Der raumlose Raum. Peter Mussbach

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Der raumlose Raum - Peter Mussbach

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jetzt spielerisch angehen und ihn mit eigenen Waffen schlagen. Seine Assistenten seien schon dabei, an einem Ritter zu arbeiten, der ihn zur rechten Zeit – gleichsam überraschend – von einem besseren Leben überzeugen solle. Das Ganze wäre zwar ein höllisches Spiel, das aber sei letztendlich jede Therapie, selbst wenn sie auf der Höhe der Zeit und wissenschaftlich abgesegnet wäre: Eine Höllentherapie.

      „Was du nicht alles weißt“, ruft er erstaunt aus, „neunzehnhundert Jahre alt, was für ein Ritter soll das denn sein?“ Als er sich Stirn runzelnd umwendet, hat sich der Junge schon einige Schritte von ihm weg ins Dunkle entfernt.

      Was für ein verdammter Ritter denn, so sag doch!

       Es ist ein Ritter, mehr weiß ich nicht!

       Also ein Ritter, aber wie und wann denn?

       Keine Ahnung, in jedem Fall ein Ritter!

       Und mit eigenen Waffen, gegen mich, was soll das heißen?

       Spielerisch!

       Was?

       Spielerisch!

       Und wann, bei welchem Spiel?

       Keine Ahnung! Wann der Ritter kommt, ist schwer zu sagen!

       Der Ritter kommt, meinst du!

       Er wird kommen, so oder so!

       Na, wie auch immer, danke!

       Pass auf!

       Ich werde aufpassen, ich verspreche es dir!

      „Gut, dass wir uns getroffen haben, ein toller Kerl war das“, denkt er, als er spätnachts wieder in seinem Bett liegt und vor Freude und Angst nicht einschlafen kann. „Es ist warms!“, sagt er sich und die Wärme, die ihn durchströmt, wappnet ihn von innen, da kann der Ritter mit seiner Ritterrüstung ruhig kommen. Das wird sein letzter Alleinsonntag gewesen sein, da ist er sich sicher, denn jetzt ist er ein richtiges Kasperle geworden. Für den Fall des Falles aber steckt er sich vorsichtshalber sein Kasperle auf den Zeigefinger, wer weiß, wann der Ritter kommt. Dann schläft er endlich ein.

      Als das Zweite Dienstmädchen ihn am nächsten Morgen weckt, weil er zur Schule muss, klingelt das Telefon und er darf weiter schlafen: In der Schule brennts, obwohl er nicht zum Gremlin geworden ist.

      Der Kampf mit dem Ritter

      Zu dritt haben sie ein Kasperletheater gegründet, das heißt, Benjamin, Christian und er. Und heute ist ihr großer Tag. Davon aber wissen sie noch nichts.

      Durch die Vorhangschlitze drängt die nicht zu bändigende Sonne in die gespenstische Villenwohnhalle, so dass der kühle Fünfzigerjahreluxus unwirklich in nachtschwarze und gleißendhelle Orte unterteilt ist wie in lauter Himmel und Höllen. Es klopft, rüttelt, quietscht und hämmert und klingt manchmal schief: „Wieder daneben gehauen!“ „Scheiße!“ hört man hier und dort oder: „Autsch, mein Daumen!“

      Christian, Benjamin und er sind gerade dabei, ihr Kasperletheater zusammenzuzimmern, was ihnen heute nicht so recht gelingen will, denn sie sind höllisch aufgeregt wegen der Premiere ihres neuen Stückes, da trifft man den Nagel nicht immer auf den Kopf – irgendwie alles schief! Warum ihm sein „schiefer“ Großvater, der Vater seiner Mutter, in den Kopf kommt, er hat keine Ahnung. Außerdem ist man erst fünf, da darf man doch aufgeregt sein.

      Seit ein paar Monaten spielen sie auf Geburtstagsfeiern anderen Kindern ihre Geschichten vor, die sie bei ihm im Keller zuhause einstudieren dürfen, „denn sie spielen ja nur“, sagt seine Mutter lächelnd und tut so, als hätte sie keine Ahnung, während sie schon das Schlimmste vermutet.

      Schon nach den ersten Vorstellungen sind sie überall eingeladen: „Einmal etwas anderes“, sagen die Eltern. Und Benjamin, der kleinste von ihnen, lispelt dasselbe: „Mal etwas anderes, statt immer nur Topfklopfen, die Reise nach Jerusalem oder Schlagsahne, in welcher Form auch immer“ – zum Lachen komisch und unschlagbar gut imitiert er die Eltern, die sie eingeladen haben, so dass man glaubt, sie vor sich stehen zu sehen. Benjamin hat eine Karriere vor sich.

      Der Vorhang geht auf! – Das Kasperle ist allein und erzählt von seiner schlaflosen Nacht. Es geht ihm schlecht, sagt es, sehr schlecht, weil ihn der König und die Königin eingesperrt haben, und das Kasperle nicht weiß, warum? Pausenlos, die ganze Nacht über, hat es nachgedacht, was es wohl ausgefressen hat, aber ihm, dem Kasperle, ist nichts Besonderes eingefallen.

      Das Kasperle liegt in seinem Bett und hat Schiss in der Buchs, weil der König oder zumindest die Königin etwas gegen ihn im Schilde führen, das Gefühl hat das Kasperle wenigstens. Denn hoch über ihm, dem Kasperle, turnt der Teufel an der hin und her schwingenden Kinderzimmerlampe und hat zu allem Unglück auch noch die arme Gretel im Würgegriff fest im Arm, die er dem Kasperle gestohlen hat, weil sie die Frau vom Kasperle und sein Liebstes ist, was der Teufel hasst, weil er die Liebe hasst, sonst wäre er nicht der Teufel.

      „Die wollen mich fertig machen“, ruft das Kasperle den Kindern zu, wobei es immer wieder aus den Augenwinkeln nach oben schaut und panische Angst bekommt, der Teufel könne jeden Augenblick mit einem tollkühnen Aufschrei des Triumphes nach unten stürzen und die Gretel für immer mit sich in die Hölle hinab reißen. – „Irgendetwas stimmt hier nicht“, denkt das Kasperle, erzählt es aber nicht weiter. Das Stück, in welchem das Kasperle am Anfang so lange im Bett liegen muss, geht mit dem Teufel zu, der auch noch die Gretel in seinen Fängen hat, das ist nicht das Stück, das sie einstudiert haben: „Gut, dass ich nicht schlafe!“, ruft das Kasperle, „und alles mitbekomme, jetzt heißt es wachsam sein!“ „Hilfe!“, rufen die Kinder, weil drüben auf der Kommode ein riesiges Krokodil erscheint! „Hilfe!“, ruft das Kasperle und richtet sich entsetzt auf: „Das Krokodil spielt doch gar nicht mit, keine Ahnung von einem Krokodil!“

      Plötzlich reißt das Krokodil seinen ungeheuren Rachen auf und zeigt dem Teufel seine scharfen Hauer. Trotzig, mit einem abfälligen, lang gedehnten „Paahhh“ zwischen den schwarzschwarzen Zähnen hindurch fletscht der Teufel zurück und baumelt ausgelassen weiter mit der Gretel unter der Zimmerdecke an der Lampe, die bei allem Hin und Her in so ekelhaftes Quietschen gerät, dass es den Kindern unten im Zuschauerraum durch Mark und Bein fährt und sie sich die Ohren zuhalten müssen, die Augen offen.

      Mit einem Mal lässt der Teufel sich und die Gretel vollkommen überraschend fallen und klemmt, nach einem wilden Aufschrei im Publikum, mit den Kniekehlen wie ein weltbekannter Akrobat kopfüber an einem der Lampenarme und hält die Beine der Gretel in Händen. Höhnischhöllisch lachend lässt er ihren Kopf wie einen fetten Köder immer wieder haarscharf am triefenden Maul des Krokodils links und rechts vorbei fliegen, so dass es dem Krokodil bei aller Kopfdreherei schnell schlecht wird: „Na, du Fresserchen“, ruft der Teufel gemein nach unten, „so beiß doch zu, du kleines Fresserchen.“ Jetzt muss das Kasperle etwas unternehmen, das weiß das Kasperle! Das Krokodil, das ihm offensichtlich helfen wollte, schafft es nicht: Vom vielen Kopfdrehen sitzt es jetzt genickstarr da und schielt vor sich hin, wie Christian, wenn er erregt ist.

      Als er aus seinem Bett springen und selber angreifen will, erhebt sich – wie aus dem Nichts heraus – ein wahrer Affentanz hunderter winziger Mickeymausritter um sein Bett herum, so dass dem Kasperle nichts anderes übrig bleibt, als sich sofort wieder ins Bett zu flüchten und sich unter der Decke zu verkriechen. Wie durch Watte hört er die warnenden Rufe vom Seppel, von Christian gespielt, der hinter dem erstarrten Krokodil auf der Kommode aufgetreten ist, um ihn vor einem Ritter zu warnen, der gleich kommen wird. – Ungläubig schaut das Kasperle unter der Decke hervor und glaubt, es hätte sich verhört: „Was für ein Ritter?“,

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