Mobbing Jäger. Rainer Rau
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Kowalski war am Boden zerstört. Er wusste, dass sich seine Tochter umgebracht hatte, weil sie dazu getrieben wurde. Nur beweisen konnte er es nicht.
»Nein. Ich habe mir ihr Handy angesehen, da war kein Foto drauf.«
»Tja. Wie gesagt. Ohne Beweise haben wir schlechte Karten. Überlegen Sie sich das noch mal mit der Anzeige. Ich rate Ihnen davon ab, einen Prozess anzustreben. Rufen Sie mich an, wenn sich etwas Neues ergibt. Schönen Tag noch.«
Damit beendete der Anwalt das Gespräch.
Kowalski ließ die Schultern hängen und schüttelte den Kopf. Dann ging er in das alte Zimmer seiner Tochter, in dem sie die letzten Wochen vor ihrem Tod verbracht hatte. Bis heute konnte er es nicht betreten. Es erinnerte ihn zu viel an seine Tochter.
Das erging ihm vor Jahren, als seine Frau starb, genauso. So schlief er damals wochenlang auf dem Sofa im Wohnzimmer. Erika Kowalski war an einer plötzlich auftretenden Lungenembolie in der Nacht friedlich im Bett gestorben. Durch eine vorausgegangene Thrombose an der Vene des rechten Beines hatten sich Rückstände gelöst und waren bis vor die beiden Lungenflügel gewandert. Hier verschlossen sie die Venen. Die Lunge wurde nicht mehr mit Blut versorgt. Erika Kowalski hatte einfach aufgehört zu atmen.
Als ihr Mann früh am Morgen mit frischen Brötchen nach Hause kam und sie wecken wollte, konnte sie ihm keine Antwort mehr geben. Die Totenstarre hatte schon eingesetzt und ihre Körpertemperatur fühlte sich kalt an.
Kowalski sprach wochenlang nichts und erst dann kehrte er ins Leben zurück, nicht zuletzt, um seiner Tochter ein Beispiel zu geben. Sie war das Einzige, was ihn motivierte, weiterzuleben.
Nun hatte ihn der Anwalt auf eine Idee gebracht. Er suchte nach Beweisen im Zimmer.
Und er fand etwas.
Im Bücherregal zwischen den alten Lehrbüchern aus der Schulzeit und den kitschigen Liebesromanen fand er ein rotes Buch, welches zwar genau die gleiche Größe hatte wie alle anderen Bücher, aber nur halb so dick war. Er nahm es aus dem Regal und sein Pulsschlag ging schneller. Der Aufkleber war mit blauer Tinte in schönsten Buchstaben beschrieben: Mein Tagebuch.
Marions Tagebuch!
Warum war er nicht gleich auf die Idee gekommen, hier nachzuschauen?
Aber warum sollte er?
Er hatte nicht gewusst, dass sie ein Tagebuch geschrieben hatte. Sie hatte mal gesagt, dass sie so etwas kitschig finden würde. Außerdem macht man das heute doch mit Videoaufzeichnungen, wenn überhaupt, in ihrem Alter.
Er blätterte Seite für Seite um und fand für beinahe jeden Tag ihrer Dienstzeit einen Eintrag.
Er war erschüttert. Seine Tochter hatte alles genau aufgeschrieben. Wer, wann, was, wie es geschah. Wie sie sich fühlte. Welcher Pein sie ausgesetzt war. Wer ihr das alles antat.
Kowalski weinte. Er hatte seiner Tochter nicht helfen können. Er hatte all dies nicht gewusst, was er jetzt las. Sie hatte ihn nicht ins Vertrauen gezogen.
Warum hatte sie ihn nicht ins Vertrauen gezogen? Er war doch ihr Vater. Er hätte ihr helfen können.
Kowalski dachte nach. Hätte er ihr wirklich helfen können? Wohl eher nicht. Was hätte er denn tun können? Zu den Kollegen gehen und ihnen sagen: Hört mal zu, ihr bösen Buben, wenn ihr meine Tochter nicht in Ruhe lasst, bekommt ihr es mit mir zu tun!
Kowalski sah die Ausweglosigkeit.
Er rief nochmals seinen Anwalt an und teilte ihm den Fund des Tagebuches mit. Der bestellte ihn für den nächsten Vormittag in die Kanzlei.
Am nächsten Tag schaute sich der Anwalt das Tage-buch an und besprach sich mit seinem Mandanten.
»Die Namen sind nicht ausgeschrieben. Nur die Anfangsbuchstaben. Das ist nicht verwertbar. Da macht kein Richter mit.«
»Aber wir können es doch zumindest probieren. Die Datierungen sind ausschließlich Arbeitstage von Marion.«
»Selbst wenn wir damit den Richter überzeugen könnten, die Gegenseite wird uns das Tagebuch um die Ohren hauen. Das kann sonst wer geschrieben haben. Es kann auch eine Romanvorlage sein. Reine Fiktion.«
»Das glauben Sie doch nicht im Ernst!«
Kowalski war empört.
»Nein, natürlich nicht. Aber die Gegenseite wird so argumentieren und wir können keinen Beweis antreten.«
»Wir müssen es versuchen. Ich werde sonst noch verrückt.«
»Also gut. Machen wir Folgendes: Ich werde sehen, ob wir einen Gesprächstermin beim zuständigen Richter bekommen können. Das ist zwar nicht üblich, aber in Ihrem Fall macht man da bestimmt eine Ausnahme. Dann sehen wir weiter. Gibt er uns die Empfehlung zu klagen, werden wir das tun. Wenn nicht, müssen wir die Sache begraben. Einverstanden?«
Kowalski nickte zögerlich.
Der Anwalt hatte schon einen Tag später eine Verhandlung, die Richter Werbusch als Vorsitzender leitete. So ergab sich nach der Verhandlung ein kurzes Gespräch.
Martin Werbusch, der allgemein bekannt war für seine arrogante Art und den Anwalt schon abwimmeln wollte, ließ sich auf ein Gespräch ein, als der Anwalt ihm zu verstehen gab, dass sein Mandant sonst gewisse Fernsehsender anschreiben und dort um Hilfe bitten würde.
Nachfragen von kritischen Fernsehsendern konnte Werbusch im Augenblick nicht gebrauchen. Werbusch stimmte einem Gespräch schließlich zu und stellte die Bedingung, es sollte ein Vertreter der Polizei dabei sein und sie hatten nur eine Stunde.
Als der Anwalt Kowalski das mitteilte, passte ihm es gar nicht, er musste es aber so hinnehmen.
Das Gespräch fand zehn Tage später im Dienstzimmer des Richters statt. Anwesend waren ein Polizeipsychologe, der Einsatzleiter der Wache 1 der Schutzpolizei, Kowalski und sein Anwalt.
Der Richter wirkte, wie ihm sein Ruf vorauseilte, auf Kowalski arrogant und überheblich.
»Machen Sie hin, Herr Anwalt. Meine Zeit ist begrenzt. Ihnen ist schon klar, dass dies keine offizielle Anhörung, sondern nur ein einfaches Gespräch, also für eine spätere Verhandlung nicht im Geringsten relevant ist!«
Es war eine Feststellung, keine Frage.
»Ja, Herr Richter. Mein Mandant ist der Meinung, dass seine Tochter systematisch in ihrer Dienststelle von den Kollegen gemobbt wurde. Dies belegen auch die Aufzeichnungen in ihrem Tagebuch und ebenso die Aussagen der Kolleginnen.«
Der Polizeipsychologe ging schon auf Konfrontation.
»Aber das stimmt so doch gar nicht. Keine einzige Aussage von den Kolleginnen wurde uns gegenüber geäußert. Und die Tagebucheinträge können wer weiß was bedeuten. Jedenfalls beweist das kein Mobbing durch die Kollegen. Ist es überhaupt ein Tagebuch der Kollegin Kowalski? Kann es nicht auch zweckdienlich von Dritten geschrieben worden sein? Und im Übrigen, was wollen sie eigentlich?