Philosophenkönig – eine Einführung. Martin Arnold Gallee

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Philosophenkönig – eine Einführung - Martin Arnold Gallee

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will Sokrates, wie gesagt, mit dieser Trennung kein von der Lebenswelt isoliertes akademisches Wissen etablieren, man hat die Ideen im Zusammenhang mit ihm daher auch als Handlungswissen bezeichnet[37]!. – Dabei ist der Handlungsbegriff bei Sokrates so weit gefasst, dass er in seine Argumentation sowohl handwerkliche als auch verbale Aktionen einbetten kann, wie das folgende Zitat zeigt:

      Sag, der gute Mann, das heißt der, der auf das Beste hin redet, wird doch nicht planlos und ziellos sagen, was er sagt, sondern indem er hinschaut auf etwas, wie auch alle anderen [!] Handwerker auf ihr Werk hinschauen? Keiner von ihnen verwirklicht etwas, indem er planlos und ziellos dieses und jenes aufsammelt, sondern damit das, was er verwirklicht, durch ihn eine bestimmte Gestalt habe.[38]

      Und diese Gestalt ist eben die idea, auf die er bereits vor der Handlung ‚hingeschaut’ hat. Die Wortwahl macht auch darauf aufmerksam, dass jeder erkenntnistheoretische Diskurs in der griechischen Antike insofern unter von den heutigen sehr verschiedenen Vorzeichen stattfand, als das Denken als menschlicher Weltzugang noch lange nicht so etabliert und begrifflich ausgestattet war wie in der Gegenwart. Denn obwohl die Orientierung an der Idee geistiger Natur ist, ist das Wort, das den Zugriff auf sie beschreibt, der Sinnlichkeit entnommen: hinschauen[39]!.

      Für Sokrates existieren also vor und unabhängig von konkreten Handlungen Ideen, die den Menschen hinsichtlich seiner jeweiligen Handlung leiten können – eine andere Funktion haben sie nicht. Dennoch ist damit, was den Ort der Ideen angeht, eine oft Platon zugeschriebene Ansicht etabliert: dass nämlich Ideen und Nicht‐Ideen in zwei getrennten Sphären existieren. Für diese auch als Zwei‐Welten‐Lehre bezeichnete Ansicht ist später – u.a. von Aristoteles – ausdrücklich Platon und nicht Sokrates kritisiert worden[40]!, was wohl bereits aufgrund der Tatsache zurückgewiesen werden muss, dass Platon den Gedanken einer solchen Sphären-Trennung im Parmenides ablehnt – ihn aber dort interessanterweise ausdrücklich von Sokrates vortragen lässt.

      Was im Parmenides allerdings auf Platon zurückgeht, ist der Gedanke, dass die Ideen nicht nur auf menschliche Handlungen zu beschränken sind, sondern prinzipiell jedem Ding eine Idee entspricht[41]. Damit ist in Bezug auf die Bedeutung dieses Themas eine massive Erweiterung verbunden, die nicht mehr nur das Feld des praktischen Handelns in der Lebenswelt, sondern potentiell auch Bereiche wie die Ontologie, eher abstrakte Erörterungen zur Moral sowie die Wissenschaft abdeckt. Darüber hinaus hatte Platon bereits im Symposion klargestellt, dass für ihn die Ideen nicht nur den Status bloßer Begriffe haben, sondern tatsächlich selbständig (und vor allem unabhängig von ihrem erkannt Werden durch den Menschen) existieren[42]!.

      Wie seine Kritiker in der Folgezeit immer wieder angemerkt haben, stellen sich Platon mit diesen beiden Denkelementen, also der Universalität der Ideen und ihrer Realität, diverse Probleme in den Weg, die er ihrer Ansicht nach nicht gänzlich aus der Welt schaffen kann: Ganz abgesehen von der gewöhnungsbedürftigen Vorstellung einer idealen Entsprechung von Krankheiten und anderen negativen Dingen ist – gerade angesichts von Platons an der Welt geäußerten Kritik hinsichtlich ihrer Abweichung von den Ideen – unklar, wie sich die Zuordnung beider Bereiche vollziehen soll. Ist zum Beispiel ein verfallenes Haus eine schlechte Manifestation der Idee des Hauses – oder aber umgekehrt eine perfekte Manifestation der Idee eines verfallenen Hauses? Platon selbst wird solche Fragen in seinen späteren Dialogen aufgreifen, nach Meinung vieler seiner Interpreten aber nicht wirklich befriedigend beantworten können.

      Platons eigene Ansichten zum Ort der Ideen lassen sich besser erläutern, wenn wir uns nun der zweiten Frage (der nach dem Verhältnis der Ideen zu den Dingen, die keine Ideen sind) zuwenden. Davor muss trotz des geistigen Zugangs zu den Ideen, der für Sokrates und Platon außer Frage steht, klargestellt werden, dass diese dennoch nicht in den Gedanken des Menschen, der auf die Ideen zugreift, zu verorten sind. Dieser als Mentalisierung der Ideen bekannt gewordene Vorgang findet – mit dem wichtigen Übergang der Interpretation der Ideen als ‚Gedanken Gottes’ im sogenannten Mittelalter – erst viel später bei Descartes und Locke statt.

      Was nun die zweite oben genannte Frage, also die nach dem Verhältnis der Ideen zu den Dingen, die keine Ideen sind, angeht, lassen sich einige Ansätze Platons zu einer Antwort nachweisen. Ganz abgesehen von der beständigen Weiterentwicklung seines Denkens bereitet den Interpreten bis heute vor allem die Tatsache Probleme, dass diese Ansätze Platons nicht nur zumeist unklar formuliert sind, sondern sich darüber hinaus auch noch zum Teil deutlich widersprechen. Allerdings finden sich in diesem thematischen Zusammenhang auch einige der einflussreichsten Gedanken Platons, die bis in die Gegenwart nachwirken.

      Bereits im Höhlengleichnis hatte Platon das Verhältnis zwischen den Dingen, die hinter der Mauer entlang getragen werden, und den Schatten, die ja schließlich von ihnen geworfen werden, differenziert dargestellt. Die Schatten sind einerseits nicht die wahren Dinge, sie stehen allerdings mit ihnen in Verbindung und sind nicht völlig von ihnen losgelöst. Platon redet deshalb im Phaidon davon, dass die Ideen ihren Schatten ‚gegenwärtig’ seien und sich mit ihnen ‚in Gemeinschaft’ befänden[43]. Andererseits betont er mit dem Ausdruck chôris (griech. für ‚Trennung’) auch die Wesensfremdheit beider Sphären, der Ideen und der Dinge der Alltagswelt[44]. Dabei übernimmt Platon von Sokrates auch den Gedanken der Einheit der Ideen im Vergleich zur Vielheit der Gegenstände, für die sie jeweils stehen können. Einer Idee entspricht also immer eine (potentiell unendliche) Vielzahl von Dingen, die alle zu ihr im Verhältnis der Schatten zum Original stehen – eine Idee kann folglich unzählige Schatten werfen. Ebenfalls im Phaidon bezeichnet Platon die Ideen daher auch als Ur-Muster der Dinge, die für sie stehen (paradeigmata)[45]!. Noch im Parmenides lässt er den Titelhelden (der in diesem Dialog Platons eigene Ansichten vorträgt) erläutern, wer auf die Ideen ganz verzichten wolle, werde „nichts haben, wohin er seinen Verstand wende”[46].

      Darüber hinaus versucht Platon, das Verhältnis der Ideen zu ihren Bezugspunkten in der Alltagswelt durch den Ausdruck der Teilhabe (methexis) zu verdeutlichen[47]. Auch hier ist allerdings nicht ganz klar, wie sich eine solche Beziehung angesichts der doch angeblich ebenfalls bestehenden Getrenntheit beider Sphären und der Tatsache, dass eine Idee dabei an unzähligen Dingen teilhat, vollziehen sollte; Platon ist in vielen Fällen für genau diese Unklarheit grundlegend kritisiert worden.

      Das gilt auch für seinen Versuch, die Ideen als kausale Ursache ihrer Entsprechungen zu präsentieren. Schon im Höhlengleichnis sagt Sokrates von der Sonne, „dass sie die Mutter von allen Dingen […] der sichtbaren Welt und von allen […] Anschauungen gewissermaßen die Ursache ist”[48]. Auch wenn, wie sich noch zeigen wird, die Sonne nicht für alle Ideen steht, sondern nur für eine bestimmte, ist damit bereits angedeutet, dass es sich bei den Nicht‐Ideen – zumindest bei der Frage, was und wie sie sind – um Wirkungen der Ideen handelt. Schon im Euthyphron redet Sokrates bei der Diskussion über die Frömmigkeit daher von „jener Gestalt […], durch die alles Fromme fromm ist”[49]. Wie bei der These der Teilhabe der Nicht-Ideen an den Ideen stellt sich aber auch hier die kritische Frage, wie die beiden Sphären der Ideen und der Nicht‐Ideen trotz ihrer Getrenntheit in einem Verhältnis wie dem der Kausalrelation stehen sollen.

      Obwohl dieser Ansatz der Verursachung durch die Ideen bei allen Vorbehalten auch seine Anhänger gefunden hat[50]!, ist es ein weiterer Versuch Platons in dieser Hinsicht gewesen, der bis heute den größten Einfluss genießt. Das hat auch damit zu tun, dass Platon in diesem Zusammenhang die Ideen ausdrücklich als Antwort auf eine reale Problemstellung präsentiert und nicht mit einer fiktiven Geschichte gleichsam aus dem Hut zaubert.

      Dabei geht es thematisch um den Bereich der Wissenschaft, die in der griechischen Antike seit Euklid zumeist mit der Mathematik bzw. Geometrie gleichgesetzt wurde. Platon kritisiert dabei die Wissenschaftler („die, welche sich mit der Messkunst und

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