Der raumlose Raum. Peter Mussbach

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Der raumlose Raum - Peter Mussbach

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„lass uns wieder in den Keller zu unserem Erinnerungsschrank gehen und heute Denken und Welt spielen, das haben wir noch nie gespielt, bitte Tante Emmi!“ „Als Gedankenspiel mit unseren Bildern von der Welt“, antwortet sie Augen zwinkernd, nimmt ihn bei der Hand und geht mit ihm nach unten zu ihrem gemeinsamen Wunderschrank, „in dem wir heute einmal richtig mit unseren Gedanken jonglieren“, sagt sie wie ein Zauberin, die schon in den Kisten wühlt, damit es richtig phantastisch wird.

      „Ist das ist nicht lustig“, ruft er mit leuchtenden Augen, während sie in den alten und bunt zerbeulten Kartonschachteln mit Rätselschrift auf den Deckeln herumschnüffeln, „da sind sie ja wieder, unsere Altjungphotos: Wo ist denn nur das Photo mit dem Teddybär?“, nörgelt er ungeduldig, „mal sehen, ob da heute noch der Teddybär drauf ist!“

      Beide aber können das Photo nicht finden, es hat sich in Luft aufgelöst. „Das ist auch nicht so schlimm“, meint Tante Emmi, während er schon weint, „du kannst dich doch an das Photo erinnern, letzte Woche erst haben wir es gemeinsam angeschaut, das hast du doch jetzt im Kopf?“ „Ja doch“, antwortet er, „aber heute ist es wieder nicht doppelt, weil es verschwunden ist. Heute ist es nur im Kopf, wo ist es denn, das Photo, es will einfach nicht doppelt werden!“ – „Wenn du dich aber ohne das Photo in der Hand einfach so an den warmen Sommerabend damals erinnerst, wo alles so schnuckelig ist, dann brauchst du auch dein Teddybäralleinphoto nicht mehr, das dir Angst macht. Dann ist alles warms und juckt nur noch ein bisschen, oder etwa nicht?“ „Ja, dann ist das Bild im Bauch, das ist schön, ein schönes Bauchbild!“, sagt er und kratzt sich am Kopf.

      „Dann stapfst du in deiner Erinnerung durch den Stadtpark, das Eichhörnchen, mit dem du dich gut verstehst, kommt vom Baum runter, und du brauchst noch nicht einmal mehr einen Teddybären, den kannst du wegwerfen“, provoziert sie ihn, „wie damals, als du den armen Bären ein paar Tage, bevor das Photo gemacht wurde, heimlich im Gartenabfall vergraben hast, damit der blöde Teddy endlich weg ist. Und wenn der Gärtner anderntags das Laub und die verfaulten Wurzeln mit dem Teddybären in seiner Schubkarre abtransportiert, dann hast du mit der ganzen Sache nichts mehr zu tun, und ich werde nicht noch einmal so dumm sein, dir einen Neuen zu schenken, denn du willst ja keinen mehr und verschenkst ihn.“

      „Nein, also wirklich Tante Emmi“, ruft er überrascht und weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll, „du kannst Gedanken lesen, jetzt hast du mich erwischt! Ich wollte nicht mehr der Teddy meiner Eltern sein, den sie nur achtlos knuffen, ohne ihn anzuschauen, und mich wie einen nassen Sack durch die Gegend schleifen lassen. – Aber sag mal, Tante Emmi, woher weißt du das alles, die Sache mit meinem Teddybären, meine ich, ich war doch alleine im Garten und keiner hat mich gesehen, da habe ich doch aufgepasst!“ “Ach, mein Schatz“ – Tante Emmi fällt ein Stein vom Herzen: „Ich bin oben zufälligerweise am Fenster gestanden und habe mitbekommen, wie du deinen Teddy unten im Gartenabfall begraben hast!“ „Tante Emmi, Tante Emmi“, ruft er mit einem Mal und krallt sich erregt in ihrem schönen Körper fest, „dann weißt du ja alles! – Mir ist ganz schwindlig … ich sehe nur noch Lichtfeuergeglitzer, ich möchte dich küssen, darf ich … auf den Mund, du … du bist mir doch hoffentlich nicht böse?“ „Ich war dir nie böse, ich habe die Sache mit dem Teddybären nur einfach nicht verstanden, und wenn ich ehrlich bin, heute erst verstehe ich dich!“ – Eine Weile sitzen beide stumm vor ihrem Erinnerungsschrank und hängen den Gedanken nach – Denken und Welt und Welt und Denken.

      „Wo bist du? Ist es jetzt warms und schnuckelig?“, flüstert ihm Tante Emmi nach einer Weile zu: „Bon voyage, mein Herz!“, sagt sie ruhig und will ihn nicht stören. Tante Emmi aber kann er nicht mehr hören; abwesend sitzt er da und schaut zu, wie sich viele Puzzlesteine vor seinen Augen langsam zu einem Bild zusammenfügen: An einem Sommerabend im frühen Oktober sieht er sich im Stadtpark sitzen, kratzt sich an seinem runden Kinderbauch und wiegt sich im lauen Abendwind, alleine in einer frisch gemähten Wiese sitzend.

      Während er da hockt und seinen verschwommenen Erinnerungen und Schwalben nachschaut und nur mehr Grüngrün um sich herum sieht, ist es Sonntagabend geworden, jener verdammte Phototeddybärsonntag.

      Wo seine Eltern abgeblieben sind, daran kann er sich nicht erinnern, gerade war er gemeinsam mit ihnen noch spazieren.

      Das Teddybärphoto

      Jahre später. Es ist Winter, bitterkalt draußen und mitten in der Nacht. Noch ein halbes Jahr, dann hat er sein Abitur und wird sich in Luft auflösen. Er sitzt in einem der großen Kellerräume, der jetzt sein Arbeitszimmer geworden ist, in welchem er all diejenigen Erinnerungsstücke zusammengetragen hat und aufbewahrt, die für ihn von besonderer Bedeutung sind: Zu den unterschiedlichsten Zeiten hingekritzelte Zeichnungen, Zitatzettel oder japanische Sinnsprüche ohne Sinn zum Nachdenken, Zeitungsausschnitte, Bildreproduktionen und sogar einige wenige Autographen, von Anja Silja zum Beispiel. Schließlich auch tolle Schmuddelphotos und andere, die nur eine ungefähre Bedeutung für ihn haben, weswegen er diese auch nicht wegschmeißen will. Ein heilloses Chaos, in das Ordnung zu bringen kein Zettelkasten der Welt schafft, sondern nur Aby Warburg, denn der hat die Pinn-Wand erfunden und ihn damit auf die Idee gebracht.

      Jetzt ordnet sich das Durcheinander wie von selbst, wenn er hunderte von Zettel, abgerissene Servietten, Briefe und Briefchen, Papiere, vollgekritzelt mit eigenen Gedanken und Empfindungen, getrocknete und in Lieblingsbüchern gepresste Eichenblätter auf die entsprechenden Wandtafeln, welche alle Rollen haben, mit kleinen Silbernadeln heftet.

      Nun schweben all die ihm im Augenblick so herzensteuren Erinnerungen zum Anschauen, Betrachten und Sinnieren an schmalen, hoch gestellten Tafeln um ihn herum wie ein kleiner Wald, der, wenn man in ihm herumwandert, in Zeitlupe seine Bäume tanzen lässt, weil sie Beine haben. Dann beginnen die Erinnerungen, nach denen er gerade sucht, plötzlich aufzuleuchten wie Sterne, die man zwischen den Astkronen greifen kann. Unwillkürlich lacht er auf. Er erinnert sich an seinen Kometen. „Meine Güte, das ist schon lange her, der ließ sich einfach nicht einfangen, und ich lande in der Pfütze.“

      Jeder Tafelbaum trägt eigene Erinnerungsfrüchte: So gibt es beispielsweise eine

       Tanteemmi-,

       Muttervater-,

       Onkelkurtsegeln-,

       Potzblitzmutter-,

       VaterOnkelkurt-,

       oder Mutterchefarztsohnwand.

      Wenn sich etwas auf eine falsche Wand verirrt hat, wird es unverzüglich auf eine andere Wand gesteckt, wo es besser aufgehoben zu sein scheint: Mit einem Mal werden ihm dann die Beziehungen, Entsprechungen und Zusammenhänge zwischen den Dingen deutlicher, manche springen förmlich hervor, weil bestimmte Erinnerungskostbarkeiten – zufälliger- oder überraschenderweise – sich so nahe gekommen sind, dass ihm ein Licht aufgeht.

      Ein einzigartiges, sich immer wieder neu formierendes Puzzlelebenserinnerungsspielbild ergibt sich da, aus rollenden Tafelbäumen bestehend und fliegenden Papiererinnerungsschwalben, die zwischen den sich hin und her bewegenden Pinnwänden herumschwirren und ihren Ort, ihre Tafel suchen, die nämlich, wo sie im Augenblick ihr Nest haben.

      Alles ist in steter Bewegung begriffen, nichts ist fixiert: Ein Puzzlebild, das sich in sich beständig verändert, da braucht er seinen Himmelspuzzlestein für rechts oben nicht mehr. Als es ihm in der Hose kneift und er ungläubig den Stein aus seiner Hosentasche zieht, lacht er schallend auf: „Du kommst jetzt auf die Nichtswand, die neben meiner Sternenlichtflunkerwand steht, und da bleibst du erst mal eine Weile!“

      Direkt neben sich, auf dem Schreibtisch, hat er seit neuestem einen Diaprojektor stehen, der, wenn er ihn wie gewöhnlich ohne Dias einschaltet, seinen Erinnerungsbildern einen neutral genialen Rahmen verschafft. Die Bilder,

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