Die tätowierten Augen. Viktoras Pivonas

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Die tätowierten Augen - Viktoras Pivonas

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mit einem Balkenkreuz. Neben ihm stand ein wohl Gleichaltriger mit kantigen Gesichtszügen. Er trug einen Anzug, der ehemals eine Uniform gewesen sein mochte und am Kragen einen ausgeblichenen roten Stern gerade noch ahnen ließ.

      Das Feuer brennt viel zu hell, sagte der Verwundete.

      Abel bückte sich und zog zwei Bretter aus der Glut. Er legte sie neben die Pyramide und trat die Flammen der Scheite aus. Danach setzte er sich wieder.

      Ob man uns wohl etwas Wein gelassen hat? fragte jemand. Statt einer Antwort lachte ein anderer auf und brach gleich darauf sein Lachen ab, als hätte es ihn selbst erschreckt.

      Vielleicht, antwortete schließlich Abel, aber bei der Dunkelheit wird es nicht ganz leicht sein, etwas zu finden. Nun, fuhr er fort und blickte den Verwundeten an, es hat ja auch keine Eile, mit dem Wein. Wenn jemand durstig ist, kann er Wasser trinken – und, wie die Dinge liegen, haben wir zum Feiern keinen Grund.

      Zum Feiern nicht, sagte der, der eben noch gelacht hatte, aber zum Vergessen.

      Alle blickten in seine Richtung; da er aber im Hintergrund saß, war von seinem Gesicht nichts zu erkennen. Außerdem trug er, wie fast alle Anwesenden, einen unförmigen Mantel, unter dem sich noch mehr Kleider ebenso verbergen konnten, wie Gepäckstücke oder gar Waffen.

      Vergessen… Ich weiß nicht, nahm der alte Abel den Faden auf, als sei die Lage der Flüchtlinge ganz natürlich und als ging es nur darum, ein Gespräch zu führen:

      Mir geht es ganz anders. Mir drängen sich die Erinnerungen auf, so als sei dieser Platz besonders fürs Erzählen geeignet.

      Sie haben Nerven, sagte der Verwundete und es klang fast ein wenig vorwurfsvoll.

      Nein, nein, erwiderte Abel, ich bin nur alt. Und wenn man alt ist, besteht man fast zwangsläufig aus Geschichten. Würde ich auch noch einen Schluck Wein trinken, könnte ich damit gar nicht aufhören.

      Erzähl mal, sagte der Junge.

      Vielleicht, antwortete Abel, wenn es niemanden stört, und dabei blickte er in die Runde und versuchte, einen Blick von jedem der um das Feuer Sitzenden aufzufangen, vielleicht erzähle ich dir eine Geschichte.

      Als keiner antwortete – nur die junge Frau schien zu nicken – kroch der Junge auf allen Vieren neben den Platz des Alten, nahm die beiden Scheite und legte sie erneut ins Feuer. Dabei blickte er den Verwundeten an. Der schwieg. Der Junge starrte in die Flammen. Mit leiser Stimme begann Abel zu erzählen. Dabei blickte auch er ins Feuer, so, als würden die springenden Funken ihn an etwas erinnern. Doch kaum, dass er einige Sätze gesprochen hatte, bat eine Stimme von der anderen Seite der Runde: Lauter, etwas lauter, bitte. Abel nickte und begann noch einmal von vorn.

      Die tätowierten Augen

      Ich kannte einen Mann, der war schon so lange umhergewandert, dass er fast alles Böse gesehen hatte, was es auf der Welt zu sehen gab. Schließlich wurde es seinen Augen zu viel und er drohte zu erblinden. War er früher von Land zu Land gezogen, um die Erde kennen zu lernen, so war er nun ständig auf der Flucht; denn immer wenn er etwas Böses sah oder sehen musste, kostete es ihn einen Teil seines Augenlichts. Sein Dasein wurde immer hoffnungsloser, denn wohin er auch kam, nirgends gab es nur Gutes, und so kaufte er sich schließlich eine schwarze Brille. Nun wurde es womöglich noch schlimmer, denn natürlich lachten die Leute über ihn, dass er, der doch sehen konnte, überall schwarz sah und selbst bei hellem Tag in eine Lage geraten konnte, in die er offenen Auges nie gelaufen wäre. Manche Menschen wollten ihm sogar helfen. Doch sobald sie merkten, dass er eigentlich sehen konnte, beschimpften sie ihn, weil sie glaubten, er wollte sie hintergehen. Ja, das eine oder andere Mal wurde er deswegen sogar verprügelt, so dass er es schließlich aufgab, sich mit einer Brille zu schützen. Nun blickte er wieder den Tatsachen ins Auge und immer, wenn es ein hässlicher Anblick war, dem er nicht ausweichen konnte, sah er wieder ein bisschen schlechter.

      Der Mann hatte längst erkannt, dass es so nicht weiterging. Schließlich entschloss er sich, einen Arzt aufzusuchen. Er fand auch den einen oder anderen Doktor, der ihm das sagte, was er selbst wusste, dass er langsam erblindete. Über die Ursachen freilich liefen die Meinungen der Mediziner weit auseinander und wen er auch aufsuchte, jeder vertrat eine andere Ansicht über den Grund des Leidens. Manche machten es sich ganz leicht: Die sagten, das käme vom Alter. Andere verschrieben ihm Tropfen und Salben, so dass er mit tränenden und halb verklebten Augen umherlief. Ein Doktor glaubte sogar, das Böse in ihm selbst zu erkennen und verlangte: Wenn dich dein Auge ärgert, dann reiß es heraus!

      So wanderte der Mann weiter und geriet im Lauf der Zeit auf die andere Seite der Erde. Auch dort glaubten die Leute, sie lebten in der Mitte der Welt und die Ärzte hatten eine noch sonderbarere Medizin erfunden. Manche meinten schon deshalb heilen zu können, weil sie barfuß liefen und andere bohrten, um seinen Augen zu helfen, feine Nadeln in seine Ohren, in die Finger und Zehen, auch in Bauch und Rücken. Die Nadeln spürte er wohl, aber nichts wollte helfen. Weil der Mann inzwischen aber so viele Fachleute befragt und Doktoren besucht hatte, erhielt er auch Ratschläge, wohin er sich wenden sollte und im Verlauf weiterer Jahre stellte er fest, dass er die Erde umrundet hatte und an seinen Ausgangspunkt zurückgekehrt war – verzweifelt und unglücklicher denn je. Als er hier von einem hörte, der dadurch die Leute heilen wollte, dass er eine Weile stumm am Kopfende des Krankenbettes zu sitzen versprach, beschloss er, gar nicht erst hinzugehen.

      Eines Tages kam er in eine Hafenstadt. Nachdem er in einer Gastwirtschaft einen getrockneten Fisch gekauft hatte, saß er an der Mole und verzehrte sein karges Mal. Schließlich warf er die Gräten ins Wasser. Wie es so ging, sah er gleich darauf die Gräten wieder, weil sie einem Angler, der geduldig neben ihm saß, an den Haken gerieten.

      Doch anstatt zu schimpfen, holte sein Nachbar die Angel ein, löste die Gräten vom Haken und warf sie zurück ins Hafenbecken. Danach nahm er einen frischen Köder und legte die Angel aus.

      Du bist mir nicht böse? fragte der Mann den Angler.

      Der schüttelte den Kopf: weshalb sollte ich?

      Merkwürdig, dachte der Wanderer, und fühlte sich, ohne dass er gleich sagen konnte weshalb, ein bisschen wohler. Nicht, dass er nicht im Lauf seines Lebens auch anderswo freundliche Menschen getroffen hätte – doch diesmal kam ihm, ohne dass der Angler sich weiter erklärte, dessen geduldige Art so eigentümlich vor, dass er ihn genauer betrachtete.

      Seine Aufmerksamkeit wurde belohnt. Als der Angler ein weiteres Mal seine Schnur hinaus warf, rutschte der Ärmel des Hemdes zurück und ein prächtig tätowierter Fisch wurde sichtbar. Doch war es nicht eine einfache Zeichnung, wie sie manche Seeleute trugen, sondern ein Kunstwerk für sich. Sah man nämlich genauer hin, dann wurde deutlich, dass der tätowierte Fisch genauestens den Muskeln des Armes angepasst war. Bei jeder Bewegung schien es, als bewegte sich der Fisch, als ließe er Flossen und Schwanz spielen oder als schnappte er nach einem Köder.

      Ein schöner Fisch, sagte der Angler, als er die Blicke des Mannes bemerkte.

      Wirklich, ein schöner Fisch, konnte der nur zustimmen.

      Jeder Fischer besitzt so ein Prachtstück, fuhr der Angler fort.

      Tatsächlich? fragte der Mann und ließ keinen Zweifel daran, wie erstaunt er war.

      Jeder, sagte der Angler stolz.

      Und das hilft beim Angeln? fragte der Mann ungläubig.

      Unbedingt, antwortete der Angler, sieh her, der Eimer: halb voll mit Fischen – und ich sitze erst seit

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