Philosophenkönig – eine Einführung. Martin Arnold Gallee

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Philosophenkönig – eine Einführung - Martin Arnold Gallee

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Frage, was etwas ist. In diesem Zusammenhang wird eidos als Art verstanden – „zum Beispiel gehört der individuelle Mensch zu einer Art, Mensch”[50]. Das eidos erfüllt hier also eine Identifikationsaufgabe, funktional deckt sich das mit den Platonischen Ideen. Auch die Rolle der Ideen als paradeigmata, also als Muster, transformiert der philosophus auf sein Konzept des eidos[51]!. Darüber hinaus wird eine weitere Aufgabe von diesem übernommen, die allerdings schon in einen anderen Bereich der theoretischen Philosophie hineinragt, die Naturphilosophie[52]!.

      Auch dieser Teil der Corpus Aristotelicum wartet mit einigen Höhepunkten auf, dabei besteht eine direkte Verbindung vor allem zwischen dem Konzept des eidos und der Lehre von den vier Ursachen. Wie bei den Kategorien ist auch hier die Vielfalt ein deutlicher Wink in Richtung der Einheitsphilosophie Platons, und im Sinne der Angemessenheit postuliert Aristoteles bei den Ursachen „dieselbe Anzahl wie die der Bedeutungen, die die Frage nach dem Warum anzunehmen vermag”[53]!.

      Dabei unterscheidet Aristoteles bei der Erklärung eines Sachverhalts zwischen einer kausalen Ursache – „das (jeweilige) erste Bewegende”[54] –, die auch als causa efficiens bezeichnet wird. Darunter wird etwa ein handelnder Mensch verstanden, aber auch ein Gegenstand, der einen anderen anstößt. Wenn wir heute von Ursache sprechen, haben wir zumeist diese (und nur diese) Ursachendimension vor Augen. Aristoteles dagegen bezieht – zweitens – in seine Behandlung der Kausalthematik auch den materialen Aspekt mit in seine Betrachtungen ein. Eine so geartete Ursache erklärt etwa das Zerbrechen einer Fensterscheibe durch die physikalischen Eigenschaften des Glases und nicht nur (wie die causa efficiens) durch den Stein, der durch die Scheibe geflogen ist. Über diese causa materialis hinaus kommt nun – drittens – wieder das eidos ins Spiel, insofern im Rahmen der causa formalis auch das Wesen von etwas als Ursache verstanden wird. Aristoteles gibt sich große Mühe, zu erklären, warum für ihn die Form einer Sache als Wesen zu einer ihrer Ursachen gehören könnte. So weist er bei der Frage „warum ist dies, z.B. Ziegel und Steine, ein Haus?”[55] darauf hin, dass weder der Baumeister (als causa efficiens) noch die von diesem verwendeten Stoffe (als causa materialis) als Erklärung hinreichen, vielmehr müssen Letztere von Ersterem in eine bestimmte Form gebracht werden, die als eidos das Wesen des Hauses ausmacht. Obwohl es mit dieser Ursachenart eine weitere Funktion gibt, die das eidos anstelle der Platonischen Ideen übernimmt (eben die Erklärung von sinnlich wahrnehmbaren Dingen), und ihm damit natürlich eine große Bedeutung innerhalb des Aristotelischen Werks zukommt, haben sich spätere Naturforscher hier zu eingeengt gefühlt. Ihnen ging die Frage nach dem Wesen schlicht zu weit, wie der berühmte Mathematiker und Physiker Galileo Galilei (1564‐1642) beispielhaft bemerkt:

      [E]ntweder wollen wir spekulativ versuchen, das wahre und innere Wesen der natürlichen Substanzen zu durchdringen, oder wir wollen uns mit der Kenntnis einiger ihrer Erscheinungen begnügen. – In das Wesen einzudringen, halte ich ebenso für ein unmögliches Unterfangen wie eine leere Mühe.[56]

      Die neuzeitlichen Naturforscher haben sich also in diesem Punkt von Aristoteles klar abgewandt. Es sollte nicht das letzte Mal bleiben, dass dem menschlichen Forschritt mit einer solchen Reduktion (hier: auf das sinnlich Wahrnehmbare) auf die Sprünge geholfen wird – mit allerdings nicht immer nur positiven Konsequenzen. Wie für die causa formalis gilt auch für die vierte der Aristotelischen Ursachen, die causa finalis, dass sie im Inneren einer zu erklärenden Sache zu finden ist. Entsprechend ist gerade die Neuzeit mit diesem Aspekt nicht sehr freundlich umgegangen. Dabei wird eine zu erklärende Sache auf das hin bezogen, was als ihr Ziel (griech. telos) immer schon in ihr steckt und sie folglich durch diese causa finalis erklärt. So steckt im Samen schon die Pflanze, im Kind der Erwachsene, in der Zwecksetzung die Handlung etc. Diesem Erklärungsansatz hat die Aristotelische Naturphilosophie auch ihren Titel Teleologie zu verdanken, obwohl, wie gesagt, die causa finalis nur eine von vier Ursachen ist.

      Man sollte bei aller modernen Kritik an der Aristotelischen Naturphilosophie und vor allem der causa finalis aber nicht übersehen, dass in ihr ein Theoriestück enthalten ist, das für uns heute nicht nur in den empirischen Wissenschaften unentbehrlich ist. Denn das telos einer Sache, ihr Ziel, steckt für Aristoteles als causa finalis immer schon im Modus der dynamis, also der Möglichkeit, in ihr; ihre Umsetzung erfolgt in den Modus der energeia, also der Wirklichkeit. Diese Erweiterung unseres Weltbezugs um eine modale Dimension[57]! ist heute aus den meisten Feldern der Forschung nicht mehr wegzudenken.

      Mit der Ersten Philosophie, der Mathematik und der Naturphilosophie sind alle Teile der theoretischen Philosophie im Corpus Aristotelicum benannt. An sie schließt der von Aristoteles empfohlene bios theoretikos, das der Theorie gewidmete Leben, an – für den philosophus ist das kein unwichtiges, und schon gar kein rein privates Thema:

      Wer über die beste Verfassung die Untersuchung in sachgemäßer Weise anstellen will, der muss notwendig zuerst bestimmen, welches das wünschenswerteste Leben ist.[58]

      Dabei zeigt sich für Aristoteles, dass der bios theoretikos seinem praktischen Pendant, nämlich dem bios politikos (dem sittlich-politische Leben), überlegen ist, weil er eigenständig ist und nicht der Anerkennung durch andere Menschen oder materieller Güter bedarf[59]!.

      Dieser Vorrang der Theorie gegenüber der Praxis bedeutet jedoch keinesfalls, dass die praktische Philosophie bei Aristoteles nur eine Nebenrolle spielen würde. Der Praxis kommt hier vielmehr eine zu, die in der Philosophie ihresgleichen sucht. Das beginnt bei der bereits beschriebenen Differenz von praxis und poiesis, also dem herstellenden und dem selbstzweckhaften Handeln, die Aristoteles zur weiteren Unterteilung der Wissenschaften in praktische und poietische heranzieht.

      Dabei kommt in ihrer philosophischen Bedeutung den praktischen Wissenschaften ein größeres Gewicht zu, wiewohl sich die Unterscheidung von praxis und poiesis als sehr einflussreich erwiesen hat. Die an der praxis orientierten Wissenschaften werden daher auch als die praktische Philosophie Aristoteles´ bezeichnet, obwohl unter Letztere ja eigentlich auch die an der poiesis orientierten Disziplinen fallen würden. Dass zu der in diesem Sinn engeren Begriff der praktischen Philosophie die Nikomachische Ethik sowie die Politik gezählt werden, bedarf einer kurzen Erläuterung, die allerdings auch eine klare Distanz zwischen Aristoteles und uns deutlich werden lässt.

      Gleich zu Beginn der Politik macht Aristoteles (hier im völligen Einklang mit seiner Zeit) klar, dass dem Kollektiv der Vorrang gegenüber dem Einzelnen gebührt. Für ihn ist also „der Staat der Natur nach früher als […] der einzelne Mensch, weil das Ganze früher sein muss als der Teil”[60]!. Der Mensch kann als Mensch also nur auf der Basis einer Sozialgemeinschaft existieren, er ist somit nicht etwa aus freier Wahl, sondern bereits auf der begrifflichen Ebene ein zoon politikon, ein soziales und politisches Wesen. Das bedeutet auch, dass in der griechischen Antike weder die Unterscheidung zwischen einem Menschen und einem Bürger, noch die zwischen den entsprechenden Gruppen, also zwischen Gesellschaft und Staat, sinnvoll ist – und folgerichtig gilt das Selbe für die sich an die beiden Rollen wendenden Disziplinen, Ethik und Politik[61]!. Beide, Nikomachische Ethik und Politik, machen folglich die praktische Philosophie des Aristoteles im oben beschriebenen Sinn aus, ihre Zielgruppen sind identisch[62]!.

      Da aufgrund der Einheit von Mensch und Bürger in der griechischen Antike zwischen Moralität und Legalität (also zwischen sittlich angemessenem und gesetzeskonformem Handeln) ebenfalls nicht unterschieden wird, umfasst die von Aristoteles untersuchte Lebensform des bios politikos die sittlich‐politische Ganzheit. Dabei soll diese vor allem einem von niederen Antrieben geleiteten Leben entgegengestellt werden. Um das zu erreichen, sollte sich der Mensch für Aristoteles an seiner Vernunft orientieren, was zweierlei

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