Philosophenkönig – eine Einführung. Martin Arnold Gallee

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Philosophenkönig – eine Einführung - Martin Arnold Gallee

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ersten Kategorie ein ontologischer Vorrang gegenüber der zweiten Substanz (den allgemeinen Arten und Gattungen) eingeräumt wird – das, was der große Platon als das vernachlässigbare und unbedeutende Einzelne betrachtet hatte, ist bei Aristoteles gleichbedeutend mit einem Höchstmaß an ontologischem Gehalt! Einig ist sich Aristoteles mit seinem Lehrer nur darin, dass es von diesem Einzelnen keine wissenschaftliche Erkenntnis geben kann, da Letztere nur allgemein, also in Prinzipien möglich sei[33]!.

      Dieser methodologische Vorrang der allgemeinen Größen, zu denen Aristoteles auch die Platonischen Ideen zählt, bedeutet für ihn nun eben nicht, dass daraus auch auf die Existenz dieser Größen geschlossen werden könne[34]. So schließt sich Aristoteles zwar der Argumentation in Platons Dialog Parmenides an, man brauche zur geistigen Orientierung immer auch allgemeine Bezugspunkte der Identifikation, dennoch finden sich in seinem Werk von der Frühschrift Über die Ideen[35]! bis zur Metaphysik immer wieder höchst kritische Anmerkungen zu den Ideen Platons.

      Dabei sieht Aristoteles das größte Übel im Zusammenhang mit den Platonischen Ideen in der seiner Meinung nach von seinem Lehrer vertretenen Sphärenfremdheit der Ideen und der Dinge, die keine Ideen sind. Nicht unbedingt in Einklang mit den tatsächlichen Verhältnissen nimmt Aristoteles dabei Sokrates in Schutz und behauptet, diesem sei es nur um allgemeine Definitionen gegangen. Erst Platon und seine Schule hätten später über die sinnlich zugänglichen Dinge hinaus „bestimmte andere, beständige Naturen neben den wahrnehmbaren [Naturen]”[36]! angenommen – und in dieser Annahme sieht Aristoteles nun „die Ursache für alle Schwierigkeiten, die sich bezüglich der Ideen ergeben”[37]!.

      Denn weder könne Platon erklären, wie sich eine Teilhabe der wahrnehmbaren Dinge an den Ideen angesichts der Tatsache gestalten solle, dass doch beide Sphären getrennt voneinander existieren, und darüber hinaus eine einzige Idee für eine unendlich große Menge an Gegenständen ‚zuständig’ sei. Auch könne nicht wirklich jedem Gegenstand eine Idee entsprechen, weil es dann auch negative Ideen für all die Gegenstände geben müsse, die eine bestimmte Eigenschaft nicht aufweisen. Darüber hinaus ergeben sich für Aristoteles auch bei der Zuordnung von Ideen zu Gegenständen Schwierigkeiten. So bemüht Aristoteles mehrfach das Argument vom ‚dritten Menschen’, das belegen soll, dass ein konkreter Mensch der Idee vom Menschen nicht ohne ein drittes Element zugeordnet werden kann, das die Frage beantworten hilft, ob etwas überhaupt unter die Idee vom Menschen fällt[38]!. Und schließlich sei Platons Gedanke, dass die Ideen eine Art normative Kraft gegenüber der Welt ausübten, verfehlt, weil ja schließlich keine Regel ihre eigene Anwendung regeln könne[39]!. – Kurz gesagt: Bei den Platonischen Ideen handelt es sich laut Aristoteles um nichts als „leere Redensarten”[40] – und das ist noch eine der freundlicheren Übersetzungen[41]!.

      Aristoteles selbst setzt nun genau dort an, wo Platon mit den Ideen seiner Ansicht nach den größten Fehler begangen hat: bei der Trennung der Sphären zwischen den Ideen auf der einen und den Dingen, die keine Ideen sind, auf der anderen Seite. Dabei ist sein eigener Ansatz in vielen Aspekten nicht weit weg von Platon, versucht aber genau in diesem Punkt konsequent zu bleiben. Es gibt zwischen dem, was bei Aristoteles an die Stelle der Platonischen Ideen tritt, und den ‚normalen’ Gegenständen keine Grenze ontologischer Natur, sie gehören vielmehr einem gemeinsamen Bereich an. Dabei lässt sich das Aristotelische Vorgehen in diesem Zusammenhang auf einen Begriff bringen: eidos, also Form oder Gestalt.

      Aristoteles verwendet eidos in unterschiedlichsten Zusammenhängen, dabei ist je nach Kontext entweder von der äußeren Form oder aber von der inneren Struktur oder dem wesenhaften Kern einer Sache oder eines Lebewesens die Rede[42]!. Damit ist bereits der hauptsächliche Unterschied zu Platon im oben erläuterten Sinn benannt: Für Aristoteles findet sich das Wesen einer Sache nicht außerhalb ihrer in einer fremden Sphäre, es ist ihr vielmehr immanent, gehört ihr also zu.

      Wie sehr es Aristoteles um diese auf die innere Form gerichtete Perspektive geht, zeigt sich vor allem in seinen logischen Schriften[43]!. Dabei ist allerdings erneut zu beachten, dass mit der Logik nicht eine eigenständige Denk‐ oder Sprachebene gemeint ist, die Struktur des logischen Kalküls hat vielmehr die innere Form der Welt wiederzugeben (sie ist also in gewisser Hinsicht eine Naturwissenschaft!). In diesem Zusammenhang gehört es zu den Aristotelischen Errungenschaften, dass er mit seiner formalen Betrachtungsweise von den jeweils betroffenen Inhalten ganz absehen kann. Die nach ihm benannten logischen Schlussformen, die Syllogismen, zeichnen sich dadurch aus, dass auf der Basis von zwei Voraussetzungen (Prämissen), nämlich einem Ober‐ sowie einem Untersatz, ein Schluss (conclusio) folgen muss. Dieser Aspekt der Notwendigkeit wird von Aristoteles selbst immer wieder betont: „Ein Syllogismus ist eine Rede, in der, wenn etwas gesetzt wird, etwas von dem Gesetzten Verschiedenes notwendig dadurch folgt”[44]. Da die Logik, wie erläutert, die Struktur, also die Form der Welt wiedergeben soll, kann vom Inhalt sowohl der Prämissen als auch des Schlusses abgesehen werden. Bei einem Syllogismus der Form

       Erste Prämisse (Obersatz): Alle A sind B.

       Zweite Prämisse (Untersatz): Alle C sind A.

       Schlussfolgerung (Conclusio): Alle C sind B.

      ist es also unerheblich, was für die Variablen A, B und C eingesetzt wird, so lange für die gleichen Variablen immer die gleichen Inhalte eingesetzt werden[45]!. Da Aristoteles seine Logik auch über die beiden Kategorien der Quantität und der Qualität variiert[46]!, ergibt sich (zusammen mit weiteren Elementen wie etwa der Lehre von den Gegensätzen) ein umfassender logischer Apparat, der für die nächsten 2000 Jahre verbindlich bleiben sollte. So wird etwa noch Immanuel Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft bemerken, die Logik habe seit Aristoteles „bis jetzt keinen Schritt vorwärts […] tun können”[47]!.

      Was sich allerdings verändern wird, ist die allgemeine Interpretation der Logik. Es ist für Aristoteles klar, dass sie die innere Struktur und Form der Welt wiedergibt. Dass es in seiner Logik etwa ein Widerspruchsverbot gibt, liegt für ihn einfach daran, dass die Welt nicht widersprüchlich ist. Mit dem Verlassen des ontologischen Paradigmas wird sich daher auch die Frage stellen, worauf sich die Logik bezieht. Zwar scheint im Rahmen des mentalistischen Paradigmas die Antwort mit dem Denken schnell festzustehen, es fanden sich allerdings schnell Kritiker, die den berechtigten Einwand erhoben, dass in den Köpfen wirklicher Menschen nur selten logisch vorgegangen wird. Folglich schlug etwa Kant vor, die Logik nicht be‐, sondern vorschreibend zu verstehen – „nicht, wie wir denken, sondern, wie wir denken sollen[48]. Doch spätestens mit dem Aufkommen mehrerer und sich gegenseitig widersprechender Logiksysteme im 19. Jahrhundert erwies sich auch dieser Vorschlag als Sackgasse. Mit der ‚linguistischen Wende’, also dem Beginn des sprachlichen Paradigmas in der Philosophie zu Beginn des 20. Jahrhunderts war zwar die Möglichkeit gegeben, die Logik nunmehr sprachlich zu orientieren – bezüglich der Frage, in welchem Verhältnis diese Sprache aber etwa zu unserer Alltagssprache steht, war man damit aber immer noch nicht weiter. Bei Ludwig Wittgenstein werden wir zu dieser Frage allein zwei völlig unterschiedliche Auffassungen finden. Bis heute fragen sich Studenten der Philosophie völlig zu Recht, warum sie mit formaler Logik gequält werden, obwohl wir auf die Frage ihrer Bedeutung im Rahmen des Horizonts unserer Erkenntnis und unseres Weltverhältnisses insgesamt nach wie vor noch keine befriedigende Antwort gefunden haben.

      Für Aristoteles stellen sich solche Fragen noch nicht. Daher kann er das, was er in der Logik hinsichtlich der Welt als Ganzes macht (also ihre innere Struktur freizulegen), mittels des eidos bei jedem einzelnen Ding vorführen, nämlich die Frage nach seinem Wesen stellen, das ihm allerdings – darin besteht ja der zentrale Gesichtspunkt, den Aristoteles gegenüber Platon geltend macht – nicht fremd gegenübersteht, sondern ihm vielmehr innewohnt[49]!.

      Dabei

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