Die gefundene Frau. Rita Kuczynski

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Die gefundene Frau - Rita Kuczynski

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also geblieben, die Weigerung, mich vor dem Frühstück ansprechen zu lassen.

      Es war der Steinmetz.

      Achtundvierzig tausend und davon 15 Prozent Provision für das Geschäft durch mich. Ab zwölf Uhr können Sie das Geld in meinem Laden abholen.

      Ich legt den Hörer auf, da bog Moses Grossman um die Ecke des Flures. Er hatte seinen blauen Jogginganzug an. Schweißüberströmt und atemlos kam er einige Zentimeter zu dicht vor mir zum Stehen. Da entstand Nähe, auf die ich nicht vorbereitet war. Abgehackt, weil noch immer atemlos, sagte er leiser als sonst.

      Du mußt fort von dir, damit du von anderswo wieder auf dich zugehen kannst.

      Er trat einen Schritt zurück.

      Deine Kisten können nicht im Abstellraum bleiben. Wir können sie in die Gepäckaufbewahrung bringen. Wenn du willst.

      Er rannte nicht gleich wieder los. Er blieb stehen. Ich auch. Ich weiß nicht wie lange. Aber plötzlich spürte ich seine Hand in meinem Nacken. Vorsichtig strich sie über den Hals. Ich schmiegte mich an sie und war wie hypnotisiert. Ich spürte, wie ich mich gespürt hatte in einer Zeit, von der ich annahm, sie käme nicht mehr auf mich zurück.

      Als Moses Grossman seine Hand zurückziehen wollte, hielt ich sie. Hielt sie sehr fest. Woher ich den Mut nahm, verstand ich nicht. Und ich war erleichtert, daß ich nicht verstand. Nicht loslassen war mein einziges Verlangen. Moses drückte meine Hand nun auch, sehr fest. Dann verschwand er.

      Benommen stand ich auf dem Flur und sah auf den endlosen Gang. Wir werden zu keiner Zeit andere Zeit haben, als die, in der wir gerade standen. Und ich war fest entschlossen, diese Zeit nicht vergehen zu lassen, ohne daß sie stattfand. War bereit alles zu tun, um ihren Anfang aufs Neue immerzu anfangen zu lassen.

      Langsam lief ich den Flur. In mir löste sich eine Beklemmung, die mir viel zu lange den Atmen genommen hatte. Eine Angst, die mich hatte vergessen lassen, daß auch dieser Anfang hier lange vor jedem Anfang angefangen hatte.

      8

      Ich hatte eine Annonce aufgesetzt: Verpachte zwei Erdstellen in bester Lage mit Blick auf Kapelle gegen Nutzung eines teilbaren Zeit-Raums, Nähe Hochbahn Bedingung. Einundzwanzig Zuschriften waren eingegangen. Ich entschied mich, mit einem über achtzig Jahre altem Ehepaar Kontakt aufzunehmen. Die beiden Alten wollten auf Probe ein Jahr im Altersheim verbringen.

      Es waren selbständige Geschäftsleute, die nie eine Lebensversicherung abgeschlossen hatten. Und genau das gefiel mir. Wußte ich doch als meine eigene Hinterbliebene, was solch eine Versicherung wert war, weil Leben nicht gesichert werden kann. Die Nutzungsdauer von zehn Jahren reichte dem Ehepaar, da sie ohnehin keine Kinder hatten, die sich um das Grab kümmern würden.

      Früher sagte mir die Frau, sei sie nie darauf gekommen, daß ihr der Ort, an dem sie begraben werden würde, wichtig sein könnte. Aber jetzt beruhige sie die Vorstellung, ein Grab zu haben. Wahrscheinlich hinge das mit dem Alter zusammen. Das Sterben sei schon ein merkwürdig Ding. Ich konnte ihr nur zustimmen.

      Die Konditionen für die Untervermietung waren gut. Ich hatte in die Bedingung eingewilligt, in einem Jahr aus der Wohnung wieder auszuziehen, falls sie und ihr Mann sich nicht einleben würden im Altersheim. Die Frau ließ sogar über die Höhe der Nebenkosten mit sich reden.

      Das Ehepaar hatte die Wohnung als Eigentum vor Jahrzehnten erworben. Hier hatten sie gelebt. Hier war ihr gemeinsamer Ort, an den sie zurückkehren konnten nach ihrem Tagwerk. Die Vorstellung, daß sie, wenn sie jetzt sterben würden, wieder einen gemeinsamen Ort hätten, an dem sie Ruhe fänden, täte ihr gut.

      Wir vereinbarten einen Termin zur Besichtigung der Grabstätte.

      Ich hätte nicht übertrieben, sagte die alte Dame, als wir ankamen. Die Grabstelle wäre wirklich etwas Besonderes. Der Friedhof gepflegt. Seine Lage verkehrsgünstig, für den, der übrigbliebe, um nach dem anderen zu sehen. Ihrem Mann würde dieser Ort auch gefallen.

      Wir fuhren daher zu ihrer Wohnung. Sie lag nicht im vierten Stock, sondern im dritten. Ein Raum, durch eine Schiebetür teilbar. Vor dem Fenster die Hochbahn. Die Schienen in Höhe der Fenster nur wenige Meter entfernt. Ich riß das Doppelfenster auf und sah hinaus. Wenn ich mich nur genügend hinauslehnte, konnte ich die Tunneleinfahrt sehen, die auch Ausfahrt war...

      Ich war begeistert. Mit einem Blick aus dem Fenster konnte ich also Ausgang und Eingang vom Tunnel sehen. Ich sagte zu.

      Es finde sich ja gar nicht so oft einer, der direkt an der Hochbahn wohnen möchte, sagte die Frau. Sie hätten damals beim Kauf gerade wegen der Hochbahn von der Verkehrsgesellschaft einen günstigen Kaufvertrag bekommen. Ich könne ihr glauben, man gewöhne sich an die Hochbahn und an ihren Lärm in wenigen Monaten. Am Tage fahre die Bahn im Drei- Minuten-Takt. Zwischen ein und fünf Uhr nachts fahre sie gar nicht. Da sei es wirklich ruhig hier. Nur aufpassen müsse ich in dieser Zeit, daß das Haus immer abgeschlossen sei, wegen der vielen Stadtstreicher. Sie werden nach Betriebsschluß aus dem Tunnel gejagt. Da sei schon viel passiert.

      Während ich auf die Hochbahn sah, holte ich aus der Manteltasche den Untermietsvertrag für die Grabstelle. In einem Anwaltsbüro hatte ich ihn aufsetzen lassen. In ihm waren sowohl der Preis für eine illegale Überführung von Personen im Sterbefall festgelegt, als auch die Lagergebühren in einem Doppelgrab für maximal zehn Jahre. Die Frau unterschrieb.

      Ich mußte im Gegenzug unterschreiben, daß ich die Wohnung als Unterwohnung für ein Jahr nichtmöbliert miete und die Miete monatlich bar an meine Vermieter zahlte. Ich unterschrieb auch, daß ich für alle Schäden in der Wohnung selbst aufzukommen hätte und baulich keine Veränderungen vornehmen dürfte.

      Ich unterschrieb zum ersten Mal mit Agnes. Die Frau gab mir die Wohnungsschlüssel und verabschiedete sich.

      9

      Ich stand am Fenster. Vor mir die Schienen im Winterlicht. Silbrig glänzten sie. Parallel zueinander die Gleise. Ihre Richtungen einander entgegengesetzt. Wenn ich im flachen Winkel auf die Schienen sah, blendeten sie mich. Ein Zug kam. Er nahm mir die Sicht. Ich sah zum erstenmal hoch. Der Himmel über mir ein hellblauer Guß: Fragen eingeschlossen im Wintersmog.

      Ich machte das Lärmschutzfenster zu. Es war erst eingebaut worden im letzten Jahr. Vor dem schallgedämpften Fenster ein zweiter Zug. Er fuhr auf den Tunnel zu. Ich horchte in den teilbaren Zeit-Raum, der meine Unterwohnung nun war. Der Raum klang hohl. Es war ein Echo in ihm, das noch keinen Inhalt hatte. Da war nur Hall von einer Wand zur anderen. Erst jetzt nahm ich wahr, daß der Raum viel größer war als er beim ersten Hinsehen schien. Zu sehr war ich auf die Aussicht aus dem Fenster konzentriert gewesen. Nun versuchte ich, mir den Raum als Raum einzuprägen. Ich schritt den gerade gemieteten Zeit-Raum ab. Er war 6 Meter breit und 8 Meter lang. Der Fußboden Holzdielen, deren Lack von den Jahren abgetreten war.

      Als Ort, der mir Obdach werden sollte, mußte er von mir erst noch erfunden werden. Auf keinen Fall wollte ich ihn mit Erinnerungen verstellen, mit Andenken aus der Zeit, aus der ich gerade auf so umständliche Weise herausgetreten war. Die wenigen Dinge, die ich mitgenommen hatte aus dem Haus, nachdem ich es an die Hypothekenbank verloren hatte, konnten vorerst im städtischen Speicher ihren Platz finden. Ich wollte selbst bestimmen, wann ich auf meine Erinnerungen zuging. Auf keinen Fall sollten sie mir den Ort hier vollstellen.

      Zu den wenigen Dingen, die ich haben wollte, gehörten ein Futon. Ja, einen Futon wollte ich unbedingt. Er sollte direkt vor dem Fenster seinen Platz finden. Beim Aufwachen wollte ich den Himmel sehen. Auf den bloßen Dielen sollte der

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