Philosophenkönig – eine Einführung. Martin Arnold Gallee

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Philosophenkönig – eine Einführung - Martin Arnold Gallee

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Welt emanzipiert hatte, ist das Denken über die Theorieebene (und das genau ist es ja, was bei der Unterscheidung von wahrem und Scheinwissen geschieht) nur von einer weiteren, dritten Ebene aus möglich. – Diese dritte Ebene wird in der Wissenschaft als Metaebene bezeichnet, was sich vom griechischen meta (hier etwa: ‚über’) herleitet. Dabei ist ‚über’ nicht etwa im hierarchischen Sinne von ‚höher stehend’ zu verstehen, sondern nur als Bezug der Metaebene auf die Theorieebene. Auf der Metaebene wird also über die Theorieebene nachgedacht, und das ist in moderner Terminologie genau das, was Sokrates tut: Er macht sich (metastufig) Gedanken über das (theoriestufige) Denken bezüglich der (objektstufigen) Welt. Das mittlerweile Jahrtausende alte Rätsel um den angeblich widersprüchlichen Sokratischen Satz ‚Ich weiß, dass ich nichts weiß’ löst sich sofort in Wohlgefallen auf, wenn man diese Dreistufigkeit der Sokratischen Philosophie berücksichtigt – ‚Ich weiß (metastufig, also beim Nachdenken über mein Denken), dass ich (theoriestufig, also in Bezug auf die Welt) nichts weiß’[33]!.

      Das Faszinierende an dieser Sokratischen Erweiterung des menschlichen Weltbezugs auf drei Ebenen[34]! ist nun, dass sich die ersten beiden (also Objekt- und Theorieebene) insofern unterscheiden, als die Welt ja tatsächlich etwas ganz anderes als das Denken über sie ist. Bei der Unterscheidung von Theorie- und Metaebene hingegen sieht das Ganze schon anders aus: Auf beiden Ebenen wird schließlich gedacht, nur das Ziel ist jeweils ein anderes – im ersten Fall die Objektebene (also die Welt), im zweiten Fall ist es die Theorieebene, die von der Metaebene aus thematisiert wird. Das Denken, so könnte man also auch sagen, denkt über sich selbst nach, wie es über die Welt nachdenkt. Es hält sich, metaphorisch gesagt, den Spiegel vor und macht sich so ein Bild von sich selbst[35]!. Und an genau diese Metapher ist ein philosophischer Fachbegriff angelehnt, mit dem das Sokratische Vorgehen und die Wirkung, die es bis heute hat, bezeichnet werden. Wenn Sokrates über sein Denken (und das seiner Zeitgenossen) nachdenkt, dann wird dieses Denken über das Denken als reflexiv bezeichnet, das theoriestufige Denken betrachtet sich also sozusagen im Spiegel der Metaebene selbst.

      Dieses Reflexionsniveau, wie es auch genannt wird, ist nun einerseits im Anschluss an die von Sokrates erbrachte Differenzierung der Ebenen zum Qualitätsmerkmal allen Denkens geworden[36]!. Das gilt zunächst sicherlich für die Philosophie und ihre Methode des Argumentierens selbst. Darüber hinaus ist die Reflexion aber auch für die Wissenschaft insgesamt zum Charakteristikum schlechthin geworden, durch das sie sich bis heute von allen anderen Teilen der Gesellschaft abgrenzt. Diese haben stets nur ihren jeweiligen Objektbereich zum Thema, die Wissenschaft hingegen umfasst sowohl die Theorie- als auch die Metaebene. Ihre Grenze verläuft sozusagen um beide Ebenen herum, und genau das wird sowohl innerhalb der Wissenschaft selbst[37]! als auch jenseits des Campus[38]! als Merkmal für Wissenschaftlichkeit überhaupt betrachtet. Nicht nur die Philosophie an sich, sondern vielmehr auch und gerade die akademische Philosophie und die Wissenschaft insgesamt haben Sokrates somit sehr viel zu verdanken.

      Während diese formale Erweiterung des menschlichen Weltbezugs auf drei Ebenen allgemein anerkannt ist, gibt es bezüglich der Frage, wie Sokrates inhaltlich zwischen wahrem und Scheinwissen unterscheidet, auch in der heutigen Philosophie noch einige Diskussionen. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass Platons Denken von dieser Frage aus seinen Anfang nimmt und sich von dort aus sozusagen zu Höhen aufschwingt, von denen es sehr unwahrscheinlich ist, dass der bodenständige Sokrates sie noch als Teil seiner Philosophie betrachtet hätte. Für Platons Lehrer stand nämlich das konkrete Gespräch im Mittelpunkt, also „das, was den Menschen anging”[39] und sein Gegenüber ihm zu sagen hatte, und damit setzte er sich dann – wenn auch oft kritisch – auseinander. Die Art der Kritik, für die sich Sokrates in Athen schnell einen soliden Ruf erwarb, war aber nicht etwa die direkte Gegenrede, sondern vielmehr das gezielte Nachfragen.

      Während Sokrates wohl gesonnene Interpreten dieses Vorgehen seiner Bescheidenheit und seinem Reflexionsniveau zuschrieben[40]!, sahen sich seine Gesprächspartner (denen das Ziel der Sokratischen Methode, Scheinwissen zugunsten von wahrem Wissen zu zerstören, in den meisten Fällen nicht klar war) durch dieses Vorgehen mindestens nicht ernst genommen, schlimmstenfalls hingegen komplett lächerlich gemacht. Sie sahen – auch das ist leider bis heute oft zu beobachten – in den von Sokrates gezielt gestellten Fragen nicht nur einen Angriff auf ihr Denken (von dem sie ja überzeugt waren), sondern fühlten sich auch persönlich attackiert. Zumal die Gespräche mit Sokrates (wie auch die entsprechenden platonischen Dialoge) oft aporetisch enden, also ohne irgendeine positive Auflösung oder Beantwortung der gestellten Fragen.

      Die wohl sicherste allgemeine Charakterisierung der Sokratischen Methode, durch sein gesamtes Wirken als Philosoph hindurch, ist das Stellen von ‚Was-ist-Fragen’, also zu verlangen, über eine gerade besprochene besondere Situation hinaus anzugeben, was sich hinter dem dabei gestreiften Themenbereich allgemein verbirgt. Vor allem in der Apologie, dem Euthyphron, dem Kriton und (aus Platons mittlerer Schaffensphase) dem Phaidon steht dieses Vorgehen Sokrates´ im Zentrum des Interesses. Mit den Worten Xenophons ging es Sokrates darum, im Gespräch herauszufinden,

      was fromm, unfromm, edel, unedel, gerecht, ungerecht sei, was Besonnenheit, Tollheit, Tapferkeit, Feigheit sei, auch, was ein Staat, ein Staatsmann, eine Regierung und ein Regent sei.[41]

      Mit dieser beständigen Nachfrage „was jedes Ding sei”[42] verunsicherte Sokrates seine Gesprächspartner regelmäßig – wenn sie denn die Frage überhaupt verstanden. In nicht wenigen Fällen, etwa im Euthyphron, bekommt Sokrates als Antwort nämlich den Verweis auf Beispiele und Einzelfälle. So beantwortet Euthyphron die Frage, was fromm sei, auf die folgende Weise: „Ich sage eben, dass fromm ist, was ich jetzt tue, den Übeltäter nämlich […] zu verfolgen”[43]!. Das aber, so macht ihm Sokrates klar, verfehlt den Sinn der Frage völlig: „Du hast mich […] nicht hinlänglich belehrt auf meine Frage, was wohl das Fromme ist, sondern du sagtest mir nur, genau das sei zufällig fromm, was du jetzt tust”[44]. Um aber das überhaupt sagen zu können, so Sokrates, muss man bereits wissen, was das Fromme an sich ist – und genau darum geht es ihm.

      Der tiefere Sinn des Sokratischen Fragens ist, das hatten wir oben gesehen, praktischer Natur: Dem Gesprächspartner soll klar werden, dass er noch nicht einmal erklären kann, worin eigentlich der thematische Bereich dessen besteht, über das er sich gerade äußert. In diesem Einsehen des eigenen Nichtwissens, dieser Reflexion also, besteht für Sokrates der erste Schritt zum wahren Wissen[45]!. Sein beständiges Fragen nach der Sache selbst ist – so könnte man aus heutiger Sicht sagen – das theoretische Mittel zu einem praktischen, lebensweltlichen Zweck: dem Einsehen des eigenen Nichtwissens und dem sich Öffnen für das Wissen um das Gute und Wahre.

      Das Problem besteht nun darin, dass weder Platon noch Aristoteles dieses vorwiegend praktische Interesse ihres Lehrers in ihren jeweiligen Darstellungen respektiert haben, sondern ihn als wesentlich theoretischer und abstrakter ausgerichteten Philosophen portraitieren. Dabei stimmen beide darin überein, es sei Sokrates nicht etwa um Einzelfälle, sondern das damit im Zusammenhang stehende Allgemeine gegangen. Sie unterscheiden sich aber deutlich in ihren Meinungen, was dieses Allgemeine genau ist.

      Dabei bringt Platon schon recht früh, nämlich im Euthyphron, vorsichtig seine eigenen Gedanken ins Spiel, insofern er Sokrates im Rahmen von dessen Frage nach dem Frommen und Unfrommen die Worte in den Mund legt, „dass alles, was unfromm sein soll, soviel nämlich seine Unfrömmigkeit betrifft, eine gewisse Gestalt hat”[46]. Dabei wird sich die griechische Entsprechung von ‚Gestalt’ – idea – in der Folge zu einem der wichtigsten Begriffe der Philosophiegeschichte entwickeln. Was es genau mit der platonischen Ideenlehre auf sich hat, werden wir im nächsten Kapitel untersuchen, hier ist zunächst einmal relevant, in welcher Hinsicht Platons Darstellung von Sokrates und seinem Denken abweicht. In diesem Zusammenhang gehört es zu den Besonderheiten der philosophisch einmaligen Athener Konstellation, dass die

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