Die gefundene Frau. Rita Kuczynski

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Die gefundene Frau - Rita Kuczynski

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war.

      Ich versuchte mir, durch Konzentration auf das Geschehen an diesem Ort, zu verbieten, was ich hörte. Eine elektronische Orgel spielte das Thema des adagio, das zuletzt in New York so unerwartet auf mich zugekommen war.

      Ich blieb stehen und hielt mir die Ohren zu. Das änderte nichts daran, daß eine Hammond-Orgel schon die zweite Variation auf das adagio in langsamen Halbtonschritten aufsteigen ließ, um in plötzlichem Tempowechsel schneller immer schneller zu werden. Der abrupte Wechsel des Tempos und die sich noch immer beschleunigende Variation, brachte ein Vibrieren in mich. Ich hatte Mühe, vor erhabener Rührung nicht loszuheulen. Rührung, von der unklar war, wem und was sie galt.

      Wie sehr haßte ich Liederlichkeiten in Gefühlssachen. Verabscheute diffuse Trauer und deren unberechenbaren Umschlag in Selbstmitleid. Lebenslänglich bin ich mit ungeheuerlicher Kraft und Härte gegen jegliche Sentimentalität in mir angegangen. Sollten die Anstrengungen aus all den Jahren ihr Ende darin gefunden haben, daß ich in dieser Unterführung vor einem Abfalleimer voll von fettigen Papptellern mit all den Sentimentalitäten konfrontiert wurde? Sollte meine Arroganz, diffuse Gefühle durch Willensstärke niedergehalten zu haben, hier an diesem Imbißstand widerlegt werden? Dem einzigen Stand im gesamten Netz der Untergrundbahn, an dem es die Currywurst mit scharfem Senf gab. War ich in diese Unterführung geraten, damit ich mit meiner Selbstüberhebung vor einem weißen Plastiktisch konfrontiert werden konnte. Sollte meine Überstiegenheit ausgerechnet an dem Wurststand zum Aufgang D auf den banalen Punkt zurückgeführt werden, daß auch mein Hunger gestillt werden konnte, und zwar durch Currywürste mit braunem Senf?

      Ich versuchte durch Konzentration, die eigene Schwäche wegzudrücken. Versuchte auf Druck mit Gegendruck zu reagieren. Aber meine Kraft reichte nicht. Ich heulte los. Die Orgel setzte aus. Ich flennte weiter. Es tat mir gut. Und trotzdem. Mit Halluzinationen wollte ich nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun haben. Sie gehörten mir nicht mehr. Gehörten nicht hier her. Ich preßte die Hände fest gegen die Ohren. Für einen Augenblick war Ruhe. Nachdem durch zu starkes Pressen auf das Trommelfell in den Ohren schließlich allerlei Geräusche entstanden waren, gab ich sie wieder frei. Ich hörte die elektronische Orgel deutlicher als vorher. Ich ging der Melodie nach. Ich wollte sicher sein, daß mir meine Ohren nach all dem Ende nicht schon wieder einen Streich spielten. Ich lief mit geschlossenen Augen auf das Gehörte zu. Als ich sicher war, daß ich der Melodie zum Berühren nahe war, öffnete ich die Augen. Vor mir saß Moses Grossman und spielte auf einer Hammond-Orgel.

      Das Gehör war also auch geblieben. Moses Grossman nickte und brach die Variation ab. Er blies in seine Hände und spielte Tonleitern mit einer Fingerfertigkeit, aus der auf Anhieb klar wurde, daß er ein Profi war. Seine Technik und der Anschlag verrieten es. Die akustische Abstimmung der Orgel auf den Ort hier unten konnte nur einem Berufsmusiker mit solcher Präzision gelingen. Die nach oben aufeinander zulaufenden Wände, die der Deckenwölbung das Aussehen eines Spitzdachs gaben, akustisch so auszugleichen, daß kein Hall entstand, bedurfte jahrelanger Spielerfahrung in unterschiedlichsten Sälen.

      Moses Grossman spielte die Tonleitern immer schneller. Erst jetzt sah ich, rechts neben der Orgel lag seine Joggingmütze, mit Kleingeld, da zwischen auch Scheine. Moses Grossman steigerte das Tempo der aufsteigenden Tonleitern noch immer. Unerwartet brach er das Spiel ab, stand auf und bedankte sich beim Publikum, das um die Orgel stehengeblieben war. Er verbeugte sich nach allen Seiten und nahm schließlich seine Joggingmütze auf. Das Geld steckte er zufrieden in die Hosentasche.

      Das Publikum zerstreute sich. Ich blieb.

      6

      Moses Grossman packte mit viel Sorgfalt seine Orgel in einen grünen Seesack. Nachdem er ihn zugeschnürt hatte, wandte er sich zu mir.

      Komm. Der Weg ist lang.

      Schweigend fuhren wir mit der letzten U-Bahn in Richtung Wohnheim. Der Bahnhof, an dem wir ausstiegen, war menschenleer. Wir hatten den U-Bahntunnel kaum verlassen, da wurde hinter uns sein Zugang aus Gründen der öffentlichen Sicherheit geschlossen. Bis fünf Uhr morgens war die Untergrundbahn nicht nur für Obdachlose gesperrt.

      Den Nachtbus zum Wohnheim hatten wir um drei Minuten verpaßt. Der nächste fuhr erst in einer knappen Stunde. Also liefen wir auf der endlose geraden Ausfahrtsstraße, an der nun meine Bleibe lag.

      Kurz vor dem Heim blieb Moses stehen und zeigte auf die Strecke, die wir gemeinsam zurückgelegt hatten.

      Die Straße ist auch ein Weg. Du wirst sehen. Selbst wenn wir den Weg nicht bis an sein Ende gemeinsam gehen. Aus all der Leere, die wir hörten, kann nach diesem Ende auch Stille neu entstehen. Hörst du?

      Ich hörte nichts. Nur das Geräusch eines uns entgegenkommenden Autos, dessen Scheinwerferlicht noch nicht zu sehen war.

      Die Wüste ist in uns, meinte Moses. Wir durchqueren sie täglich, wenn wir uns durchqueren. Wir wollen es nur nicht wahrhaben. Also tun wir so, als wüßten wir noch wohin, lange nachdem wir uns verloren haben. Tun so, als seien nicht wir die, die da herumirren. Tun, als seien wir andere.

      Er schloß die Haustür zum Wohnheim auf und brachte mich bis an die Flügeltür zu den Schlafräumen für Frauen im Parterre.

      Die zweite Nacht im Wohnheim ist länger als die erste. Aber was du vor Sonnenaufgang träumst, soll in Erfüllung gehen. Es ist spät.

      Noch wußte ich auf solche Sätze nicht zu antworten. Wortlos verabschiedete ich mich und ging den leeren Gang bis an sein Ende, wo mein Zimmer lag. Erschöpft ließ ich mich auf mein Futon fallen und schlief traumlos bis in den späten Vormittag.

      7

      Schlaftrunken wankte ich in den Waschraum. Ich schüttete mir kaltes Wasser ins Gesicht, immer wieder. Auch das war also geblieben: Nicht aufwachen wollen. Ich nahm den Fahrstuhl in den ersten Stock. Im Speisesaal roch es nach Betriebskantine. Ich schmierte mir ein Butterbrot. Als ich dabei war, eine Scheibe Mortadella auf die Stulle zu legen, betrat Moses Grossman den Raum. Er zeigte auf Haferflocken, dünne Milch und geraspelte Äpfel. Von allem nahm er reichlich, rührte es in einer Suppenschüssel an und reichte sie mir.

      Ohne Ausgewogenheit in der Kost hältst du den Weg nicht durch. Sagte es und verschwand.

      Der Weg begann also damit, daß ich zum Frühstück Müsli mit Früchten aß.

      Noch fehlte mir jegliche Neugier, ans Fenster zu treten, um zu sehen, was zu sehen war, wenn ich aus dem ersten Stock des Wohnheimes auf die Straße sah. Die Vorstellung, daß ich fünf Meter über der Asphaltstraße auf Plastiktüten und ihre Träger sehen würde, wenn ich aus dem Fenster sähe, reichte hin. Ich aß das Müsli in mich rein. Es schmeckte gar nicht so schlecht.

      Zum Schluß, legte ich den Löffel genau in die Mitte des abgegessenen Tellers. Als ob es darauf ankäme mir ein Zeichen zu geben, es ginge auch nach allem Ende ordentlich weiter mit mir. Ich müsse nur verstehen, daß das eine in mir mit dem anderem nichts zu tun habe. Müsse achtgeben, daß ich an mir vorbeikäme. Also: Auf der Grenze zu mir leben und möglichst die Balance nicht verlieren. Dann ginge ich immerzu fort. Dann würde ich nicht zurückkommen müssen auf mich.

      Ich nahm den leeren Teller und stellte ihn auf den Geschirrwagen. Plötzlich hatte ich es eilig. Ich nahm gleich mehrere Stufen auf einmal. Ich wollte zu meiner Schlafstelle, dem einzigen Ort hier, der mir als persönlicher zugewiesen worden war, nachdem ich die Hausregeln durch meine Unterschrift anerkannt hatte.

      Ich war im Parterre angekommen, da hielt mich der Pförtner an.

      Ein Gespräch für Sie. Ich habe Sie schon

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