Philosophenkönig – eine Einführung. Martin Arnold Gallee

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Philosophenkönig – eine Einführung - Martin Arnold Gallee

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Auf der obersten Ebene, so erläutert Sokrates, ist die Linie in zwei Teile untergliedert, die der sinnlichen und denkenden Form des Weltbezugs entsprechen: Sichtbares und Denkbares.

      Der Rolle der bereits im Höhlengleichnis zur Sprache gekommenen Sonne widmet Platon zunächst ein eigenes Gleichnis, das Sonnengleichnis. Der aus der Höhle hinauf ans Tageslicht gebrachte Mensch sieht dort Dinge, die von der Sonne bestrahlt werden, anders gesagt: Er sieht die wahren Dinge dank der Sonne. Sie selbst gehört nicht zu diesen Dingen, ermöglicht aber erst deren Wahrnehmung. Um einen erst viel später von Kant eingeführten Ausdruck zu benutzen: Die Sonne ist die Bedingung der Möglichkeit, also die notwendige Bedingung des Sehens der wahren Dinge.

      Das scheint nun angesichts des im Höhlengleichnis zu den Sinnen Gesagten sowie der im Liniengleichnis erläuterten Aufteilung in Formen menschlicher Weltverhältnisse in das Sichtbare und Denkbare zu einem Widerspruch zu führen. Denn wenn die Sinne den Menschen immer über die wahren Dinge täuschen, wie kann dann ausgerechnet die Sonne für Erkenntnisse sorgen?

      Licht ins Dunkel bringt in diesem Fall die Einsicht, dass wir auch heute noch in vielen Sprachen über das Wissen und die Erkenntnis metaphorisch reden (etwa, wenn uns ein ebensolches Licht aufgeht), wir benutzen also Ausdrücke, die dem Feld der Sinnlichkeit entnommen sind, beziehen uns dabei aber auf Geistiges. Und genau so geht Platon vor, wenn er die Sonne als, wie er schreibt, „Kopie”[27] von etwas Anderem versteht – und dieses Andere ist ebenso dem Bereich des Denkens zuzuordnen wie unser Zugang zu den wahren Dingen, die von der Sonne ‚beleuchtet’ werden. Der aus der Höhle zur Sonne aufgestiegene Mensch vollzieht also erkenntnistheoretisch betrachtet auch den Wechsel von den täuschenden Sinnen zum Denken – und die Frage, die dann noch zu beantworten wäre, ist die, was denn dieses Andere ist, für das die Sonne im Höhlengleichnis steht, und was genau es ermöglicht.

      Wir sind damit bei einem Teil der Platonischen Philosophie angekommen, dem zwar ohne Frage einige Bedeutung zukommt, der aber im Lauf der Zeit so ausführlich zum Objekt der Interpretation gemacht wurde, dass man zu Recht zwischen den bei Platon tatsächlich zu findenden Positionen und dem als abgeschlossene Lehre präsentierten Platonismus unterscheidet. Gemeint ist die so genannte Ideenlehre, der seit Aristoteles und seiner Kritik an ihr sowohl an Umfang als auch philosophischer Bedeutung ein weitaus größeres Gewicht beigemessen wird als das bei Platon selbst der Fall ist. Im Übrigen geht Platon in mehreren seiner Werke (vor allem im Parmenides) kritisch auf sein eigenes Denken in Bezug auf die Ideen ein; der erste Kritiker Platons in dieser Hinsicht ist also nicht etwa Aristoteles, sondern Platon selbst[28]!.

      Gerade durch die ständige Weiterentwicklung seiner Argumentation macht Platon das Vorhaben, sich bezüglich der Ideen an seinem Werk selbst statt an populären, vereinfachten Versionen der Ideenlehre zu orientieren, aber auch selbst nicht gerade einfach. Das beginnt bereits mit der Frage, wo die Behandlung dieses Themas bei ihm eigentlich einsetzt. Der gängigen Einteilung von Platons Werk in drei Phasen folgend wird seine Auseinandersetzung mit den Ideen oft auf die Mittel‐ und Spätphilosophie beschränkt, was auch besagen soll, dass die (eher Sokratisch verstandene) erste Phase von diesem Thema weitgehend unberührt ist. Nun findet sich der erste Beleg des Ausdrucks idea aber bereits in dem Dialog Euthyphron – und der gehört zu den sogenannten ‚Sokratischen’ Dialogen der ersten Phase. Darüber hinaus gibt es Interpreten, die das, was Platon der Sache nach mit den Ideen sagen möchte, bereits noch früher (nämlich im Protagoras[29]) zu finden glauben. Und je länger die Auseinandersetzung Platons mit den Ideen dauert, desto mehr verschiebt sich die Bedeutung dessen, was mit idea gemeint ist, sodass in späteren Werken wie dem Sophistes oder dem Timaios das, was davor möglicherweise an berechtigter Kritik an Platon hätte vorgetragen werden können, schon nicht mehr aktuell ist.

      Wie erwähnt, betreibt Platon diese Kritik in einigen Schriften ohnehin auch selbst. Man wird also letztlich nicht umhinkommen, bei der Darstellung von Platons Philosophieren über die Ideen seinem Denken zu folgen und sich an Inhalten und nicht an der sprachlichen Oberfläche zu orientieren. Wenn man das tut, ergibt sich allerdings ein deutlich anderes Bild als das von der Ideenlehre gewohnte, und das philosophische Profil Platons nimmt eine teilweise unerwartete Form an.

      Bei dem Versuch, sich dem Platonischen Verständnis der Ideen zu nähern, erweist es sich als ratsam, zwei Fragen zunächst getrennt zu behandeln, die sich thematisch zwar überschneiden, sich in der Diskussion aber beide als eigenständige Gesichtspunkte der Philosophie Platons erwiesen haben. Dabei geht es erstens um die Ideen selbst und die Frage, worum es sich bei ihnen genau handelt und wo sie sich eigentlich befinden, und zweitens um das Verhältnis der Ideen zu den Dingen, die keine Ideen sind – um mit einer solchen Formulierung zunächst einmal alle Möglichkeiten offen zu halten.

      Die Beantwortung der ersten Frage kann relativ übergangslos an dem anknüpfen, was bereits im letzten Kapitel im Zusammenhang mit Sokrates zur Sprache gekommen und dort als dessen Position geschildert worden war[30]!. Diese zeigt sich unter anderem in einem Gespräch, das Sokrates mit Euthyphron über die Frömmigkeit führt:

      Oder ist nicht das Fromme dasselbe und sich selbst gleich in jedem Handeln und das Unfromme wiederum zwar allem Frommen entgegengesetzt, sich selbst aber gleich, indem alles, was unfromm sein wird, seine Gestalt gemäß der Unfrömmigkeit hat?[31]!

      Was bei der Schilderung der Sokratischen Position noch als bloße Frage nach dem Allgemeinen erschien, bekommt jetzt, also im Lichte der parmenideisch-platonischen These von der Unveränderlichkeit des Wahren, eine deutlich andere Färbung. Denn damit werden nun die beiden Themenstränge der Wahrheit und der Ewigkeit mit dem der Idee zusammengeführt. Die Ideen sind also zunächst offensichtlich thematisch so aufgeteilt wie die ‚normalen’ Dinge der Welt (das Fromme, das Unfromme etc.[32]!), im Unterschied zu diesen gibt es von ihnen aber nicht mehrere Vorkommnisse, sondern immer nur eine Einheit, die darüber hinaus stets gleich bleibt.

      Durch die Verknüpfung von Wahrheit und Unveränderlichkeit kommt den Ideen also ein höherer ontologischer Status zu als den gewöhnlichen Dingen:

      Denn es handelt sich jetzt bei unserer Untersuchung nicht vorzugsweise um das Gleiche, sondern ebenso um das Schöne an sich und um das Gute an sich und um das Gerechte und um das Fromme und […] um alles, dem wir den Stempel des ‚Seins an sich’ aufdrücken […].[33]

      Die Frage, was die Ideen sind, ist natürlich von der nach ihrem Ort nicht wirklich zu trennen. Für Sokrates, ob er nun nach dem Allgemeinen oder aber tatsächlich nach den Ideen gefragt haben sollte, scheint die Antwort festzustehen: Das Fromme ist in jedem Handeln, die Ideen sind für Sokrates zunächst lebensweltimmanent[34]! – sie befinden sich also in der gleichen Sphäre wie ihre gewöhnlichen Pendants.

      Soweit jedenfalls das bekannte Bild vom an der Praxis orientierten und lebensnahen Sokrates. Es gibt allerdings zu den Ideen – wenn man im Zusammenhang mit ihm davon sprechen möchte – aus der Sicht von Sokrates noch etwas mehr zu sagen, was vor allem ihren Ort betrifft. Denn bereits in der Apologie bringt er das menschliche Wissen sehr eng mit der techné, also dem Gedanken des Herstellens von etwas in Verbindung. Und in diesem Zusammenhang kann nun von einer Sphärengleichheit von den Ideen und den gewöhnlichen Gegenständen nicht mehr gesprochen werden. Denn für Sokrates ist das Herstellen – wenn es nicht „planlos und ziellos”[35] vor sich gehen soll – immer an eine Idee gebunden[36]!, die der Hersteller vor der eigentlichen Herstellung erfasst.

      Diese Tatsache mindert weder die Orientierung an der Praxis durch Sokrates (denn die Ideen sind ja immer noch handlungsleitend) noch den Status der Ideen als wahres Sein (schließlich bleiben sie das, was in allen Handlungen gleich ist und einen wiederholten Handlungsvollzug ermöglicht). Es bedeutet aber, dass Ideen und Handlungen nicht mehr in der selben Sphäre zu verorten sind, denn die vor einer Handlung

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