Philosophenkönig – eine Einführung. Martin Arnold Gallee

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Philosophenkönig – eine Einführung - Martin Arnold Gallee

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zu übernehmen – ein Aspekt, hinter dem sich mehr philosophische Brisanz verbirgt, als man auf den ersten Blick meinen könnte.

      Andronikos von Rhodos (1. Jahrhundert v. Chr.), der erste Herausgeber des Corpus Aristotelicum, brachte die einzelnen Schriften in eine Ordnung, die für lange Zeit den Blick auf das Werk des philosophus prägen sollte. Dass er eines von dessen Büchern deshalb Metaphysik nannte, weil in seiner Systematik direkt davor die Physik kam[8]!, ist dabei noch ein recht harmloser Aspekt, denn immerhin geht es im 12. Buch (das entspricht in etwa unserer Einteilung in Kapitel) der Metaphysik tatsächlich um das Erkennen dessen, was sich jenseits (meta) des Sinnlichen, und damit physisch Gegebenen (physika) befindet. – Wesentlich schwerer wiegt im Rahmen der Anordnung der Aristotelischen Werke, dass noch vor der Physik[9]! eine Gruppe von sechs Abhandlungen gebildet wird, die sich angeblich als logische bzw. methodologische Vorübungen verstehen und den Titel Organon, also Werkzeug, bekommen haben.

      Ganz abgesehen davon, dass es sehr fraglich ist, ob Aristoteles hier überhaupt eine einheitliche Gruppe von Schriften vor Augen hatte (nur zwei verweisen aufeinander), besteht das eigentliche Problem der Betitelung als Organon darin, dass der Eindruck entsteht, der Autor der betroffenen Werke würde unter Logik oder Methodologie etwas der Welt Enthobenes verstehen, das auf diese angewandt wird. Obwohl diese Meinung erstaunlich lange gewirkt hat (es gibt sogar Logik-Lehrbücher aus dem 20. Jahrhundert, die auf dieser Meinung über Aristoteles aufbauen), könnte nichts dem Aristotelischen Denken ferner liegen und seinem Verständnis abträglicher sein.

      Denn Aristoteles steht – genau so wie Sokrates und Platon – fest auf dem Boden des ontologischen Paradigmas. Das bedeutet, dass die Welt und ihre Wahrheit für ihn der letzte Bezugspunkt allen menschlichen Tuns ist. Natürlich nimmt Aristoteles wie seine Vorgänger das Denken und die Sprache zur Kenntnis, und wie sie macht er sie auch ganz explizit zum Thema. Das bedeutet jedoch nicht, dass ihnen dieselbe Bedeutung zukäme wie der Welt bzw. dem Sein. Denken und Sprache haben im ontologischen Paradigma nur eine mediale Bedeutung[10]!; das heißt, sie haben über die Welt, so wie sie ist, zu informieren, und sie haben nur Sinn, solange sie diese Funktion erfüllen[11]!. Es handelt sich bei ihnen nicht um eigenständige Sphären, sie stehen zur Welt also im selben Verhältnis wie früher das Geld zum Gold, durch das es immer vollständig gedeckt sein musste.

      Das ist somit der philosophische Hintergrund, vor dem sich das Grundlagendenken von Aristoteles entfaltet, und der auf jeden Fall berücksichtigt werden muss, wenn man die Argumentationsstruktur seiner Werke verstehen will.

      Es liegt angesichts solcher Probleme bei der Systematisierung der Aristotelischen Werke von fremder Hand nahe, sich zunächst einmal anzusehen, was der Philosoph selbst über die Einteilung der Wissenschaften zu sagen hat, um diese Aussagen dann so weit wie möglich auf seine eigenen Schriften zurück zu beziehen. Dabei gehört für ihn die Philosophie ohne Zweifel zu den Wissenschaften (eigentlich ist es sogar genau umgekehrt: Die Wissenschaften gehören noch zur Philosophie), was auch mit seinem Kriterium für Wissenschaftlichkeit zu tun hat: Wissenschaften beschäftigen sich für Aristoteles nur mit allgemeinen Dingen, eine Wissenschaft vom Einzelnen gibt es nicht[12]!. Auf die Gründe dafür werden wir noch zu sprechen kommen.

      Die oberste Einteilungsebene der Wissenschaften nach Aristoteles geht direkt zurück auf das Thema des menschlichen Weltverhältnisses. Dabei übernimmt Aristoteles von Parmenides und Platon den Gedanken, dass das Wahre auch das Unveränderbare ist. Das ist aber eben noch nicht alles, was es zum Verhältnis des Menschen zur Welt zu sagen gibt. Vielmehr lässt sich die Welt in einen Teil untergliedern, dem der Mensch ohnmächtig gegenübersteht, und in einen, den er durch sein Handeln verändern kann. Und entlang genau dieser Grenze zieht Aristoteles nun die Linie zwischen Theorie und Praxis. Der Aristoteles‐Experte Günther Bien hat das auf folgende präzise Formulierung gebracht:

      Der Herausnahme der Sphäre einer spezifisch zum Menschen gehörigen Welt, d.h. alles dessen, was […] in unserer Verfügungsgewalt steht, aus der Gesamtheit dessen, was als ein unverfügbar Seiendes vorgegeben und hinzunehmen ist, entspricht die Trennung von Theorie und Praxis bei Aristoteles. ‚Theoria’ ist die Weise, wie sich der Mensch vernünftig in Bezug setzt zu dem, was durch diese menschliche Zuwendung nicht verändert und verwandelt wird, nämlich interesseloses Wissenwollen, wie sich die Dinge an sich verhalten. ‚Praxis’ ist der Daseinsvollzug und die Selbstverwirklichung des Menschen durch Handeln im Raume der so ausgegrenzten Welt.[13]!

      Damit ergibt sich zunächst eine Zweiteilung in eine theoretische und eine praktische Philosophie. Diese Trennung ist bei Aristoteles sehr strikt, was eben daran liegt, dass die Wahrheit der Welt nur beobachtet bzw. festgestellt, nicht aber verändert werden kann, weil sie ja immer gleich ist. Deshalb kann die Theorie nur interesselos sein. Die Praxis ist hingegen von menschlichen Zielsetzungen beeinflusst, weil sie sich auf den Teil der Welt bezieht, der für den Menschen disponibel ist. Diese scharfe Trennung ist für uns heute nicht mehr leicht nachvollziehbar, weil sich vor allem in der Neuzeit der Gedanke durchsetzt, dass zwar die physikalische Welt vollständig determiniert ist, der Mensch im Denken hingegen vollkommene Freiheit genießt[14]!. Wie alle Denkvorgänge und ‐strukturen sind Theorien daher für uns heute wie selbstverständlich Instrumente, die zu bestimmten Zwecken eingesetzt werden – nach dem Motto, dass eben nichts so praktisch ist wie eine gute Theorie[15]!. Die Theorie ist also für uns in den menschlichen Zwecksetzungshorizont eingebettet, und genau das ist sie für Aristoteles nicht. Wenn wir Theorie betreiben, so seine feste Überzeugung, geht es uns nur um die Gewinnung von Wissen, nicht um dessen praktische Umsetzung. Und weil diese Überzeugung aus den Eigenschaften der Welt gewonnen wurde, kann es zwischen den Bereichen der Theorie und der Praxis ebenso wenig Überschneidungen geben wie zwischen den auf dieser Grundlage getrennten Feldern der theoretischen und der praktischen Philosophie. Was immer also genau in beiden enthalten ist, es hat nichts miteinander zu tun.

      Dass Aristoteles diese Abgrenzung anhand der Welt und ihres Bezugs zum Menschen festmacht, ist zunächst als deutliche Absage an Platon zu verstehen. Denn während es die Welt für Platon nicht Wert ist, differenziert behandelt zu werden, und er daher eine Einheitsmethode für alle ihre Bereiche entwirft, bringt Aristoteles hier und an vielen anderen Stellen einen Aspekt ins Spiel, der der Bedeutung der Welt in seinem Denken deutlich Ausdruck verleiht: die Angemessenheit. Die Differenzierung von theoretischer und praktischer Philosophie ist angemessen, weil sie wie alles Angemessene „der zugrunde liegenden Sache entspricht”[16].

      Innerhalb der Praxis bzw. der praktischen Philosophie nimmt Aristoteles eine weitere Unterscheidung vor, die nicht vom Verhältnis des Menschen zur Welt, sondern von seinem Bezug zu seinem Handeln abhängt. Dabei kann sich dieses Handeln einmal in einem Ergebnis oder Werk manifestieren, das dem Handelnden vor der Handlung vor Augen stand. Das klassische Beispiel dafür ist der Handwerker, der etwas herstellt; das Themenfeld dieser Art von Handlung umfasst aber alles, das als zweckhaft verfolgtes Werk vom Vorgang der Handlung selbst abgetrennt werden kann. Aristoteles redet in diesem Zusammenhang vom Hervorbringen bzw. von poiesis (griech. für ‚Wirken’), das über das Charakteristikum der Zweckhaftigkeit definiert ist: „Jeder Hervorbringende tut dies zu einem bestimmten Zweck, und sein Werk ist nicht Zweck an sich, sondern für etwas”[17]. – Wenn der Zweck einer Handlung dagegen in der Handlung selbst besteht, es also keine darüber hinausgehende Motivation des Handelns gibt, redet Aristoteles von praxis bzw. von Handeln im engeren, eigentlichen Sinn: „Das Handeln ist […] Zweck an sich”[18].

      Poiesis und Praxis haben also für Aristoteles gemeinsam, dass sie auf das bezogen sind, was nicht notwendig und daher immer gleich ist, sondern „was sich auch anders verhalten kann”[19] – und damit möglicherweise unter dem Einflussbereich des Menschen steht. Während sich die herstellende Poiesis dabei aber immer auf eine bestimmte äußere Zwecksetzung bezieht und sich darüber hinaus in einem von ihr selbst abgrenzbaren Werk manifestiert, trägt die Praxis bzw. das Handeln

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