Philosophenkönig – eine Einführung. Martin Arnold Gallee

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Philosophenkönig – eine Einführung - Martin Arnold Gallee

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an sich und um das Gute an sich und um das Gerechte und um das Fromme”[59].

      Deskriptiv verstanden helfen uns die Ideen also, die Dinge der Alltagswelt überhaupt zu identifizieren, zu verstehen (hier kommt auch erneut die Kausalrelation ins Spiel) und im Fall der Wissenschaften ihren Status zu klären. Darüber hinaus liefert uns die Lehre von der anamnesis, also der Widererinnerung, eine Erklärung für unser Wissen. In normativer Hinsicht bieten die Ideen dagegen eine Orientierungshilfe für das menschliche Leben – und das ist bei Platon sowohl individuell, auf den einzelnen Menschen, als auch auf die Gemeinschaft der Polis bezogen, also kollektiv gemeint.

      Die Versuche Platons, die Orientierung aller Vorgänge in der Welt (die menschlichen Handlungen eingeschlossen) an den Ideen sicherzustellen, münden bei ihm schließlich in dem Vorschlag, selbst die staatlichen Strukturen an diesem Ziel auszurichten. Das Ergebnis seiner diesbezüglichen Überlegungen fasst Platon in der Politeia zu einer der einflussreichsten politischen Theorien der Philosophiegeschichte zusammen. Obwohl in der Politeia die Gerechtigkeit die thematische Oberfläche besetzt, ist es nichtsdestotrotz der staatlich garantierte Einfluss der Ideen auf das menschliche Leben, der Platons Argumentationsziel ausmacht. Die Gerechtigkeit fungiert dabei als Beurteilungskriterium und Indikator bezüglich bestimmter staatlicher Ordnungen.

      Wie sehr der Platonische Idealstaat tatsächlich an diesem praktischen Ziel der Garantie der Orientierung menschlichen Handelns an den Ideen (und nicht etwa an abstrakten Vorstellungen zum Gerechtigkeitsbegriff) ausgerichtet ist, zeigt sich auch daran, dass seine Struktur anthropomorph, also dem Menschen nachgebildet ist[60]!. Wie der Mensch besitzt der Staat drei Teile, dabei entsprechen die menschlichen Seelenteile (Vernunft, Emotion und Begehren) den drei Ständen im Staat (Herrscher, Krieger und Händler). Bezogen auf den einzelnen Menschen und den Staat sind diesen drei Teilen dabei die Tugenden der Weisheit, der Tapferkeit und der Besonnenheit zugeordnet.

      Der Staat ist nach Platon dann gerecht bzw. der Mensch glücklich, wenn jeder der drei Teile das macht, was ihm naturgemäß zukommt. Wie insbesondere die neuzeitlichen Interpreten Platons (etwa Karl Raimund Popper in seiner Offenen Gesellschaft) kritisch angemerkt haben, ist damit allerdings soziale Mobilität im Sinne eines Aufgabenwechsels ausgeschlossen. Jeder Mensch gehört nach Platon in eine der drei Gruppen wie in eine Kaste, bereits die (staatlich gelenkte) Erziehung soll auf die frühzeitige Entwicklung der entsprechenden Fähigkeiten hinwirken. Ohne jede Frage sind die von Platon in diesen und anderen Zusammenhängen vorgeschlagenen sehr weit reichenden Machtbefugnisse des Staates mit dem Demokratieverständnis der heutigen Welt nicht zu vereinbaren[61]!.

      Platons eigentliches Anliegen im Staat, also die Garantie des Einflusses der Ideen auf die Welt, ist nun für ihn dadurch realisiert, dass der Platz der Herrschenden denjenigen vorbehalten ist, die mit den Ideen bekannt sind, die sie also ‚geschaut’ haben. An einer in diesem Zusammenhang zentralen Stelle lässt er Sokrates daher erklären:

      Wenn nicht […] entweder die Philosophen Könige werden in den Staaten oder die jetzt so genannten Könige und Gewalthaber wahrhaft und gründlich philosophieren und also dieses beides zusammenfällt, die Staatsgewalt und die Philosophie, […] eher gibt es keine Erholung von dem Übel für die Staaten, lieber Glaukon, und ich denke auch nicht für das menschliche Geschlecht.[62]

      Die Macht im Staat muss also, kurz gesagt, an die Philosophenkönige gehen, weil nur sie den Einfluss der Ideen auf die Welt garantieren können.

      So sehr Platon für den Wunsch nach weisen Herrschern angesichts der tatsächlichen Zustände gelobt und/oder als naiv belächelt worden ist – seine eigenen Versuche, seine Staatstheorie in die Praxis umzusetzen, endeten enttäuschend. Mehrfach reiste er nach Syrakus auf Sizilien, um sich mit den dortigen Machthabern Dionysos I. (388 v. Chr.) und dessen Sohn Dionysos II. (366 v. Chr.) über grundlegende politische Reformen im Sinne des Philosophen auseinander zu setzen. Allerdings erwiesen sich beide als dermaßen unbelehrbar, dass Platon frustriert wieder abreiste.

      Nicht zuletzt unter dem Eindruck dieser gescheiterten Umsetzungsversuche unterzog Platon seine politische Philosophie einer gründlichen Überarbeitung und fasste sie in den etwa drei Jahre vor seinem Tod geschriebenen Nomoi zusammen. Der Titel besagt im Deutschen ‚Gesetze’ – und damit ist das Programm dieser Staatsphilosophie auch bereits im Kern charakterisiert. Abgesehen davon, dass die Nomoi wesentlich weniger radikal in ihren Forderungen hinsichtlich der staatlichen Strukturen sind, ist die Figur des Philosophenkönigs durch eine Gesetzesherrschaft ersetzt. Das kommt nun zwar unserem modernen Verständnis von Rechtsstaatlichkeit bereits wesentlich näher, ist in der Folge aber vor allem aus philosophischer Sicht von Aristoteles bis Wittgenstein immer wieder kritisiert worden, insofern – so etwa Letzterer – keine Regel ihre eigene Anwendung regeln könne und eine solche nur auf Gesetze begrenzte Herrschaft nicht funktionsfähig wäre. Abgesehen davon, dass die Autorschaft Platons nicht ganz geklärt ist[63]!, hat er sich mit der Kritik an den Nomoi altersbedingt nicht mehr auseinandersetzen können.

      Auch in einer weiteren wichtigen Angelegenheit hat Platon seine Ansichten innerhalb seines Alterswerks grundlegend revidiert. So werden sowohl im Sophistes als auch im Timaios die Ideen nicht mehr explizit den sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen der Welt gegenübergestellt! Das heißt, dass man – wenn man diese beiden Dialoge in das von Platons Philosophie gezeichnete Bild einfließen lässt[64]! – die bis heute geläufige Abgrenzung von Ideen und sinnlich wahrnehmbaren Dingen nicht ohne Weiteres ihm zuschreiben kann. Genau aus diesem Grund war im Rahmen dieses Kapitels immer nur von einer Entgegensetzung der Ideen zu Dingen, die keine Ideen sind, die Rede, nicht aber von einem Gegensatz ‚Idee – Sinnliches’[65]!.

      Nicht zuletzt aufgrund der überragenden Bedeutung der Politeia hat sich die Variante des Platonischen Ideendenkens etabliert, die eine Entgegensetzung der Ideen zu den sinnlich wahrnehmbaren Dingen beinhaltet, denn dort werden die Ideen tatsächlich als nicht-sinnlich bezeichnet. Das ändert aber nichts daran, dass zum Gesamtbild Platons als Philosoph auch seine späteren, sicherlich nicht zuletzt als Reaktion auf die Kritik an seiner Argumentation vorgetragenen Ausführungen gehören – und die zeigen eben in eine ganz andere Richtung als die im Platonismus angenommene.

      Eine Konstellation, in der die Ideen möglicherweise selbst sinnlich wahrnehmbar sind, aber deshalb ja noch nicht ihre Funktionen verlieren, rückt Platon nun unvermittelt in die Nähe eines Denkers, den man erstens nicht in einer Einführung in die Philosophie und zweitens schon gar nicht in diesem Kapitel vermutet hätte: Johann Wolfgang Goethe (1749‐1832).

      Wenig bekannt ist, dass der Autor solcher Klassiker wie dem Faust oder dem Werther seine bedeutendste Leistung in einem ganz anderen Bereich sah: der Naturforschung. In Johann Peter Eckermanns Gesprächen mit Goethe betont der Meister noch drei Jahre vor seinem Tod, dass die 1810 veröffentlichte Farbenlehre, die Goethes Methodologie der Naturforschung enthält, im Vergleich mit allen seinen poetischen Werken seine wichtigste Veröffentlichung darstelle[66]!. Uns interessiert hier aber weder diese von Goethe geäußerte Selbsteinschätzung, noch die Tatsache, dass seine Farbenlehre von der Physik bis heute weitgehend ignoriert wird. Was dagegen im Zusammenhang mit Platon relevant ist, ist die Art Goethes, Naturforschung zu betreiben und die dabei zum Einsatz gebrachten Methoden.

      Das Programm von Goethes Naturforschung lässt sich kurz so zusammenfassen: „Man suche nur nichts hinter den Phänomenen: sie selbst sind die Lehre”[67]. Das heißt, dass der Versuch, die Phänomene der Natur zu erklären, selbst nur wiederum auf sinnlich Wahrnehmbares zurückgreifen darf – und nicht etwa auf abstrakte und unanschauliche mathematische Modelle. In diesem Sinne, so Goethe, „ruhen meine Naturstudien auf der reinen Basis des Erlebten”[68]. Die für ihn einzig akzeptable Methode besteht daher darin, einen „Zusammenhang der Erscheinungen”[69] herzustellen, und im Rahmen einer solchen Konstellation

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