Philosophenkönig – eine Einführung. Martin Arnold Gallee

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Philosophenkönig – eine Einführung - Martin Arnold Gallee

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aber links und rechts die Köpfe wegen der Fesselung nicht umzudrehen vermögen; das Licht für sie scheine von oben und von der Ferne von einem Feuer hinter ihnen; zwischen dem Feuer und den Gefesselten sei oben ein Querweg; längs diesem denke dir eine kleine Mauer erbaut, wie sie die Gaukler vor dem Publikum haben, über die sie ihre Wunder zeigen.[6]

      Der Vergleich am Schluss ist nicht zufällig gewählt. Denn Sokrates fährt fort:

      So stelle dir nun weiter vor, längs dieser Mauer trügen Leute allerhand über diese hinausragende Gerätschaften, auch Menschenstatuen und Bilder von anderen lebenden Wesen aus Holz, Stein und allerlei sonstigem Stoffe, während, wie natürlich, einige der Vorübertragenden ihre Stimme hören lassen, andere schweigen.[7]

      Das Feuer am Eingang der Höhle erfasst die Gegenstände, die über die Mauer ragen und wirft ihre Schatten über die Gefangenen hinweg an die Wand der Höhle, die sie gezwungenermaßen anschauen. Anders gesagt: Die gefesselten Menschen sehen immer nur die Schatten der Dinge und nicht die Dinge selbst. Da sie aber nie etwas anderen kennen gelernt haben als die Situation in der Höhle, würden sie „nichts für wahr gelten lassen als die Schatten jener Gebilde”[8]. Sie verwechseln die Schatten mit den echten Dingen, wobei zu dieser Täuschung beiträgt, dass die Gespräche der Personen hinter der Mauer (die die Gegenstände dort vorbeitragen) von der Wand vor den Gefangenen widerhallen, sodass die Schatten zu sprechen scheinen.

      Bis hierhin scheint Platon zunächst auf eine metaphorische Art nur eine – allerdings wichtige – Unterscheidung zu wiederholen, die schon für seinen Lehrer von großer Bedeutung war: die metastufige Differenz von echtem und Scheinwissen[9]!, also des Unterschieds zwischen den echten Dingen hinter der Mauer einerseits und den von diesen geworfenen Schatten andererseits. Diese Differenz ist auch tatsächlich wichtig für Platon, sogar so wichtig, dass er dafür zwei Begriffe einführt: die wahre Erkenntnis, episteme[10]!, steht dabei der bloßen Meinung, doxa[11]!, gegenüber. (Was allerdings in diesem Zusammenhang gerne übersehen wird, ist die Tatsache, dass die hinter der Mauer vorbeigetragenen Gegenstände echte Dinge relativ zu ihren Schatten an der Wand sind. Platon lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass es sich um Duplikate – also etwa Statuen – handelt, denen relativ zu den Dingen außerhalb der Höhle selbst nur eingeschränkt Echtheit zugeschrieben werden kann. In welcher Form, werden wir noch sehen.)

      Allerdings macht Platon auch die Frage der Quelle der Erkenntnis bzw. ihres Scheins zum Thema. In diesem Zusammenhang kommt nun der Tatsache, dass die gefesselten Höhlenbewohner sich mit (und von) ihren Sinnen täuschen lassen, eine entscheidende Bedeutung zu. Denn Platon lässt keinen Zweifel daran, dass die Situation in der Höhle natürlich nicht wörtlich, wohl aber als Metapher der menschlichen Weltbegegnung insgesamt zu verstehen ist. Den Hinweis durch Glaukon: „Ein wunderliches Gleichnis, […] und wunderliche Gefangene!”[12] beantwortet Sokrates nämlich so: „Leibhaftige Ebenbilder von uns!”[13].

      Da die Situation der Gefangenen also zumindest prinzipiell der conditio humana insgesamt entspricht, stellt das Höhlengleichnis eine erkenntnistheoretische Stellungnahme Platons dar. – Kurz gesagt: Unsere Sinne täuschen uns, der Mensch kann sich bei seinem Weltverhältnis der Wahrheit auf diesem Weg somit nicht nähern. Diese Ansicht über die menschliche Erkenntnis ist unter der Bezeichnung Rationalismus äußerst wichtig geworden, seine Vertreter reichen von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646‐1716) über René Descartes und viele andere bis zu den heutigen sogenannten Konstruktivisten. Während Platon diesen Gedanken ausarbeitet und in der Philosophie populär macht, stammt er ursprünglich von einem Denker, von dem wir nicht viel mehr wissen, als dass er zwischen dem Ende des sechsten und dem Anfang des fünften Jahrhunderts v. Chr. gelebt hat: Parmenides.

      Platon macht aus dem Einfluss der Gedanken „des Vaters Parmenides”[14]! auf ihn kein Geheimnis, in dem Dialog Parmenides wird ihm sogar gestattet, Platons (von Sokrates vertretene) Ansichten mit einigem Erfolg zu kritisieren. Dabei basiert das Gewicht von Parmenides´ Ansichten auf einem einzigen Werk, das heute nur noch als Fragment erhalten ist: ein Lehrgedicht mit dem Titel Über die Natur. Darin schildert der Autor in einer sehr bildhaften Sprache die Fahrt in einem Pferdewagen Richtung Himmel, wo ihm eine Göttin den Unterschied von echtem und falschem Wissen erklärt[15]!.

      Dabei ist zunächst nicht überraschend, dass die Göttin die Sinne – „das blicklose Auge und das dröhnende Gehör”[16] – als Quelle der Wahrheit ausschließt. Letztere ist nämlich unveränderlich und ewig, die sich ständig ändernden Sinneseindrücke können bereits aus diesem Grund nur Täuschungen liefern. Es gibt nach Parmenides kein Entstehen und Vergehen, das wahre Sein ist ewig: „Ohne Ursprung, ohne Aufhören”[17]!.

      Die einzige Möglichkeit des Menschen, Erkenntnisse über das Sein zu gewinnen, ist das Denken, „denn dasselbe ist Denken und Sein”[18]. Das heißt aber auch (und auch dieser Gedanke wird über Platon die Philosophie nachhaltig beeinflussen), dass das Denken nicht über das Sein hinausgehen kann. Etwas, das nicht ist, kann auch nicht gedacht werden[19]! – Platons Probleme mit der Kunst im Allgemeinen und den Dichtern im Besonderen[20]! finden sich hier ebenso bereits vorgezeichnet wie die Jahrtausende lange Schwierigkeit der Wissenschaft, Sprache und Theorien als Instrumente anzuerkennen, die die Welt nicht abbilden oder nacherzählen, sondern gezielt verändern sollen.

      Dass sich der Einfluss, den Parmenides mit seinem Lehrgedicht auf Platon gehabt hat, nicht nur auf diesen inhaltlichen Aspekt beschränkt, wird besonders deutlich, wenn man den weiteren Verlauf des Höhlengleichnisses betrachtet. Wie Sokrates dort erläutert, wird einer der Gefangenen von seinen Fesseln gelöst und genötigt, in der Höhle umher zu gehen. Man erklärt ihm die Zusammenhänge, zeigt ihm das Feuer (an das sich seine Augen erst langsam gewöhnen müssen) und sagt ihm, dass er damit nun „dem wahren Sein schon näher sei und sich zu schon wirklicheren [!] Gegenständen gewandt habe”[21], während die Schattenbilder nur Täuschungen gewesen seien. Dieser völlig verwirrte Mensch wird dann auch noch aus der Höhle hinausgeführt und lernt mit der Sonne und den durch sie beschienenen Gegenständen nun endgültig das wahre Sein sowie die wirklichen Gegenstände kennen – dass Platon den Ausgang aus der Höhle und die Hinführung zum Licht der Sonne ausdrücklich als ein „Hinaufziehen”[22] bezeichnet, ist dabei eine klare Anspielung auf die Himmelfahrt im Lehrgedicht von Parmenides[23]!.

      Mit diesem kurzen Szenario ist der Kern der Platonischen Philosophie dargestellt, auch wenn das Höhlengleichnis selbst an dieser Stelle noch nicht vorbei ist. Denn Platon kann es sich nicht verkneifen, die Frage zu stellen, was passieren würden, wenn dieser der Wahrheit nun kundige Mensch „wieder hinunter käme”[24] und seinen ehemaligen Mitgefangenen in der Höhle von seinen Erkenntnissen berichten würde. Dass sich die in der Dunkelheit Zurückgebliebenen gegen die Wahrheit wehren und den Wissenden wegen dessen Versuch, sie auch der Erkenntnis zuzuführen, gar umbringen („würden sie ihn nicht ermorden, wenn sie ihn in die Hände bekommen […] könnten?”[25]) ist nicht schwer als deutliche und kritische Anspielung auf das Schicksal seines Lehrers Sokrates zu verstehen.

      Der eigentliche philosophische Gehalt des Höhlengleichnisses beginnt aber bei der bereits oben erläuterten erkenntnistheoretischen Zurückweisung des sinnlichen Weltzugangs: Die Sinne, so Platon in Übereinstimmung mit Parmenides, täuschen den Menschen und sind tatsächlich nur Schatten der wahren Dinge[26]!. Sie suggerieren Veränderungen, die es in Wahrheit gar nicht geben kann, denn die Wahrheit ist ewig und immer gleich.

      Das Organ des menschlichen Weltbezugs, das geeignet ist, die Wahrheit zu erfassen und das ebenfalls bereits bei Parmenides in den Mittelpunkt des Interesses gerückt wird, ist demgegenüber das Denken.

      Eine Präzisierung dieser erkenntnistheoretischen Zusammenhänge legt Platon in einem zweiten Gleichnis am Ende des sechsten Buches der Politeia

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