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Weg.

      „Kannst ja rüber in die Staaten fliegen und Detektiv spielen!“, ruft mir Alex nach, bevor ich die Haustür überlaut zuschlage.

      Tja, und ebendies habe ich nun getan. Ich blinzle die unschönen Erinnerungen hinfort; verscheuche sie wie eine lästige Fliege, in der Hoffnung, sie mögen von mir ablassen. Doch wird dies nie der Fall sein. Die Schrecken haben sich wie Brandzeichen in meinen Verstand geätzt. Gutes wurde von Schlimmem abgelöst. In mir steigt Hass auf. Drängend wie Dampf in einem Kessel. Schreiend hebe ich einen faustgroßen Stein auf und schmettere ihn gen Teich. Brackige Flüssigkeit spritzt in alle Richtungen, dem die aufgebrachten Kröten folgen. Mit Genugtuung beobachte ich ihre überstürzte Flucht.

      Bis ich dieses tiefe, sonore, über alle Maßen garstige Quaken vernehme. Ich erstarre. Bodenloses Entsetzen schnürt mir die Kehle zu. Dieses Quaken … es stammt von keiner Kröte. Kröten quaken nicht. Aber auch kein gewöhnlicher Frosch ist imstande, solch einen durch und durch hasserfüllten, feindseligen Laut von sich zu geben. Meine Hand zittert, als ich sie sehr langsam, sehr bedacht zum Rücken führe. Dorthin, wo der Revolver versteckt ist, der sich wie ein tödliches Versprechen gegen meine Haut presst. Längst stehen meine Nerven kurz vorm Zerreißen. Ich verspüre jenes eigenartige Gefühl des Beobachtetwerdens. Zeig dich. Zeig dich, du missgestaltete Kreatur. Damit ich dir eine Kugel zwischen die Augen jagen kann – oder zumindest ein paar Rätsel aus dir rausquetsche.

      Nichts geschieht. Ganz in der Nähe rascheln Blätter. Einmal, zweimal. Dann – wieder Stille. Von den Kröten fehlt jegliche Spur. Ich sollte mich wieder auf den Weg machen.

      Es dauert eine ganze Weile, bevor ich den schweren Umhang der Paranoia zumindest ein bisschen abstreifen kann. Die Angst, die Ungewissheit bleiben. Ich bewege mich auf einem sehr schmalen Grad, der in mehr als einer Hinsicht fatal enden kann. Doch Rückzug?

      Immer wieder finde ich den Pulloverkragen, der sich gegen meinen Hals zwängt wie das raue Henkersseil um die Kehle des Verurteilten. Das Jucken wird stärker. Nicht lange, bis es mich in den Wahnsinn treiben wird – und vielleicht darüber hinaus …

      Noch mehr Felder. Leer, abgeerntet. Weit und breit keine Hinweise auf Mensch, Tier oder sonstige Wesen. Die Sonne kommt heraus und gestattet mir kurzzeitig so etwas wie Entspannung. Passend dazu beschreibt die Straße eine leichte Neigung, die mir sehr entgegenkommt. Im Grunde fehlt mir nur noch ein knorriger Wanderstock zur Vervollkommnung der „fröhlicher Wanderer-“Type. Leider ist dieses Intermezzo nur von sehr kurzer Dauer. Je näher ich dem Tal komme, desto drängender kehrt die Furcht zurück. Wie ein Hagelsturm aus heiterem Himmel prasselt es auf mich ein. Tief. Sonor. Garstig. Dann sehe ich es – und alles verschwimmt. Heiße Tränen machen aus der Umgebung Farbkleckse. Ich schließe die Augen, doch wartet anstelle von Erlösung abermals der Blick in die schreckliche Vergangenheit.

      Seit fast einem Monat habe ich nichts mehr von Alex gehört. Oder von Anni. Im Grunde ist es mir gleichgültig. Es gibt nichts mehr, was ich meinem Bruder zu sagen habe – denke ich jedenfalls. Bis mich dann doch diese Trauer, diese Schwermütigkeit befällt; jene Gewissheit, dass ich eine geliebte und mir nahe stehende Person womöglich für immer verloren habe.

      Ich schlafe bereits, als das überlaute Klingeln des Telefons die nächtliche Stille zerreißt wie Papiermaché. Fluchend wende ich mich ab, warte auf ein Ende dieser akustischen Tyrannei. Es trifft nicht ein. Barfüßig tapse ich auf den Flur, rüber zur Kommode und schnappe mir den Hörer. Belle ein aggressives „Ja!“ in die Sprechmuschel.

      Die Antwort besteht aus aufgebrachtem Wimmern, erschöpftem Schluchzen. „Maik, es geht um Alex!“, kommt Anni sofort zum Kern der Sache. Mein Magen verkrampft sich. Ist mein Bruder tot? Auf einmal ist mein Hass auf ihn verflogen und wird durch Angst ersetzt. Angst vor der Wahrheit.

      „Etwas ist mit ihm geschehen!“, überschlägt sich Annis Stimme.

      „Was“, bringe ich kratzig hervor. „Was ist mit ihm geschehen?“

      „Nicht am Telefon! Bitte, du musst herkommen!“

      Und das tue ich auch.

      Anni erwartet mich bereits in der Einfahrt. Kaum bin ich ausgestiegen, wirft sie sich mir um den Hals. Ich nehme an – hoffe –, dass Alex nicht in der Nähe ist. Andernfalls hätte es ein böses Ende genommen. Nicht, dass ich diesen kurzen Moment der Intimität nicht insgeheim genieße. Das Gesicht der Freundin meines Bruders ist verquollen, ihre Augen gerötet. Mit dem Handwinkel wischt sie neuerliche Tränen fort, macht einen Schritt zurück.

      „Was ist passiert?“, frage ich ungeduldig.

      Sie wendet sich ab, verschwindet im Haus. Ich folge ihr. Die Ungewissheit treibt mich allmählich in den Wahnsinn. Umgehend dringt mir ein eigentümlicher, erdig-modriger Gestank in die Nase. Als würde man direkt neben einem umgekippten Gewässer stehen. Sauerstoffarm, algenreich, mit toten Fischkörpern, die an der Oberfläche schwimmen. Was ist hier geschehen?

      Anni führt mich durchs Wohnzimmer. Alles ist normal. „Du erinnerst dich doch noch an die … Tinktur. Das vermeintliche Wundermittel gegen Alex’ Kahlheit?“

      Ich bejahe. „Was ist damit?“

      „Ich glaube … denke … weiß … dass es ihn verändert hat.“

      „Ihm sind wieder Haare gewachsen“, werfe ich ein.

      „Das auch“, gibt sich Anni mysteriös. Dann ein kraftloses Lachen. „Die sind ihm wie Unkraut gesprossen. Überall am Körper. Du hättest ihn erleben sollen, Maik. Dein Bruder war so … überglücklich – die meiste Zeit.“

      Ich verharre. Meine Augen verengen sich. „Was meinst du damit?“

      „Na ja, du hast ihn doch das letzte Mal erlebt“, versucht sich Anni in einer Andeutung.

      „In der Tat.“ Es ist nicht einfach, den weiterhin vorhandenen Zorn zurückzuhalten.“ Mein Bruder hat sich wie der letzte Dreck aufgeführt. Mich rausgeschmissen.“

      Annis Kinn bebt. Wieder Tränen. Sie wendet sich ab. „Dieses … aggressive Verhalten … es wurde … immer stärker. Dieser … Hass. Auf alles, jeden – auch auf mich. Er wurde immer paranoider – und aggressiver …“

      „Hat er dich geschlagen?“, platzt es mir raus.

      Sie schüttelt den Kopf. „Aber er … wir … er erwiderte meine Zuneigungen nicht mehr.“ Ich merke, wie peinlich ihr das Thema ist.

      „Schließlich hat er sich immer mehr zurückgezogen. Kam nur noch nachts aus seinem Arbeitszimmer raus. Bis gestern.“ Wie durch Zauberhand erscheint ein Schlüssel zwischen ihren Fingern.

      „Was war gestern?“, dränge ich, während sie die Tür aufschließt.

      „Das musst du selbst sehen“, sagt sie schließlich.

      Die Scharniere quietschen, als sie die Tür aufstößt. Der aus dem Dunkel dringende Gestank ist um ein Vielfaches schlimmer und raubt mir den Atem. Alles in mir wehrt sich dagegen, dort runterzugehen.

      Klick! Beinahe schreie ich, als Anni den Lichtschalter betätigt und die Finsternis durch künstliche Helligkeit ausgetauscht wird. Mit weichen Knien folge ich ihr die Stufen hinab. Ziehe ein Taschentuch und presse es mir vor Mund und Nase. Unten angekommen, begrüßt mich das Chaos. Umgestürzte Regale, achtlos weggeworfene Bücher, lose Seiten. Aber das ist

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