Philosophenkönig – eine Einführung. Martin Arnold Gallee

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Philosophenkönig – eine Einführung - Martin Arnold Gallee

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und die drei Arten der Winkel und was dem sonst verwandt ist”[52]), einfach als völlig geklärt annehmen und „keine Rechenschaft weiter darüber weder sich noch anderen geben zu dürfen glauben, als sei dies schon allen deutlich”[53]. In der heutigen Philosophie würde man sagen: Platon bemängelt, dass die Wissenschaftler den Status der Grundbegriffe ihres Objektbereichs nicht klären. Das bedeutet aber letztlich, dass noch nicht einmal klar ist, wovon die betroffenen Wissenschaften eigentlich handeln!

      Zumindest mit diesem kritischen Hinweis zeigt sich Platon als treuer Schüler seines Lehrers Sokrates, der ja – wie wir im Vorkapitel gesehen haben – genau an dieser Stelle ansetzte. Auch das von Sokrates (zwar nicht im wissenschaftlichen Rahmen, wohl aber innerhalb der Alltagssprache) immer wieder vollzogene Zurückweisen nur beispielhafter Antworten auf die Frage nach dem Allgemeinen wird von Platon übernommen und in seine Terminologie übersetzt. – So kritisiert er, dass die genannten Wissenschaftler

      sich der sinnlich sichtbaren Dinge bedienen und ihre Demonstrationen auf jene beziehen, während doch nicht auf diese als solche […] ihre Gedanken zielen, sondern nur auf das, wovon jene sinnlich sichtbaren Dinge nur Schattenbilder sind […].[54]

      Geschickt belässt es Platon damit nicht wie Sokrates bei der destruktiven Kritik am Scheinwissen, sondern präsentiert mit dieser Wendung die Ideen als Antwort auf die Frage nach dem Status der mathematischen und geometrischen Gegenstände. Denn offenbar dienen die sinnlich wahrnehmbaren Hilfskonstruktionen (zum Beispiel an der Tafel) nur der Erörterung, der tatsächliche Bezug dieser Wissenschaften liegt demgegenüber im Bereich „jener Gedankenurbilder, […] die niemand anders schauen kann als mit dem Auge des Geistes”[55]. Die Ideen helfen uns also, die Frage zu beantworten, worauf sich Mathematik und Geometrie eigentlich beziehen, sie etablieren damit den bis heute gültigen Begriff vom theoretischen Gegenstand. Der Vorschlag, die Ideen einfach als Bedeutung von Allgemeinbegriffen zu verstehen, hat hier seinen Ursprung.

      Diese auf die Wissenschaft bezogene Argumentation Platons verträgt sich im Übrigen auch gut mit dem Sokratischen Gedanken der Herstellung und Hervorbringung auf der Basis eines vorher ‚geschauten’ Musters. Denn nunmehr können konkret stattfindende Rechnungen oder Zeichnungen als an der jeweils dahinter stehenden Idee orientiert verstanden werden, wobei dabei festzustellende Unterschiede als verschiedene Grade der Realisierung der einen Idee zu interpretieren wären. Dass sich das Rechnen und Zeichnen in diesem Zusammenhang als nach Regeln ablaufend präsentiert, verweist auf einen weiteren wichtigen Aspekt des Verhältnisses von Ideen und Nicht-Ideen.

      Dabei fällt zunächst auf, dass Platon auch zwei Varianten dieser Frage behandelt, die zum Einen das Verhältnis der Ideen untereinander und zum Anderen den Bezug der Ideen zu den Menschen betreffen. In diesem Zusammenhang war oben die Rolle der Sonne noch offen geblieben, die den aus der Höhle befreiten Menschen zwar zunächst blendet, dann aber durch ihr Licht das Sehen der Gegenstände außerhalb der Höhle ermöglicht. Man könnte zunächst versucht sein, die Sonne als die Ideen allgemein zu verstehen und die Dinge, die sie bescheint, als die Gegenstände der Alltagswelt. Das läge zwar nahe, ist aber im Höhlengleichnis nicht gemeint. Vielmehr bedeutet der Aufstieg aus der Höhle bereits den Abschied von der täuschenden Welt der Sinne, der Bereich außerhalb der Höhle steht insgesamt für die Sphäre der Ideen bzw. des Denkens. – Was bedeuten dann aber die Sonne und die von ihr beleuchteten Gegenstände?

      Nun, der aus der Höhle kommende Mensch hat es eigentlich nicht direkt mit der Sonne zu tun, er hat schließlich genug damit zu kämpfen, dass ihr Licht, das die Gegenstände reflektieren, ihn blendet. Dass dabei unzählige Gegenstände von einer einzigen Sonne beleuchtet werden, deutet bereits an, dass es für Platon auch innerhalb der Ideenwelt eine Struktur bzw. sogar eine Hierarchie gibt. Im Szenario des Höhlengleichnisses ist diese allerdings simpel gestrickt: Es gibt viele gewöhnliche Ideen und es gibt die eine, die höchste Idee – die Idee des Guten. Und eben nur diese Idee wird durch die Sonne dargestellt. Dabei steht die Idee des Guten durchaus in einem ähnlichen Verhältnis zu den anderen Ideen wie diese zu den Gegenständen des Alltags. Das heißt, so, wie die gewöhnlichen Dinge durch die Ideen zu dem werden, was und wie sie sind, lässt sich die Idee des Guten als Ursache der gewöhnlichen Ideen verstehen. Und während sich diese mit der Idee des Guten in einem System der Teilhabe befinden, also genau so mit ihr verknüpft sind wie die Nicht‐Ideen mit ihnen, existiert die Idee des Guten aus sich heraus und ist nicht von anderen Ideen abhängig – sie ist vielmehr „Grund und Anfang des Ganzen”[56]!.

      Diese ideen-interne Struktur hat auch Auswirkungen auf das Verhältnis des Menschen zu den Ideen. Denn so wie die Sonne im Gleichnis dem aus der Höhle Entkommenen das Sehen der von ihr beleuchteten Gegenstände ermöglicht, ist der Mensch erst durch die Idee des Guten in der Lage, gedanklich auf die gewöhnlichen Ideen zuzugreifen. In diesem Zusammenhang ist bei Platon allerdings nicht von einem Lernprozess üblicher Art die Rede, vielmehr geht er davon aus, dass die menschliche Seele, bevor sie in den Körper gesperrt wurde, die Ideen bereits ‚geschaut’ hat und sich daran erinnert. Die Idee des Guten ermöglicht dem Menschen also die Wiedererinnerung (anamnesis) an die gewöhnlichen Ideen – darin besteht die Aussage des Son­nen­gleich­nis­ses[57]!.

      Vor diesem Hintergrund der Klärung der inner‐idealen Verhältnisse kann nun auch das oben begonnene Liniengleichnis weiter präzisiert werden. – Dort war ja der menschliche Weltbezug auf der obersten Einteilungsebene der Linie in eine sinnliche und eine denkende Relation segmentiert worden. (Im Übrigen kann es in diesem Zusammenhang im Anschluss an das zu Parmenides Gesagte nicht überraschen, dass Platon den ersten Teil auch mit dem bloßen Meinen, der doxa, in Verbindung bringt, den zweiten Teil hingegen mit dem Wissen, der episteme.) Auf einer zweiten Ebene unterteilt Platon nun zunächst den Bereich der Sinnlichkeit weiter in ein Segment, das Spiegelbildern, Schatten und ähnlichen Täuschungen entspricht, wie sie die Gefangenen im Höhlengleichnis vor sich an der Wand sehen (A), sowie einen zweiten Teil, der mit den sinnlich wahrnehmbaren Dingen korrespondiert, etwa solchen, wie sie in der Höhle hinter der Wand entlang getragen werden (B). – Der Bereich des Denkens zerfällt hingegen in einen Teil, der die mathematischen Gegenände betrifft (C), sowie schließlich die Ideen (D). – Obwohl sich diese Darstellung auch buchstäblich linear verstehen lässt, nämlich als Steigerung von der Täuschung (A) zum Wissen (D), arbeitet Platon den philosophischen Gehalt des Liniengleichnisses auf der Basis einer der wichtigsten mathematischen Methoden seiner Zeit heraus: der Analogie. Demnach verhält sich A zu B genau so wie C zu D. Das bedeutet, die mathematischen Gegenstände sind für Platon in genau dem Sinn Schatten der Ideen, wie es die Schatten in der Höhle im Vergleich zu den Gegenständen hinter der Mauer sind. – Und das Verhältnis von B zu D, also der sinnlich wahrnehmbaren Dinge zu den Ideen, wiederholt sich mit der Relation zwischen den gewöhnlichen Ideen und der Idee des Guten.

      Es ist nun alles andere als ein Zufall, dass die höchste aller Ideen für Platon nicht etwa in der Idee des Seins oder einer anderen deskriptiven, also beschreibenden Kategorie besteht, sondern in einer normativen, vorschreibenden – eben der des Guten. Denn der Philosoph Platon versteht sein Denken vor allem als Orientierungshilfe in einer Welt, der seiner Ansicht nach der Verfall droht. Wie sein Lehrer Sokrates hat auch Platon also ein praktisches Anliegen, allerdings in einem wesentlich größeren Umfang[58]!. Er sieht die Ideen (deren Bereich er ja im Unterschied zu Sokrates universalisiert) als eine bzw. die einzige Möglichkeit, der Welt und den in ihr handelnden Menschen Halt zu geben und die Chance zu bieten, sich an einem verbindlichen Maßstab auszurichten.

      Zu all den bereits von Platon ins Spiel gebrachten Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis von Ideen und gewöhnlichen Gegenständen kommt folglich noch eine letzte hinzu: Die Ideen üben eine normierende Kraft gegenüber der Welt aus.

      Platon diskutiert seine Gedanken zu den Ideen daher nicht nur in eher theoretischen Bereichen wie der Wissenschaft, sondern sehr oft auch im Feld des Praktischen, etwa der Moral oder der Politik. An der bereits oben aus dem Phaidon zitierten Stelle

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