Philosophenkönig – eine Einführung. Martin Arnold Gallee

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Philosophenkönig – eine Einführung - Martin Arnold Gallee

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das ihren historischen Ursprung darstellt: das Urphänomen.

      Angesichts des zuletzt zu Platon Gesagten kann es nun nicht verwundern, dass in der Philosophie zumindest die These diskutiert wird, dass es sich bei den Ideen, die ja im Spätwerk Platons in die Nähe von sinnlich Wahrnehmbarem gerückt werden, und den Urphänomenen Goethes um enge Verwandte handelt. Die Ansicht, „dass Platons Ideen und Goethes Urphänomen nur verschiedene Ausdrücke für dieselbe Sache sind”[70], ist zwar bis heute eine Minderheitsmeinung geblieben, wer aber ein wirklich umfassendes Bild der Philosophie Platons erhalten möchte, sollte sich auch solchen Überlegungen zumindest nicht prinzipiell verschließen – akzeptiert sind sie damit ja noch nicht. Interessant ist jedenfalls, dass Goethe selbst die Parallele zu Platon zieht: „Meine Farbenlehre ist auch nicht durchaus neu. Platon [hat] vor mir dasselbige gefunden und gesagt”[71].

      Gerade der erst in Platons späten Dialogen vollzogene Statuswandel der Ideen macht aber abschließend auch noch einmal deutlich, wie wichtig es im Sinne authentischer Darstellung und intellektueller Redlichkeit ist, der Versuchung zu widerstehen, Platons Denken als glatte, widerspruchslose Einheit zu präsentieren. Dieser immer leicht zu nehmende Ausweg ist im Grunde genommen genau das, wodurch sich der Platonismus definieren lässt – und der hat mit Platon bekanntlich nicht viel zu tun.

      Eine philosophisches Werk, so hat der Stuttgarter Philosoph und Heidegger-Schüler Hans-Georg Gadamer einmal bemerkt, kann man am besten „als Antwort von einer Frage her verstehen, auf die es die Antwort ist”[72]. Und in Platons Fall muss man nach dieser Frage auch nicht lange suchen: Wie kann dieser Welt im Verfall geholfen werden – und damit auch den Menschen, die in ihr leben? Seine Antwort besteht in einem Werk, das den Ideen (in welcher Formulierung auch immer) eine zentrale Orientierungs- und Regelungsfunktion zuschreibt – und an die Welt, in der und auf die sie angewandt werden sollen, eine Patientenrolle vergibt, unter der auch ihre Bewohner zu leiden haben. Der Mensch ist als Element einer Welt, mit der etwas ganz grundlegend nicht stimmt, immer auch Teil des Problems, und so wird er im Rahmen von Platons Philosophie auch behandelt. Ihm wird die Fähigkeit zur Einsicht in das Wahre und die sich daraus ergebende Kompetenz, das Richtige zu tun, schlicht abgesprochen; der Mensch bleibt bei Platon völlig unabhängig vom Alter immer ein zu erziehendes Kind. Platon will Strukturen schaffen, die Welt und Mensch in den Griff bekommen – wie das Verhältnis beider dabei aussieht, ist zwar als Gesichtspunkt in seiner Philosophie prominent vorhanden, spielt aber gegenüber dem therapeutischen Gesichtspunkt eine sekundäre Rolle.

      Diese Haltung gegenüber der Welt erklärt auch, warum der Universalgelehrte Platon, der mit der Politeia innerhalb einer einzigen Schrift sowohl

       die Ontologie (Existenz der Ideen),

       die Epistemologie (Erkenntnis der Ideen),

       die Pädagogik (Lernen der Ideen durch anamnesis),

       die Politische Philosophie (Kenner der Ideen als Herrscher) sowie

       die Wissenschaftstheorie (Ideen als geistige Gegenstände)

      und darüber hinaus einige weitere Disziplinen abdeckt, der Welt noch nicht einmal soviel Bedeutung beimisst, dass er die in ihr vorhandenen Bereichsgrenzen zum Anlass nehmen würde, auch den intellektuellen Zugriff auf sie im Sinne der Angemessenheit in mehrere Disziplinen zu unterteilen. Für Platon gibt es nur eine Einheitswissenschaft, deren Aufteilung in einen theoretischen und einen praktischen Teil bzw. noch weitergehende Differenzierungen finden sich erst bei Aristoteles.

      Kapitel 4

      Aristoteles (384 – 322 v. Chr.)

      Die Frage, mit der sich das nun folgende Kapitel beschäftigt, ist identisch mit der Frage, die sich die Menschen in Athen 347 v. Chr. stellten: Was kommt nach Platon, oder besser: Was kann überhaupt noch nach Platon kommen, das eine originelle und eigenständige Philosophie darstellt und nicht etwa einfach das Denken des Meisters wiederholt? – Dabei fällt die aus heutiger Sicht zu gebende Antwort auf diese Frage deutlich anders aus als damals in Athen. Denn wen auch immer man dort als fähig ansah, in die großen Fußstapfen Platons zu treten (etwa, indem man ihn zu seinem Nachfolger als Leiter der von ihm gegründeten Akademie bestimmte) – es war jedenfalls nicht Aristoteles. Die bloße Tatsache, dass Aristoteles aus Stagira im Nordosten Griechenlands stammt und daher in Athen Zeit seines Lebens ein Ausländer ohne Bürgerrechte bleibt, hat ihn dort im Allgemeinen und an der Akademie im Besonderen zum Außenseiter gemacht. Eine direkte Konsequenz dieser Tatsache ist, dass sich um die nachgelassenen Schriften Aristoteles´ bei seinem Tod weit weniger Menschen kümmerten, als das bei Platon der Fall gewesen war. Was uns von Aristoteles erhalten geblieben ist, umfasst daher wohl nur noch etwa ein Viertel dessen, was er insgesamt geschrieben hat. Und das ist nur der quantitative Aspekt[1]!.

      Darüber hinaus schreibt Aristoteles – modern gesprochen – für zwei unterschiedliche Zielgruppen: seine Schüler und Kollegen an der von ihm selbst gegründeten Schule[2]! sowie das außerakademische Publikum[3]!. An die erstgenannte Gruppe richten sich dabei die sogenannten esoterischen Schriften[4]!, für die zweite Gruppe waren dagegen die exoterischen Schriften bestimmt[5]!. Sowohl der Inhalt als auch der Stil beider Arten von Werken sind grundverschieden. Die exoterischen Schriften sind wesentlich zugänglicher und zum Teil sogar in Dialogform gefasst. Sie behandeln die Themen, mit denen sich Menschen allgemein beschäftigen (die Gerechtigkeit, das Gute etc.), sie sind aber auch klar auf ein Publikum gemünzt, das erst noch von der Philosophie überzeugt werden muss. Von dieser Gruppe der Aristotelischen Werke ist so gut wie nichts erhalten geblieben; bereits in der Spätantike musste man die exoterischen Schriften aus dem rekonstruieren, was andere Autoren davon in ihre Werke übernommen haben, und sich dabei auf deren Glaubwürdigkeit verlassen. – Nicht viel besser sieht es mit den esoterischen Schriften aus. Von diesen sind zwar auch die meisten verloren gegangen, wohl vor allem die Schüler und Kollegen von Aristoteles haben aber immerhin einige davon erhalten[6]!.

      Leider ist das nicht alles, was sie mit diesen Schriften gemacht haben. Denn da es sich dabei nicht um philosophische Texte im eigentlichen Sinn, sondern vielmehr um für den Lehrbetrieb gedachte Skripte handelte, wurden diese nicht nur von Aristoteles selbst, sondern auch von seinen Schülern redigiert und umgeschrieben. In jedem Fall zeichnen sich die esoterischen Schriften (die auch Pragmatien genannt werden) durch einen wesentlich akademischeren Stil aus als die für ein breiteres Publikum gedachten Werke. Sie setzen nicht nur wesentlich mehr an Kenntnissen voraus, sondern sind auch oft sehr dicht formuliert, was das Verständnis nicht eben erleichtert. Auch der Bezug zur Praxis, der in Platons Dialogen immer wieder im Vordergrund steht und dort die Argumentation nachvollziehen hilft, fehlt – ausgerechnet – in Aristoteles´ Pragmatien oft ganz.

      Was uns in Form des Corpus Aristotelicum (des Aristotelischen Werks) gegenübertritt, ist also ein in mehrfacher Hinsicht verkürzter Eindruck von einer Philosophie, von der sich nichtsdestoweniger sagen lässt, dass sie das europäische Denken bis zum Beginn der Neuzeit beherrscht hat wie außer ihr nur die Werke Platons[7]!. In verschiedensten Bereichen berufen sich noch heute Philosophen auf Aristotelische Argumente, und wo seine Ansichten als überholt gelten (etwa in der Naturphilosophie), da hatten sie schon eine Jahrtausende währende und erfolgreiche Überzeugungsgeschichte hinter sich, die ihren modernen Nachfolgern mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht vergönnt sein wird.

      Zu der bedauerlichen Überlieferungslage der Aristotelischen Werke gehört auch, dass wir keine Kenntnisse darüber besitzen, ob und wie der Autor seine Schriften zu einem Gesamtwerk zusammengefügt sehen wollte, eine entsprechende Systematik liegt nicht

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