Marthe. Tanja Flügel

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Marthe - Tanja Flügel

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furchterregend erschien sie mir nicht und so trug ich ihr vor, warum ich kam. Über den Zaun reckte ich ihr mein Geschenk, das Bier, entgegen. Sie nahm es und ließ mich genau schildern, wie der kleine Carl heute Morgen ausgesehen hatte, sah mich nachdenklich an und verschwand dann in der kleinen Eingangstür ihres Hauses. Ratlos stand ich da, sechs Jahre alt, mitten im Wald, einer Kräuterhexe auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, und wagte nicht, mich von der Stelle zur rühren.

      Als sie wiederkam, blickte sie mir ernst in die Augen und hätte ich zu denken gewagt, hätte ich ihr Gesicht vielleicht jung und nett gefunden, so aber sah ich, mit dem verschwimmenden Blütenmeer im Hintergrund, nur zwei eindringlich leuchtende dunkelblaue Augen und rote flüsternde Lippen.

      „Dein Bruder wird bereits tot sein, wenn du nach Hause kommst. Nimm diesen Kräutersud für deine Mutter, damit sie kräftig bleibt und gesunde Kinder zur Welt bringen kann, als Dank für das Bier.

      Nimm dieses Öl für dich und bewahre es gut auf. Eines Tages wirst du dir wünschen, zu sehen, was nicht von dieser Welt ist. Nicht heute und nicht morgen, es mag noch ein gutes Jahrzehnt dauern. Bewahre das Töpfchen kühl, dann wird es seine Dienste tun.“

      Sie streckte ihre Hand über den Zaun, reichte mir die Gefäße und strich mir leicht wie eine Feder über mein glattes braunes Haar. Dann wandte sie sich wieder ihren Kräutern zu und schien mich vergessen zu haben.

      Wie im Traum ging ich nach Hause, diesmal mit dem fließenden Wasser der Saale, aber meine Füße blieben hinter ihrer Geschwindigkeit zurück. War ich auf dem Hinweg voller Angst um mein Kleid gewesen, so trug ich jetzt meine Schätze von der Kräuterfrau wie kostbares Glas.

      An der Mühlenpforte lief mir Hans entgegen. „Du kommst zu spät“, sagte er. „Der Magister Heisius ist schon auf dem Weg zu Carl.“ Der arme kleine Carl. Er bekam eine schöne Grabrede vom Magister Ludolfus Heisius, dem Nachfolger von Magister Buchholz, der ein poeta laureatus war, ein über die Grenzen von Wallensen hinaus anerkannter Dichter, dessen schöne Worte Carl sicher getröstet haben auf seiner letzten Reise.

      Ich aber war von etwas anderem gefesselt: Sie hatte es gewusst! Die Kräuterfrau hatte von Carls Tod gewusst! Meine Tränke erschienen mir jetzt noch magischer.

      Heimlich hatte ich meiner Mutter den Kräutersud zugesteckt. Sie verriet mir nicht, ob sie ihn tatsächlich zu sich nahm, da aber ihr Bauch schon wieder rund war, glaube ich, dass sie es tat. Vor allem weil meine Schwester Louise, die bald darauf geboren wurde, ein kräftiges Kind war, dem weder Masern noch Fieber und auch die anderen schrecklichen Geschehnisse des Jahres 1617 etwas anhaben konnten.

      Die Bürgerglocke

      Es war Spätsommer geworden. In Wallensen herrschte rege Geschäftigkeit und immer noch viel Bautätigkeit. Nachdem die Bürger ihre Häuser mit dem zuerkannten Holz stabiler als je zuvor errichtet und mit Stein statt mit Stroh gedeckt hatten, wandten sie sich ihrer Kirche zu.

      Mit dem besten Ackerwagen, der zu finden war, reichlich mit bunten Bändern und Blumen geschmückt und von den schönsten Pferden des Ortes gezogen, kam die große Bürgerglocke nach Wallensen, für die jeder Wallenser soviel dazu gegeben hatte, wie er eben erübrigen konnte. In einem langen Umzug, angeführt durch die Bürgermeister Jasper Schmides und Curd Bleibaum sowie dem Magister Ludolfus Heisius, gefolgt von allen Wallenser Bürgern kam die in der Sonne leuchtende Bronzeglocke durch das Niedertor herein und fuhr durch alle Straßen des Dorfes.

      Noch nie im Leben hatten wir Kinder so etwas Schönes von Nahem gesehen. Als der Wagen hielt, betrachteten wir die geprägten Bilder auf der Glocke. Mir gefiel besonders Maria mit dem Rind auf einer Mondsichel. Hans lief neben dem Wagen her und brüstet sich nachher, dass er das Relief des Löwenmedallions auf der Glocke berührt habe.

      „Ich habe sie angefasst und sicher habe ich jetzt Goldstaub an den Fingern“, erzählte er Adam und mir in ehrfürchtigem Flüsterton, als wir zurück in der Mühle waren.

      „Jetzt werde ich meine Finger nie mehr waschen, denn dort sitzt mein Reichtum.“

      Ich schwankte, ob ich ihm glauben sollte, aber das mit dem Händewaschen nahm er meist sowieso nicht besonders genau. Ob unter dem Schmutz tatsächlich Gold war, konnte ich nicht nachprüfen und so ließ ich es darauf beruhen.

      Mit einem Seilzug und sechs kräftigen Ochsen wurde die Glocke hoch in den Kirchturm gezogen. Alle sperrten Münder und Nasen auf, als sie gefährlich schwankend immer höher schwebte, bis der Magister Heisius energisch auf das Singen eines kräftigen Liedes drang, um die neue Glocke zu ehren.

      1617 gestiftet von den Wallenser Bürgern und geweiht, hängt sie hier immer noch im Kirchturm. Sie ist nicht die Glocke, die der Sage nach mit Schwung in das Sumpfgebiet flog, welches heute Glocksee heißt, auch wenn man ihr eine solche Verzweiflungstat angesichts der kommenden Ereignisse wirklich hätte nachsehen können. Nein, die Bürgerglocke schwingt, auch nach vier Jahrhunderten und einigen Ausflügen in den Zeiten der Weltkriege, noch dort, wo sie an jenem denkwürdigen Tag ihren Platz fand.

      Und ich, die ich einst Marthe war und jetzt mit den Glocken die Geschichte Wallensens begleite, lasse sie noch heute alleine sprechen, wenn ein Einwohner Wallensens sein Leben vollendet hat. Den Bürgerschauer schicken wir dem Verstorbenen als achtungsvolles Geschenk und euch Lebenden als einen Moment, in dem sich das Nachdenken lohnt.

      Welch wunderbares Erlebnis, als die geweihte Glocke schließlich zum ersten Mal zusammen mit den anderen drei Glocken und Glöckchen in den besonderen Choral einstimmte, den sie seither gemeinsam Sonn- und Feiertags durch das Tal schweben lassen.

      Noch im gleichen Jahr, wurde an Galli, im Monat Oktober 1617, meine Schwester Louise getauft. Es war die erste Taufe in meiner Familie, die ich in der Kirche miterlebte, denn Louise war das erste meiner jüngeren Geschwister, bei dem man sich in aller Ruhe an Gott wenden konnte, um seinen Segen und Schutz für sie zu erbitten.

      Und ich war so stolz. War ich doch der festen Überzeugung, dass nur der durch meinen Mut herbeigebrachte Trank der Kräuterfrau dieses Ereignis möglich gemacht hatte. Es schien mir also nur recht und billig, dass die Glocken bei unserem Eintritt in die Kirche in all ihrer Großartigkeit läuteten.

      Das wunderschöne neue Taufbecken aus hellem Sandstein, erst im Frühjahr desselben Jahres gestiftet von der Schwester unseres vertrauten und gerade verstorbenen Magisters Buchholz, es schien zu leuchten, als Louise darüber gehalten wurde, und ich wunderte mich nicht. Es passte zu dem Wunder von Louises kräftiger Stimme, mit der sie ihre Lebendigkeit der ganzen Kirche verkündete.

      Als meine kleine Schwester während des Gottesdienstes ruhiger wurde und schließlich auf dem Arm meiner Mutter einschlief, ließ ich heimlich meine Gedanken schweifen. Der Magister Heisius war für seine wohltönende Stimme ebenso bekannt, wie für seine Dichtungen und so ließ ich mich in der dämmrigen Kühle der Kirche von seinen Worten forttragen und war bald auf meinen eigenen Wegen unterwegs.

      Durch das Bachbett führten sie mich erneut zu der Kräuterfrau, die ich bei mir selbst die ‚Heilerin‘ nannte. Ich stellte mir ihr Gesicht vor und überlegte, was ich darin hätte lesen können, als sie mir sagte, ich würde den Wunsch haben, etwas zu sehen, was nicht von dieser Welt sei. Von einem Jahrzehnt, das noch vergehen würde, hatte sie gesprochen. Dann würde ich schon eine richtige Frau sein und wahrscheinlich verheiratet. Auf keinen Fall würde ich allerdings den Ludwig von gegenüber heiraten, da war ich mir sicher, denn der hatte ein zu kurzes Bein und schielte ganz entsetzlich.

      Meine Mutter stieß mich unsanft an, als wir zum Abschlussgebet und Segen von den harten Holzbänken aufstehen mussten. Ich kehrte in die Gegenwart zurück und fragte nun betend Gott, ob ich

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