Verwandte und andere Nervensägen. Elisa Scheer

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Verwandte und andere Nervensägen - Elisa Scheer

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ich genauso, wie ich es immer wollte. Diese alberne Tour von wegen großer weißer Ritter kannst du dir wirklich sparen. So, und jetzt fahr heim und kümmere dich um deine eigenen Probleme. Ich hab keine, und wenn ich welche hätte, würden sie dich nichts angehen.“ Damit ließ sie ihn stehen, stieg ins Auto und rauschte davon.

      So ein Idiot, wütete sie noch an der nächsten roten Ampel. Was bildete der sich eigentlich ein? Kümmern? Wieso denn? Was ging es ihn an, wenn sie zu Hause rausflog? Zu Hause – phh! Ein Zuhause war das sowieso nie gewesen. Nur eine Art liebloser Wohngemeinschaft. Ihr Nichtvater hatte sie immer mürrisch behandelt, obwohl sie den Haushalt tadellos geführt hatte, Frank hatte sich heraushängen lassen, dass er der Sohn war, der Dreck machen durfte, und sie bloß die Tochter, die ihn wegzuputzen hatte, und für sie selbst hatte sich sowieso niemand interessiert, also hatte sie auch nichts erzählt. Wozu auch?

      Der Rausschmiss damals war zwar doch etwas überraschend gekommen, aber nach dem ersten Schock hatte sie sich eigentlich ganz gut zurechtgefunden. Schnell hatte sie reichlich Nachhilfeschüler gehabt (Mathematik und Chemie waren schließlich immer gefragt), und als sie erst einmal herausgefunden hatte, wie man Geld richtig anlegte, und einige Zeit später, wie man vorsichtig spekulierte, war sie alle Sorgen los gewesen.

      Eigentlich war dieser Rauswurf ein Gottesgeschenk gewesen, zog sie Bilanz, als sie in die Tizianstraße einbog. Sie konnte jetzt alles selbst, spekulieren, Steuererklärungen machen, eine Wohnung renovieren, kochen und backen, Knöpfe annähen, mit einem Rechner umgehen, Autofahren, ein Auto zur Not auch reparieren (obwohl ihr da die Werkstatt lieber war, man musste ja schließlich auch an den Wiederverkaufswert denken), Präsentationen erstellen, ein Video schneiden, ein Projekt planen… Nachhilfe, Studium, die ulkigsten Jobs, alles hatte sein Gutes gehabt.

      Nur die Kerle waren überflüssig gewesen, aber das waren sie ja immer. Obwohl, der arme Nils – der tat ihr immer noch Leid, zu dem war sie wirklich gemein gewesen, wenn auch nicht mit Absicht.

      Aber was bildete sich dieser Max eigentlich ein? Sie hatte ihn damals aus der Ferne angeschmachtet, ja, aber das konnte er schließlich nicht wissen. Und dass ein ziemlich flotter Zweiundzwanzigjähriger sich unsterblich in eine übergewichtige und komplexbehaftete Siebzehnjährige verguckte, die meistens so mürrisch war wie ihre ganze unmögliche Familie, war ja wohl auch eher unwahrscheinlich. Selbst wenn – das war fünfzehn Jahre her und er sollte sich lieber mal um seine Frau kümmern!

      Er und die Schuld haben – wieso das denn? Hatte er ihren Nichtvater auf die Idee gebracht, einen Vaterschaftstest zu machen? Und selbst wenn, ihr Nichtvater hatte doch das Recht gehabt, für Klarheit zu sorgen. Und bestimmt hatte er nicht die Pflicht gehabt, ein Kuckucksei länger als unbedingt nötig durchzufüttern. Mit achtzehn war sie schon sehr nett alleine zurechtgekommen.

      Eigentlich wollte sie nur eins, stellte sie fest, als sie die Treppen hinaufeilte, nämlich dass alle diese Gestalten wieder dahin verschwanden, woher sie gekommen waren. Sie wollte verdammt noch mal ihren Alltag zurück – ohne Gestalten, die sich auf dem Schulparkplatz herumdrückten und alberne Fragen stellten.

      Der Anrufbeantworter blinkte, das war das erste, was sie sah, als sie ihre Tasche abstellte. Nein, das würde sie jetzt nicht beachten. Sie packte in aller Ruhe die Tasche aus, schaltete ihren Rechner ein, hängte den Mantel auf und sortierte dann ihre Unterlagen. Also, ein Übungsblatt für die achte Klasse. Das dauerte nicht allzu lange, und danach fiel ihr siedendheiß ein, dass die Anrufe auf dem Band vielleicht von Valli stammten. Und wenn Johannes doch etwas passiert war?

      Sie trat an den Anrufbeantworter und hörte die Nachrichten ab. Tatsächlich, sieben Stück, und jede zweite war von Valli. Dazwischen Max mit der Bitte um Rückruf, Brandstetter mit der dringenden Bitte um Rückruf und ihre Bank, ob sie schon einmal über Zertifikate nachgedacht habe? Hatte sie - und die Idee verworfen. Sie seufzte leise und rief Valli an, die zwar nicht verweint klang, aber nervös.

      „Endlich! Wo warst du denn so lange?“

      „In der Schule. Besprechungen und so weiter. Ist Johannes wieder aufgetaucht?“

      „Nein, das ist es ja! Sie haben doch glatt hier angerufen, ob er krank ist, weil er nicht in der Arbeit erschienen ist.“

      „Also, jetzt solltest du aber doch die Polizei informieren“, riet Luise, die sich allmählich wirklich Sorgen zu machen begann.

      „Polizei? Meinst du wirklich?“

      „Ja, Valli, meine ich. Schau, wenn ihm was passiert ist, finden die ihn doch viel schneller und man kann ihm helfen, was immer auch los ist. Und wenn ihm nichts passiert ist, schadet es ihm doch auch nichts, wenn er merkt, dass du dir Sorgen machst, oder?“

      „Stimmt“, seufzte Valli. „Okay, dann rufe ich da mal an.“

      „Kann man das telefonisch machen?“, wunderte sich Luise. „Ich kenn das ja auch bloß aus dem Fernsehen, und da muss man persönlich hingehen. Aber egal, ruf erstmal da an, die sagen dir dann schon, was du machen musst.“

      „Eben. Das mach ich jetzt wirklich, weil ich mir mittlerweile ganz schöne Sorgen mache. So was hat er noch nie gemacht!“

      Valli legte auf und Luise blieb still sitzen und überlegte, wie sie sich an ihrer Stelle wohl fühlen würde. Der Mann verschwunden. Der geliebte Mann. Wirklich? Die beiden waren seit vierzehn Jahren verheiratet und hatten drei Kinder und ein unbezahltes Haus. Hatte die Liebe die beiden zusammen gehalten oder das Wissen, dass bei einer Scheidung alles draufgehen würde? Zweckgemeinschaft oder Leidenschaft? Wie lange hielt sich Leidenschaft?

      Was, wenn Johannes wirklich etwas zugestoßen war? Würde Valli zusammenbrechen oder des einigermaßen mit Fassung tragen? Und wenn sie zusammenbräche – aus Gram oder aus Hilflosigkeit? Aber hilflos war sie sonst ja auch nicht – nur heute Nacht, da hatte sie sich wirklich kindisch benommen.

      Blödsinn, das alles: Johannes war einfach versackt! Nach vierzehn Jahren Bravheit stand ihm das ja wohl mal zu.

      Luise wandte sich der Aufgabe zu, ein Extemporale für die siebte Klasse zu entwerfen, die Punkte zu verteilen und alles säuberlich abzutippen – in zwei Gruppen natürlich: Die spickten wie die Raben, allerdings ohne viel Geschick. Ob wohl wieder jemand aus Gruppe B die Rechnungen von A aufs Blatt schreiben und es nicht mal merken würde?

      Schließlich war auch das erledigt, die Angabe steckte in einer Klarsichthülle und die in der richtigen Mappe, alles wurde wieder in der Tasche verstaut und Luise konnte sich – schon mit leise knurrendem Magen – ihren Terminplaner vornehmen.

      Gar nicht so arg – vier Stunden plus eine Vertretung, dann konnte sie das Ex gleich morgen korrigieren. Offen war nur noch die WR-Klausur, die sie heute erst zurückgegeben hatte (lange Gesichter – wie üblich bei den falschen Leuten). Ausnahmsweise keine Besprechungen, keine Unterrichtsbesuche, keine Fortbildungen – nur eine lumpige Pausenaufsicht.

      Sie war so richtig schön auf dem Laufenden – dann konnte sie sich ja jetzt eigentlich eins dieser fettfreien Süppchen kochen und sich einen Film reinziehen? Nein, zuerst ein bisschen laufen. Eine halbe Stunde wenigstens, ein paar Mal rund um den Waldburgplatz, das reichte.

      Sie schlüpfte in Trainingsanzug und Laufschuhe, steckte ihren Schlüssel und etwas Geld ein und trabte gemächlich los. Ab und zu kam ihr jemand entgegen, den sie vom Laufen kannte, dann nickte sie gemessen und trabte weiter. Schön… die kalte, feuchte Luft wirkte nach dem Schulstaub richtig erfrischend, der Spätnachmittagsnebel, der zwischen den großen alten Bäumen aufstieg, verlieh dem Platz ein gespenstisches Aussehen, und das blaue Licht, das schwächlich durch den Nebel blinzelte, erinnerte sie daran, dass dort hinten der Drogeriemarkt war, bei dem es immer

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