Philosophenkönig – eine Einführung. Martin Arnold Gallee

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Philosophenkönig – eine Einführung - Martin Arnold Gallee

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ist selbst ein Ziel”[20].

      Die übergeordnete Bedeutung der praxis für Aristoteles wird daran deutlich, dass er das Leben insgesamt als solche versteht – „Leben ist praxis und nicht poiesis[21]. Das Ziel des Lebens liegt also immer in ihm selbst und nicht außerhalb. Ein gelungener Lebensvollzug ruht folglich in sich selbst und wird als eudamonia (griech. für ‚Glück’ im Sinne von ‚Glückseligkeit’) bezeichnet. Die Aristotelische Ethik wird daher auch als eudämonistisch bezeichnet – sie orientiert sich an einem Leben, das zur Glückseligkeit führt.

      Gemäß der drei Bereiche Theorie, praxis und poiesis grenzt Aristoteles nicht nur als Erster theoretische und praktische Philosophie allgemein voneinander ab, er stellt in diesem Zusammenhang vielmehr drei Arten von Wissenschaften einander gegenüber: die theoretischen, die praktischen und die poietischen. Dabei ist ‚praktisch’ hier nun im engeren Sinn von praxis (also als Gegenbegriff zu poiesis innerhalb des umfassenderen Praxisverständnisses) gemeint. Alle drei Arten von Wissenschaft haben jeweils einen Objektbereich – „[d]ie theoretische Wissenschaft ist Wissenschaft von etwas, und so auch die poietische und praktische”[22]. Dieser Objektbereich ist zwar von einer Wissenschaftsart zur nächsten verschieden, wie erwähnt umfasst er aber immer nur Prinzipien, also Allgemeines[23] – vom Einzelnen gibt es keine Wissenschaft. Über diese Zuordnung von Gegenstandsbereichen hinaus wird die Eigenständigkeit der drei Wissenschaftsarten auch daran deutlich, dass Aristoteles jeder von ihnen jeweils eine besondere Fähigkeit zurechnet, die im jeweiligen Bereich erzielt werden kann; dazu gleich mehr.

      Wenn man sich dem Aristotelischen Werk anhand dieses von ihm selbst ausgegebenen Leitfadens nähert, so orientieren sich die theoretischen Wissenschaften an dem, was als Wahrheit immer gleich ist und vor allem vom Menschen nicht verändert werden kann. Dieser ist gegenüber der Wahrheit immer nur Zuschauer, und das griechische theorein hat ursprünglich auch genau diese Bedeutung von reiner Betrachtung. Die theoretischen Wissenschaften sind rezeptiv, sie suchen die Wahrheit ohne Interesse und ohne äußere Zwecksetzung. Die charakteristische Fähigkeit, die es im Bereich der theoretischen Wissenschaft zu erwerben gilt, ist die sophia bzw. Weisheit. Sie ist, dem Objektbereich der Wissenschaft generell folgend, ein Wissen vom Allgemeinen, das heißt, von den Prinzipien des jeweiligen Teils der Welt[24].

      Dabei benennt Aristoteles „drei theoretische Philosophien”[25], die sich aufgrund ihres jeweiligen Gegenstandes in einer Rangordnung befinden. Den höchsten Rang nimmt die sogenannte Erste Philosophie oder prima philosophia ein, die allerdings selbst aus mehreren Teilgebieten besteht. Aus diesem Grund ist das als Metaphysik bezeichnete Werk (s.o.) keine einheitliche Monographie, sondern umfasst selbst wiederum mehrere Unterbereiche, die darüber hinaus nicht nur dort, sondern auch an anderen Stellen des Corpus Aristotelicum behandelt werden. Schon aus diesem Grund sollte jeder Versuch der Systematisierung des Werks von Aristoteles inhaltlich und nicht nach Büchergruppen vorgehen.

      Die Erste Philosophie umfasst nach Aristoteles zunächst die Lehre vom Seienden bzw. als dessen höchstem Prinzip die Lehre von Gott. Sie ist also Ontologie und Theologie in einem. Dabei macht Aristoteles das Zugehören dieser beiden Disziplinen zu den theoretischen Wissenschaften klar, um dann zu erklären, dass und warum es sich bei ihnen in dieser Gruppe wiederum um die höchste Stufe handeln muss:

      Gibt es etwas Ewiges […], so muss offenbar dessen Erkenntnis einer theoretischen Wissenschaft angehören […]. Denn unzweifelhaft ist, dass, wenn sich irgendwo ein Göttliches findet, es sich in einer solchen [ewigen, unveränderlichen] Natur findet, und die würdigste Wissenschaft die würdigste Gattung des Seienden zum Gegenstand haben muss.[26]

      Die besonders im sogenannten Mittelalter populären Versuche, Aristoteles´ Philosophie im Sinne des christlichen Glaubens zu interpretieren, setzen an solchen Stellen an, obwohl der Aristotelische Gott wesentlich mehr einem unpersönlichen Prinzip entspricht und vor allem nichts Monotheistisches an sich hat. Dazu kommt, dass die Gottesfrage bei Aristoteles nicht einfach aus der Theologie heraus gestellt wird, vielmehr führen die naturphilosophischen Studien zu dieser Frage. In einem im Rahmen der Geschichte der Religion eher seltenen Vorgang macht Aristoteles explizit, dass die Hinwendung zur Transzendenz nicht etwa einer vorgängigen Abwendung von den Naturphänomenen folgt; vielmehr führt erst eine Auseinandersetzung mit dem Diesseits dazu, die sich dort stellende Erklärungsfrage bis auf letzte, eben jenseitige Prinzipien zu verfolgen[27]!. Dies wird später eine von mehreren Gelegenheiten darstellen, bei denen Immanuel Kant an Aristoteles anknüpft.

      Natürlich wird die Ontologie bei Aristoteles nicht nur wegen ihres Übergehens in die Theologie zum Teil der Ersten Philosophie gemacht. Vielmehr knüpft der philosophus mit der Frage nach den Grundstrukturen des Seienden an Untersuchungen an, die die griechische Antike bereits vor Sokrates interessiert hat[28]!. Dabei ist für ihn als Philosoph die Welt zwar im Wesentlichen an sich relevant, Aristoteles bezieht wie Sokrates und Platon aber den Menschen in seine ontologischen Überlegungen mit ein. Nicht nur, dass sich der Gegenstand der theoretischen Wissenschaften und damit eben auch der Ontologie von dem her bestimmt, was für den Menschen nicht änderbar ist; sondern er wird von Aristoteles auch aus der Perspektive des Menschen thematisiert. So sind die obersten Prinzipien des Seienden, die Kategorien, zwar auf die Realität bezogen, alle zehn[29]! gehen aber insofern auf das menschliche Weltverhältnis zurück, als sie aus der Alltagssprache gewonnen wurden. Aristoteles abstrahiert vom Sprachverhalten auf die zehn Arten von Fragen, die an das Seiende gestellt werden können, ohne dass eine von ihnen auf irgendeine andere reduziert werden könnte[30]!. Es geht also auch hier um die menschliche Sicht der Welt, was allerdings nicht bedeutet, dass damit bereits eine erst wesentlich spätere Stufe der Philosophie erreicht wäre, in der sie dem Denken und der Sprache gegenüber der Welt eine eigenständige Sphäre einräumen würde. Aristoteles ist, wie oben erläutert, fest im ontologischen Paradigma verankert, und das bedeutet in Bezug auf die Kategorien, dass sie zwar auch in sprachlicher Hinsicht thematisiert und manchmal auch charakterisiert werden. Der Zugang zu den Kategorien ist sprachlicher Natur, das war oben mit medialer Bedeutung gemeint. Daraus darf aber nicht gefolgert werden, dass die Kategorien für Aristoteles etwas Sprachliches wären. Genau so, wie man mit Geld (das ja an sich nur einen minimalen Materialwert hat) sorglos handeln kann, solange es durch Gold gedeckt ist, kann man mit sprachlichen Größen operieren, solange klar ist, dass deren einzige Aufgabe im Rückbezug auf das Seiende besteht – und das ist eben für Aristoteles so klar wie unter anderem für seine beiden berühmten Vorgänger. In den beiden für das Kategorienthema ausschlaggebenden Schriften, den Kategorien und der Metaphysik, lässt Aristoteles daran auch überhaupt keinen Zweifel aufkommen: Die Liste der Kategorien, „die das Seiende bestimmen”[31]!, enthält selbst keine einzige mentale oder sprachliche Größe.

      Dabei zieht Aristoteles das Modell der Alltagssprache auch heran, um im Rahmen der zehn Kategorien eine bestimmte auszumachen, der ein höheres Maß an Sein zukommt als den anderen neun. Bei der ersten Kategorie handelt es sich um das Wesen bzw. die Substanz, wie der im Original verwandte griechische Ausdruck ousia auch übersetzt wird. Diese Substanz genießt gegenüber allen anderen Kategorien einen ontologischen Vorrang, insofern Letztere im Vergleich zu ihr nur Akzidenzien, also Nebensächlichkeiten sind[32]!. Sie können nur auf der Basis der Substanz existieren und ausgesagt werden, diese benötigt die Akzidenzien hingegen nicht, sie ist ontologisch eigenständig. Das Wesen, so könnte man auch sagen, ist als erste Kategorie immer der Kern einer Sache – wobei Aristoteles diesen Kern allerdings auf zwei sehr unterschiedliche Arten versteht.

      Zum Einen ist die Substanz, also die erste Kategorie, das konkrete Einzelding, die hier und jetzt vorliegende Sache oder Person, z.B. Sokrates am Mittwochmorgen auf dem Athener Marktplatz. Dieses Einzelding bezeichnet Aristoteles auch als erste Substanz. Die zweite Substanz, also die andere Variante der ersten Kategorie, sind dagegen die Arten und Gattungen, also allgemeine

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