Philosophenkönig – eine Einführung. Martin Arnold Gallee

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Philosophenkönig – eine Einführung - Martin Arnold Gallee

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Wie, oh Hippias, hast du nicht bemerkt, dass ich nie aufhöre, an den Tag zu legen, was ich für Recht halte? Hippias: Und wie ist dein Reden darüber? Sokrates: Nicht durch Worte, sondern durch die Tat lege ich es an den Tag. – Und ist die Tat nicht ein besserer Beweis als das Wort?[8]

      Was hier zunächst deutlich wird, ist, dass sich Sokrates nicht etwa nur über die Schrift kritisch äußert, sondern sogar über die Sprache an sich. Während sich ein gewisser Vorbehalt gegenüber dem leicht Dahingesagten bis heute in vielen Sprachen zeigt (‚Worte sind nur Schall und Rauch’, ‚Talk is cheap’ etc.), hat die hier zitierte Stelle einen tieferen Hintergrund, bei dem es zwischen Platon und seinem Lehrer ohne Zweifel keine inhaltlichen Differenzen gab. Denn beide vereinte eine tiefe Abneigung gegen eine zu ihrer Zeit sehr einflussreiche Schule – die Sophistik. Obwohl sich auch die Sophisten selbst in grundlegenden Fragen oft uneins waren[9]!, verband sie doch die gemeinsame Ablehnung der Vorstellung der Wahrheit. Der Mensch komme bei der Beobachtung und im Umgang mit der Welt immer nur zu relativen Erkenntnissen, die letztlich alle nur für seine eigene Perspektive gültig seien. Insbesondere könne man nicht ernsthaft der Sprache die Aufgabe übertragen, Wahres zu vermitteln. Vielmehr unterliegt die Verwendung der Sprache nach Meinung der Sophisten der Willkür derer, die sie für ihre Zwecke einsetzen, sei es vor Gericht, in der Politik usw. Die Sprache ist für sie also kein Mittel der Weltbeschreibung, sondern der Weltbeeinflussung[10]!. (Wenn man dieses Szenario aus einer etwas anderen Perspektive betrachtet – die später bei Hegel und Heidegger allerdings sehr wichtig wird –, dann tritt der Mensch für die Sophisten der Welt mit einer aktiven Haltung gegenüber. Er wird hier also nicht nur als passives Medium verstanden, durch das die Inhalte seiner sprachlichen Äußerungen fließen – er erzeugt diese Inhalte vielmehr selbst und zwar vor dem Hintergrund seiner eigenen – jeweiligen – Interessen und Zielsetzungen.)

      Für Sokrates hingegen hat sich die Sprache – unabhängig davon, ob es sich dabei um ihre mündliche oder schriftliche Form handelt – immer nur an einem zu orientieren: den Dingen, so, wie sie in Wahrheit sind. Und seine Vorbehalte gegen beide Formen der Sprache rühren vor allem daher, dass es möglich ist, Sprache im Sinne bloßer Nützlichkeit zu manipulieren – also auch, zu lügen. Dass dies bei der Schrift noch leichter möglich ist als im Fall der gesprochenen Sprache ist letztlich nur ein gradueller, kein wesentlicher Unterschied. Infolgedessen hat Sokrates auch über die Redekunst, die Rhetorik, vor allem Kritik vorzutragen, denn sie hat sich in ihrer Geschichte immer mehr vom Ideal der Wahrheitsfindung entfernt und ist zum bloßen Instrument degeneriert, das man für irgendwelche Zwecksetzungen ge- und missbrauchen kann. Aus dieser Perspektive hat der absolute Tiefpunkt der Rhetorik vor allem einen Namen: in utramque partem. Das bedeutet auf Deutsch in etwa die – aus Sokrates´ Sicht natürlich sehr zweifelhafte – Fähigkeit, immer für beide Seiten argumentieren zu können und insofern ‚flexibel’ zu sein[11]!. Für Sokrates ist dagegen der Redner nur das Medium, durch das die Wahrheit spricht. Was sich in einer Debatte daher als das stärkere Argument herausstellt, tut dies folglich nicht etwa dank rhetorischer Kniffe, sondern schlicht und ergreifend deshalb, weil es das stärkere Argument ist. Dass ihm Aristophanes in den Wolken ausgerechnet den Vorwurf macht, er wolle in seinen Gesprächen „das schwächere Argument stärker machen”[12], zeigt, wie wenig er von Sokrates und seinem Denken verstanden hat oder verstehen wollte.

      Die strikte Orientierung an der Wahrheit der Welt und dem Glauben daran, dass es eine solche Wahrheit tatsächlich gibt, wurde zwar von den Sophisten bestritten, stellte aber ansonsten in der Antike – und noch lange danach – eine solide Mehrheitsmeinung dar. Dass sich das Denken oder die Sprache von der Wahrheit auch nur entfernen könnte, geschweige denn sollte, kam – vor allem in wichtigen Fragen – bis ins 17. Jahrhundert einem intellektuellen Sakrileg gleich[13]!. Auf die Philosophie bezogen herrschte in der Antike und noch lange danach folglich das ‚ontologische’ Paradigma. Dabei ist ein Paradigma eine Art Weltbild, durch das die Dinge gesehen werden[14]!. Man spricht hier nun von einem ‚ontologischen’ Weltbild in Anlehnung an die Ontologie, also die Lehre vom Sein[15]!. Denken und Sprache haben sich folglich an der Welt, so wie sie ist, zu orientieren. Wir werden auf die anderen Paradigmen in der Philosophie noch zu sprechen kommen. Dass es so etwas wie Paradigmenwechsel (also Änderungen in der Sichtweise der Dinge auf einer sehr grundsätzlichen Ebene) in der Philosophie überhaupt gegeben hat, erklärt aber bereits, warum wir heute zum Teil so große Schwierigkeiten haben, Denker anderer Epochen zu verstehen – obwohl es sich dabei doch schließlich auch um Philosophen handelt.

      Die Tatsache, dass die philosophischen Mehrheitsverhältnisse eigentlich auf der Seite Sokrates´ waren, zeigt aber auch, dass die Gründe für seine Anklage sowie die sich anschließende Verurteilung zum Tode nicht in diesem Bereich zu suchen sind. Was es genau war, das die Athener gegen ihn aufbrachte, werden wir noch betrachten, philosophische Differenzen waren es jedenfalls nicht. Was in diesem Zusammenhang oft Verwirrung stiftet, ist die Tatsache, dass Sokrates in seinem Prozess ausgerechnet der Vorwurf des Sophismus gemacht wurde, ihm also genau das unterstellte wurde, was er doch eigentlich offen bekämpfte. In der politisch aufgeheizten Stimmung in Athen wurde der Sophismusvorwurf aber oft einfach als Rundumschlag eingesetzt, und man war damit ähnlich schnell bei der Hand wie heute mit dem Begriff des Terrorismus. Klar ist jedenfalls, dass Sokrates fest auf dem Boden des ontologischen Paradigmas stand und daher die sophistische Abwendung von der Wahrheit im Dienste bloßer Nützlichkeit immer abgelehnt hat – so nachhaltig, dass er selbst die Tatsache, dass sich die Sprache von den Sophisten für solche Zwecke missbrauchen ließ, zum Anlass einer grundlegenden Sprachkritik nahm.

      Denn die Vorbehalte, die Sokrates gegenüber der Sprache hat, resultieren genau aus dieser Sprachverwendung. Wie wir gleich sehen werden, setzt er die Sprache selbst durchaus gezielt ein, allerdings nicht, um seine Gesprächspartner zu manipulieren, sondern um ein Wissen zutage zu fördern, das in diesen schon immer geschlummert hat. Dieses Vorgehen wird als Mäeutik bezeichnet, also eine Form der Geburtshilfe. Sokrates glaubte, dass jeder Mensch durch seine Vernunft in der Lage sei, das Wahre und Gute zu erkennen, wenn auch nicht jeder dieses Potential ausnutzt[16]!. An dieser Stelle kommt nun für Sokrates der Philosoph ins Spiel. Denn er hat die Aufgabe, seine Mitmenschen dabei zu unterstützen, sich zu entwickeln – und das ist für Sokrates wörtlich zu verstehen. Denn ein voll entwickelter, ‚richtiger’ Mensch ist man für ihn nur dann, wenn man auch richtig handelt, also das Richtige tut[17]!. Und das kann man laut Sokrates eben nur dann, wenn man weiß, was das Richtige ist. Der Philosoph führt die Menschen also an das in ihnen ruhende Wissen über das Gute und Richtige heran, er leistet Hilfe zur Selbsthilfe, nur darin besteht sein Beitrag[18]!. Er hat in diesem Sinne eine Art Vermittlerfunktion und bringt von sich aus nichts substantiell Neues ein. Folglich ließ sich Sokrates nicht für seine Dienste bezahlen, ein weiterer wesentlicher Unterschied zu den Sophisten.

      Dabei beschränkt sich die Aufgabe des Philosophen für Sokrates auf den – wie wir heute sagen würden – theoretischen Teil, also die Hervorbringung des Wissens um das Gute. Denn so seltsam das für uns auch klingen mag: Die Umsetzung dieses Wissens in das richtige Handeln erledigt sich buchstäblich von selbst. Für Sokrates stand nämlich fest: Wer das Gute kennt, tut es auch – obwohl sich diese wörtliche Formulierung, die Sokrates oft unterstellt und für die er oft kritisiert wird, bei Platon an keiner einzigen Stelle findet. Allerdings legt Platon seinem Lehrer durchaus diesen Zusammenhang zwischen dem Wissen um das Gute und dem entsprechenden Handeln in den Mund, wohl auch, weil er dessen Meinung teilte. Der Grund dafür ist nun aber nicht die zumeist vermutete Naivität, vielmehr stand für beide fest, dass das Gute stets auch das Nützliche ist[19]! – und aus diesem Grund handelt derjenige automatisch gut, der um das Gute weiß. Wer dem Guten zuwider handelt, tut dies also nicht aus einem wie auch immer gearteten moralischen Defizit heraus, vielmehr kennt er das Gute einfach (noch) nicht[20]!.

      Der Tätigkeit des Philosophen kommt folglich nicht nur eine akademische, sondern durchaus auch eine soziale und politische Bedeutung zu[21]!. Denn die Lebenswelt des Menschen besteht ja vor allem wiederum aus anderen Menschen,

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