren sie da doch noch nicht gewesen. Oder doch? Jetzt jedenfalls war eine aufgespießt wie ein Käfer…

      Sie musste einen Blick auf die seltsame Maske in der Vitrine werfen, bevor sie arbeiten ging. Es zog sie förmlich dorthin. Die lag ganz still. Theresa schaute sehr genau – immerhin hing der Zustand ihres Geistes davon ab.

      Hatte sie die hellblauen Augen in der Nacht geöffnet gesehen oder war das Erlebnis eine Folge ihrer geistigen Verwirrung? Die Maske war ganz still, tat gar nichts, so sehr Theresa sie auch anstarrte.

      Der Cocktailempfang hatte die Aufgabe, die anreisenden Jagdgäste zu sammeln. Theresa sah ihre Arbeit darin, als Dekoration anwesend zu sein, wie die Bilder an der Wand. Sie wusste sehr genau, wie man sich wie ein Bild verhielt. Man stellte sich vor einen Hintergrund, der passte und vom Licht her richtig war, und schaute freundlich aber leer.

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