Im Sturzflug nach Merkwürdistan. Frank Sommer

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Im Sturzflug nach Merkwürdistan - Frank Sommer

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der Fluggesellschaft, dann wäre die natürliche Folge wohl eine Festsetzung des Verdächtigen und mindestens ein Drogentest gewesen. Da dies aber nicht der Fall war, verweigerte man Henry lediglich das Boarding seines Fluges und warf ihn aus dem Terminal. Das Problem war, dass der betroffene Flug überbucht war und die Fluggesellschaft ein unmittelbares finanzielles Interesse daran hatte, die Anzahl ihrer Fluggäste an diesem Abend auf die Anzahl der im Flugzeug vorhandenen Sitzplätze zu reduzieren. Auch seinem legitimen Wunsch, wenigstens noch einmal telefonieren zu dürfen, damit ich ihn abholen könnte, entsprach die Fluggesellschaft nicht. Stattdessen sagte man ihm, dass er „frühestens in drei Tagen wieder versuchen dürfe, mit seiner Fluggesellschaft nach Europa zu fliegen“, davor würde man ihn nicht mitnehmen. Um die Sache rund zu machen, verweigerte man Henry zu guter Letzt noch die Herausgabe seines Gepäcks. Dies sei irgendwo im System und er könne es sich am nächsten Tag vom Flughafen abholen. Beeindruckt von dieser Art „Kundenservice“ und noch immer völlig ungläubig, dass er nicht auf dem Weg nach Europa, sondern wieder auf der Terrasse in seinem Urlaubsort war, blickte Henry zunehmend sorgenvoll drein. Seine Zurückweisung vom gebuchten Flug aus nicht nachvollziehbaren Gründen kollidierte vollständig mit Henrys Rechtsverständnis und gab ihm das Gefühl, einer Willkür seiner Fluggesellschaft ausgesetzt zu sein. Während ich meine Freude daran hatte, Henry mit dem völlig irrsinnigen Vorwurf des Drogenkontakts aufzuziehen, befasste der sich den Rest des Abends mit Gedanken, wann er endlich zurück zum Lernen in Deutschland ankommen würde. Zugegeben, Curacao war zumindest damals einer der größten Umschlagpunkte für Kokain zwischen Südamerika und Europa. Und, ja, als Alleinreisender Anfang zwanzig fällt man vermutlich in ein gewisses Raster. Es war zu dieser Zeit ein offenes Geheimnis, dass einheimische Jugendliche aus Curacao sich den Magen mit Drogenkügelchen, so genannten Bolitas, vollschlugen und damit nach Holland flogen. Dort konnten sie sich dann der Drogenkügelchen entweder auf normalem Verdauungswege entledigen oder sie verstarben vorher an Bord beziehungsweise in Holland, weil ein Kügelchen sich im Magen öffnete. Das war zweifellos eine schlimme Sache. Aber darf ein privatwirtschaftliches Unternehmen auf die Nutzung vorhandener Möglichkeiten wie Drogentests oder Softscanner zur Erkennung von Bolita-Kügelchen im Magen verzichten und trotzdem solch schwere Verdächtigungen aussprechen und nicht begründen? Darf es aufgrund eines offensichtlich nicht hinreichenden Verdachts dann sogar die Mitnahme verweigern? All dies erscheint sehr zweifelhaft, insbesondere wenn dieses Unternehmen von der verweigerten Mitnahme rein zufällig auch noch einen erheblichen wirtschaftlichen Vorteil hat – immerhin musste man wegen des ursprünglich überbuchten Fluges keinem Fluggast Schadenersatz und Ausgleichsleistungen leisten, erschien dennoch völlig inakzeptabel.

      Am nächsten Morgen machten wir uns auf zum Flughafen, um einerseits Henrys Gepäck abzuholen und andererseits mit dem Ziel, bei seiner Fluggesellschaft zu protestieren, damit diese ihn noch am selben Tag mit nach Europa nehmen sollte. Zwar bekam Henry sein – drogenfreies – Gepäck nach einigen Mühen zurück, doch seine Fluggesellschaft weigerte sich, vor Ablauf ihrer willkürlich gesetzten Dreitagesfrist über eine Ersatzbeförderung auch nur zu reden. Daraus und aus meiner fortlaufenden Häme reifte im angehenden Juristen Henry ein Groll, der den Grundstein für eine berufliche Karriere legen sollte. Henry kaufte sich sofort für einen Wahnsinnspreis ein Ticket mit einer anderen Fluggesellschaft, welches ihn auf unendlich langen Wegen mit Zwischenstopps in der Karibik, London und Frankfurt doch noch mit Abflug am selben Tag nach Hause bringen sollte. Die Aufregung war Henry unmissverständlich anzusehen, schließlich musste er nun keine 24 Stunden nach seiner Zurückweisung wieder durch die Schleuse, die ihm beim ersten Anlauf zum Verhängnis wurde. Henrys Logik war jedoch die, dass er nach allen ihm zur Verfügung stehenden Informationen eben nicht von Behördenvertretern zurückgewiesen wurde, sondern von der ersten Fluggesellschaft, mit der er gebucht hatte. Demnach müsste er nun für den Flug mit der anderen Airline problemlos die Kontrollen passieren können. Exakt so geschah es dann auch. Henry ging problemlos durch die Kontrollen und als er mir von der Gangway zum Flugzeug zuwinkte, konnte ich auch aus großer Entfernung noch gut erkennen, wie froh er nun war, dass die gefühlte Gefangenschaft auf der Insel beendet war. Zurück in Deutschland machte Henry das, was alle braven Jurastudenten tun: Er lernte Paragraphen. Und da alle Theorie nur Schall und Rauch ist, entschied er sich auch für einen kleinen Praxis-Exkurs… und verklagte die namhafte holländische Fluggesellschaft, die ihn abgewiesen hatte, auf Erstattung der enormen Mehrkosten für die Ersatzbeförderung nach Hause. Henrys Gesellenstück gelang und der Großteil seiner Kosten wurde ihm ersetzt. Heute ist Henry übrigens ein renommierter Anwalt. Ich schätze, dass er jetzt vor jedem Boarding auf eine ähnliche Abweisung wartet, um einen unterhaltsamen Prozess daraus zu machen, aber etwas Derartiges ist ihm seitdem leider oder zum Glück nicht mehr passiert. Das Abonnement auf Reisekatastrophen habe seitdem ja auch bekanntlich ich gebucht. Bei meiner eigenen Abreise fiel mir eine Woche später übrigens auf, dass der Flughafen-Kiosk direkt am Abflug-Gate, den man erst nach dem Passieren der berüchtigten Sonderkontrolle erreicht, Käse-Bällchen mit dicker Aufschrift „Bolitas“ verkauft. Die haben echt Humor, die Jungs!

      Fotos zur Geschichte:

       http://www.facebook.com/media/set/?set=a.107289799427786.13027.100004402989835&type=3&l=66953d07a3

       Fluch(t aus) der Karibik

      Die Rache dafür, dass ich Henrys missglückte Rückreise von Curacao mit Spott und Häme überzog, folgte auf dem Fuße und als hätte auch das Schicksal Humor, traf es mich bei dem Versuch, – man ahnt es schon – von Curacao zurück nach Hause zu reisen. Nachdem ich einen sehr langen und anstrengenden Winter mit viel Beziehungsstress hinter mich gebracht hatte, entschloss ich mich, nochmals für zwei Wochen nach Curacao zu fliegen, um dort abermals etwas zu entspannen und meine dortigen Freunde zu besuchen. Wie das Leben manchmal so spielt, lernte ich erst kurz vor der Abreise meine neue Frau kennen. Auch die Dame meiner Träume war viel auf Reisen, so dass die Schnittmenge unserer gemeinsamen Zeit rar und kostbar war. Da der hinter mir liegende Winter aber wirklich außerordentlich dunkel, unfassbar kalt, ganz besonders lang und fürchterlich kräftezehrend war, beschloss ich, die Reise in die Karibik dennoch anzutreten, um mir die verdient geglaubte Entspannung zu genehmigen. Ich kann aus heutiger Sicht nicht sagen, dass diese Entscheidung rückblickend besonders schlau gewesen wäre. Im Gegensatz zum Wetter in Deutschland war es in der Karibik diesmal im Wesentlichen leider durchgehend bedeckt und das bisschen Entspannung, welches ich trotz mich zerfressender Sehnsucht nach der neuen Liebe genießen durfte, wurde mit der Rückreise ultimativ wieder ausradiert. Auch in diesem Fall also das Fazit, lieber dem Herzen zu folgen. Aber nun zu besagter Rückreise: Obwohl es natürlich toll war auf Curacao, fieberte ich nach zwei Wochen wirklich sehr intensiv dem Moment entgegen, an dem ich nach Hause kommen und meine neue Liebe wieder in die Arme schließen würde. Die vermeintlich

      letzte Nacht auf der Insel war recht kurz, denn ich wachte zwei Stunden früher auf als sonst. Ausgeschlafen war ich noch lange nicht, aber irgendwas juckte an meinem linken Arm. Nach kurzer Fehleranalyse aus dem Augenwinkel war als Ursache auszumachen, dass mein Unterarm in dieser Nacht mit einer etwa nord-südlich ausgerichteten Trasse zu einer Ameisenautobahn umfunktioniert wurde. Das war nicht schön, aber ich war wach. Und hätte ich die kleinen Freunde auf meinem Arm nicht direkt ins Jenseits befördert, dann hätte ich ihnen für ihr Tun später sehr, sehr dankbar sein müssen.

      Müde torkelte ich aus meinem Zimmer vorbei an meinen Freunden, die als praktizierende Frühaufsteher schon beim dritten Tässchen Kaffee am Tisch saßen. Schlaftrunken und noch etwas verwirrt wankte ich in Richtung Toilette dezent grüßend an beiden vorbei, die ihrerseits mit einer merkwürdigen Kombination von Begriffen antworteten. Ich hörte so etwas wie: „Vulkan, Europa, Wolke, Flughafensperrung, haste jetzt echt Pech...“. Ich kommentierte dies nicht, auch da ich dringende Gründe hatte, mein Ziel ohne Verzögerungen zu erreichen. Im mußevollen Umfeld der Toilette dachte ich dann über diese Wortfragmente nach und kam zu der Erkenntnis, dass ich die Pointe

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