Tief Verborgen. Pia Schenk
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Nie wurde also jemand eingeladen, niemand kam sie besuchen und auch der Reinigungsservice hatte die Auflage das Personal ständig zu wechseln. Die Vorsichtsmaßnahmen waren schon fast paranoid und meine Verwunderung darüber wurde als schlichte Neugierde abgetan. Nur ein einziges Zimmer war stets verschlossen. Es lag im oberen Stockwerk und hatte einst meiner Tante Sarah gehört. In meiner Anwesenheit war es bisher nie geöffnet worden. Auch sprach man zu keiner Zeit über sie oder erwähnte ihren Namen.
Obgleich ich sehr klein gewesen war, konnte ich mich noch an sie erinnern, und wenn ich die Augen schloss, fast ihre Nähe spüren. Sie war liebevoll und geduldig mit mir umgegangen und kümmerte sich fast mehr um mich, als um Jonah. Knapp fünf Jahre älter als ich, bestand sein damaliges Hauptanliegen darin seinem Vater zu gefallen. Das alles konnte ich damals natürlich noch nicht begreifen, sondern war nur glücklich, Sarah neben mir zu wissen.
Jonah kam ich erst näher, als wir viel später, ich war etwa zehn Jahre alt, einen Sommer gemeinsam mit seinen Großeltern verbrachten. Patrick hatte mich ausdrücklich eingeladen. Warum, weiß ich nicht mehr. Endlich hatte ich wieder jemanden, der nur für mich da war. Völlig angstfrei ließ ich mich auf jedes Abenteuer mit ihm ein. Sechs Wochen lang erforschten wir die Natur, bauten Baumhäuser, steckten Geheimwege ab, dachten uns Geschichten aus, stellten Fallen auf, brachten Mutproben hinter uns und erfanden den Opferplatz.
Plötzlich dann eines Tages, viel zu früh, kam Patrick wieder nach Hause zurück und unsere Ferien nahmen ein jähes Ende. Mein Onkel wirkte damals sehr alt, ruhelos und leer auf mich. Das, was ich von ihm sah, entsprach nicht meinem Fantasiebild, gemalt aus Kindheitserinnerungen. Ich bemerkte wohl, dass er mich damals kaum beachtete, er schien mich gar zu meiden.
Sarah war nicht dabei. Sarah würde nie wieder dabei sein. Sarah lebte nicht mehr, schon lange nicht.
Man hatte sich nie wirklich erklären können, was mit ihr geschehen war. Es muss sich kurz nach meiner endgültigen Abreise nach Australien, damals war ich vier Jahre alt, ereignet haben. Man fand nur ihren Bademantel am Seeufer und musste daraufhin annehmen, dass sie ertrunken sei.
In den warmen Monaten hatte meine Tante es sich zur Angewohnheit gemacht, früh morgens mit den ersten Sonnenstrahlen in den See einzutauchen. Sie liebte diesen Moment, die Stille und das dunkle, kühlende Grün des Wassers. Als erfahrene Schwimmerin wusste sie die Gefahren genau einzuschätzen und dennoch forderte sie sich jeden Morgen aufs Neue heraus.
Ihr Verschwinden wurde erst am Abend festgestellt, da mein Onkel und mein Cousin das Haus ebenfalls früh verlassen hatten. Die Wasserpolizei bemühte sich trotz der Dunkelheit, konnte aber die eigentliche Suche mit den Tauchern erst am nächsten Morgen einleiten. Die Suche verlief ohne weitere Funde und so auch die kommenden Monate. Sie war also bei einem Unfall ums Leben gekommen. Ihr schöner, toter Körper tauchte nie wieder auf.
Dieser unvorhersehbare Tod überschattete das Leben derer, die sie geliebt hatten. Schwer zu erklären, zu begreifen und zu akzeptieren.
Er hinterließ eine nicht endende Traurigkeit, die nur mit der Zeit an Intensität verlor.
Kapitel 5 Das Haus am See I
Schatten begannen meinem Leben erneut das Licht zu rauben, der Albtraum war wieder triumphal in mein Schlafzimmer eingezogen. Immer wieder der gleiche Schmerz, die gleiche Angst und Hoffnungslosigkeit, der gleiche Traum, die Hände klebrig und voller Blut.
Seitdem ich in München lebte, musste ich ihn nachts wieder und immer öfter durchleben, ohne für mich ersichtlichen Auslöser oder Grund. Es gab einfach keine einleuchtende Erklärung.
Aber jetzt, heute, an diesem sonnigen Morgen wollte und konnte ich keine Überlegungen mehr über die vergangene Nacht anstellen, wollte mich nur auf die kommenden beiden Tage freuen. Ich stand noch immer barfuß auf meiner Terrasse und genoss den Ausblick über die Dächer der Innenstadt.
Immer wieder hatte ich „mein geliebtes Wochenende am See” wegen anstehender Prüfungen verschieben müssen, aber heute würde nichts dazwischen kommen. Zurück in der Wohnung griff ich ganz automatisch zum Telefonhörer und wählte.
„Emma hier, schön Deine Stimme zu hören, bis gleich!“
„Vielen Dank für ihre Antwort, das Gerät …“
Der fast schon antike Anrufbeantworter meines Onkels gab mir immer die gleiche Antwort. Schon seit Jahren hatte dieser einen „Rund-um-die-Uhr-Job“ inne, blinkte getreu Aufmerksamkeit heischend grün vor sich hin und war von ihm persönlich besprochen worden. Das passte so gar nicht zu seiner gestrengen Anwaltsaura, wunderte mich und vergnügte ihn. Patrick nahm nur ab, wenn er wusste, wer auf der anderen Seite sprach und selbst dann nicht immer. Jetzt nahm er nicht ab, wie er so oft nicht abnahm.
Ich rief ihn manchmal einfach nur an, um seine Stimme zu hören, - und um das Band vollzuquatschen. Das wunderte ihn, vergnügte aber mich.
Ich war noch ein wenig unruhig, weil ich schlecht geschlafen hatte. Ungeduldig sah ich dem Wiedersehen mit Patrick und Jonah entgegen. Ins Herz geschlossen hatte ich sie beide, so fest. Schnell zog ich mir nach der Dusche etwas über, packte meine Sachen und hüpfte die vielen Treppen zu meinem Wagen hinunter.
Die Autobahn zum Starnberger See war faktisch wie leer gefegt, außer mir war kaum jemand so früh unterwegs. Die Natur zeigte sich wohlgestimmt und das fröhliche Flimmern und Flüstern der Blätter im Wind beruhigte mich, je näher ich meinem Ziel kam. Die Sonne streichelte sanft wärmend meine Hände und ich ließ meine Gedanken frei. Wettete zwischen mir und mir, welcher davon zuerst ankommen würde. Mit meiner Vermutung lag ich richtig und somit war mein Vorsprung, vor mir selbst, nicht mehr einzuholen. Gewinnen ist ein herrliches, Herrschen ein mächtiges und Macht ein göttliches Gefühl.
Patricks Anwesen lag abseits auf einem hügeligen Seegrundstück, inmitten eines großen, verwildert wirkenden Parks. Die nächste Ortschaft war etwa drei Kilometer entfernt, direkte Nachbarn gab es keine. Das ganze Anwesen war von hohen, spiralförmig wachsenden Zypressen umgeben. Dicht an dicht stehend, hielten sie jeden Blick auf die Residenz ab.
Mit einem Fingerdruck ließ ich das automatische Eingangstor öffnen und fuhr direkt bis zum Haupthaus. Es war ein großzügiges Backsteingebäude, Teil einer ehemaligen Ziegelfabrik. Der äußerliche, einst völlig verwunschene Eindruck hatte mir eigentlich gefallen, passte jedoch wenig zu den Bewohnern dieses Hauses. Efeu hatte in der Tat etwas zu Märchenhaftes. Patrick stimmte meiner Beobachtung zu und überließ es mir, die Renovierung der Fassade zu organisieren. Meine erste richtige, praxisnahe Aufgabe! Der Pflanzenbewuchs musste entfernt, die Steine abgestrahlt und neu verfugt werden. Gemeinsam mit den Arbeitern legte ich Hand an und versuchte, mir Tricks aus deren langjähriger Erfahrung anzueignen. In jedem Fall entwickelte ich den gleichen Bärenhunger und fiel abends todmüde ins Bett. Nach der Fertigstellung präsentierte sich das Mauerwerk leichter, jünger, also moderner und gefiel - was noch viel wichtiger war - seinen Bewohnern.
Mein aktuelles Fassadenprojekt an der Uni war diesmal ökologisch vielversprechend und ich brannte förmlich darauf, es mit ihnen gemeinsam zu besprechen. In einer Gruppe von vier Pfefferbäumen, zentral im Park gelegen, schwebte eine Glasterrasse, auf welcher wir es uns zumeist zu diesem Zwecke gemütlich machten. Unter dieser Plattform hatte meine Tante vor langer Zeit unzählige, verschiedenartige Blumen gepflanzt, sodass ein Meer aus Farben, Formen und Düften die Betrachter betörten.
Patrick und