Jakob Ponte. Helmut H. Schulz

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Jakob Ponte - Helmut H. Schulz

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Schwänzen. Meister Fabian brauchte sich nicht zu verkleiden; sein Anzug mit dem schmalen weißen Bündchen am Halse passte für alle Gelegenheiten. Wir bildeten eine hübsche altmodische Gruppe, mitten im Krieg, nein, an der Wende des Krieges. Der Vorhang hob sich, auf den Theaterbrettern stand ein Flügel, von weichem Licht erhellt. Unser Kreisleiter kam heraus, wartete geduldig den Beifall ab und sprach ein paar Worte zu den Debüts der jungen Künstler, talentierten Geigern und Flötisten; selbst im Kriege zieme es sich für ein Kulturvolk, für das germanische zumal, sein Erbe zu pflegen und an die Zukunft zu denken. Viele würden ihn schon kennen, den jungen Mann, nämlich alle, die im Café am Markt verkehrten und Gelegenheit gehabt hätten, ihn zu hören.

      Jan, der junge Künstler, war in einen atlasartigen glänzenden Anzug gesteckt worden, aus den Ärmeln fielen weiße Manschetten, er wirkte erwachsen; ein mir fremder Mensch verneigte sich gegen das freundlich applaudierende Publikum und setzte sich mutig an den Flügel. Neben ihm nahm sein Lehrer Platz, der Kapellmeister und Korrepetitor unseres Stadttheaters; langsam gingen die Deckenleuchten aus, zugleich fielen zwei Lichtkegel auf die Bühne, richteten sich auf Jan und seinen Begleiter. Jan spielte einige kleinere Mozartstücke; meine Bewunderung stieg, ich war stolz darauf, ihn zum Freund zu haben. Höhepunkt dieses Debüts aber war der langsame Satz der cis-Moll Sonate, den zu interpretieren sich der jugendliche Meister unterfing, und der, wie ich heute hoffe und damals geglaubt habe, die Probe seines Könnens recht gut bestand. Dieser gefeierte erste Auftritt hatte Folgen, eine Verbindung zum Stadttheater kam zustande. Das Haus inszenierte damals Rheingold und es war ein zeitbedingter Einfall des Regisseurs, einige der Szenen durch angeworbenes Personal bereichern zu wollen, weil die durch den Krieg zusammengeschmolzene Komparserie, die bei dieser Oper eigentlich nicht gebraucht wird, nicht ausreichte, um die Mitwirkung des Germanenvolkes zu sichern. Zwar gelang es, aus der Puffenroder Heilanstalt ein Dutzend Genesende in das Nibelungenheer einzureihen; es machte sich zuletzt nicht übel, dass einige von ihnen an Krücken auf die Bühne hinkten, allein den Kern lichtscheuen Gesindels, das dem Albe dienen muss, konnten sie nicht hinreichend auffüllen.

      Welch ein Tag, als ich mit anderen Jungen und Halbwüchsigen in der Maskenbildnerei für die Wagneroper hergerichtet wurde, mich mit geschminktem Gesicht und in stilisierter Uniform, mit einem Papphelm auf der zottigen Perücke, nach Leim riechendem Schild am Arm, gestützt auf meinen Speer, den Kampf der Götterfamilie mit den Riesen Fasold und Fafner um das Gold der Rheintöchter unterstützte. Vom Schnürboden hingen lange schwarze Schals mit großen silbernen SS-Runen bis auf die Bühne herunter, die mächtigen Gestalten der beiden Riesen, ihr Handel mit Allvater, der Freya bekanntlich mit dem Nibelungengold loskaufen muss, bis zum Letzten, dem verfluchten Nibelungenring, das alles nahm mich stark gefangen. Im Zusammenhang mit den Trauerfeiern um die verlorene Schlacht bei Stalingrad wurde die Oper Rheingold allerdings bald abgesetzt. Das Stadttheater schloss ganz, aber nicht für uns. Dank der Beziehungen meines Freundes zum Kapellmeister und Korrepetitor blieb uns das Haus zugänglich. Jan, Kniri und ich durchforschten es gründlich. Gierig sogen wir den Geruch von Leim, Staub und Schminke ein; diesen typischen Brodem der Bühne sollte ich nicht vergessen. Aus den zufälligen Berührungen heraus wurde später ein von mir angesteuertes Ziel, in dieser künstlichen Welt heimisch zu werden. Jedenfalls hätte ich ohne meine Statistenrolle bei der Oper kaum ein, wenn auch nur mäßiges Interesse für das Drum und Dran der Bühne aufzubringen vermocht und mich mit dem genießenden Part begnügt.

      Eine weitere Folge war übrigens, dass sich unsere musikalischen Bemühungen belebten. Jan und ich musizierten miteinander, und es gelang uns sogar, Kniri dahin zu bringen, den Kampf mit dem Violincello aufzunehmen. Großvater war als Lehrer nicht mehr recht zu gebrauchen, aus Zeitmangel gab er es auf, mir weiter Violinunterricht zu erteilen. Ich partizipierte nunmehr vom Können des Korrepetitors, der nicht eingezogen worden war, ging regelmäßig zum Violinunterricht und machte auch Fortschritte in Harmonielehre, wagte mich unter Anleitung des Fachmannes an Violinkonzerte Beethovens, spielte die eine der beiden Romanzen recht gut, und ließ auf Anraten des Lehrers die schwierige Kadenz weg; cosi van tutte ...

      Um mir als Erzähler eines wahren Lebensberichtes treu zu bleiben, am Abend des 1. Februar 1943 war ich abermals erkrankt, allerdings nur leicht und vorübergehend. Waren früher alle an mein Schmerzenslager gekommen, so war jetzt nur noch mein Wahlvater Fabian bei mir, steckte mir das Thermometer unter die Zunge, und las eine fromme Epistel aus der Bibel. Großmutter brachte heißen Tee, den ich willig schluckte, denn es ging mir schlecht. Großmutter sagte beiläufig zu ihrem Großneffen: »Eben ist die Nachricht durch das Radio gekommen; sie haben kapituliert.« Sie setzte sich aufs Bett und blickte mir ins Gesicht. Ihre Vogelaugen waren ernst, ihre Haltung feierlich. Ob er eine Erklärung dafür habe, fragte sie; er fragte zurück, wofür. »Für diesen Wahn, mein lieber Herr, oder glauben Sie, dass der Krieg zu Ende ist?« Ich horchte auf, sie sprach sozusagen privat mit ihm, aber was für Sorgen könnte sie haben? »Hören Sie! Unser Geschäft ist ein Warenhaus geworden. Wir werden immer reicher, und das Geld ist immer weniger wert«. Mein Wahlvater schwieg. »Verstehen wir uns richtig, nicht dass ich Angst vor der Zukunft habe, alles hat seinen Preis, mir passt nur das Ungewisse bei der Sache nicht. Vielleicht haben wir zur Stunde unseren Sturz schon hinter uns, ohne es zu wissen. Ich will mir das Geschäft übertragen lassen, was halten Sie davon?«

      »Weshalb? Ihnen fehlt doch der Meisterbrief? Und wie wollen Sie das schaffen«, fragte er verblüfft. »Oh, mit der Innung stehe ich gut, Meisterbrief hin, Meisterbrief her!« Er schlug vor: »Lassen Sie uns in Ruhe darüber sprechen.«

      7. Kapitel

      Großvater reiste im Auftrage der Partei unseres Gaues nach Berlin, um den totalen Krieg auszurufen, also um unseren Sieg näher rücken zu lassen. Er blieb ein paar Tage in der Stadt und schilderte uns eindringlich die von Briten und Amerikanern angerichteten Verwüstungen. Wir waren auch durch Mama über die Lage unterrichtet; neu aber war etwas anderes. »Nun sag, was du willst, Alte, aber ich musste unsere Tochter besuchen, wollte wissen, ob sie überhaupt noch lebt«, sagte er im kleinen Kreis unserer Familie beim Kaffee im Erkerzimmer. Ich horchte auf; von einer Tochter, also meiner Tante, in Berlin hörte ich zwar nicht zum ersten Mal, diese Berlinerin war eine handfeste und unangenehme Tatsache, wegen ihrer Verfehlungen. Namentlich Mama vermied es, überhaupt ihren Namen auszusprechen, und so kommt es, dass ich bis heute nicht weiß, wie meine Frau Schwiegermutter mit Vornamen eigentlich geheißen hat, Zeit und Umstände haben es auch nicht mehr wichtig sein lassen. Allerdings glaube ich mich daran zu erinnern, dass meine Frau Helene, meine Base, das heißt, ihre Tochter anlässlich unserer Trauung vor dem Standesamt erklärt hat, urkundlich nichts über den Tod ihrer Mutter beibringen könne. Indessen fand sich der Eintrag ihrer Geburt in unserem Katasteramt und Hochwürden Fabian gedachte ihrer als sein Firmkind. Sie wohnte bei uns in Müllhaeusen, bis sie ihren Mann kennenlernte, einen Werkmeister und Atheisten, mit dem sie durchbrannte und für uns verloren war.

      Mein Wahlvater tadelte Großvaters Handlungsweise nicht. Er lobte: »Das haben Sie gut gemacht, Joseph, menschlich gesprochen. Und wie geht es ihr?«

      »Ihr Haus steht zwar noch inmitten von Ruinen, sie selbst ist dienstverpflichtet, von ihrem Mann hat sie gar nichts gehört; er war zuletzt als Dolmetscher in Griechenland.«

      »Was dieser Kerl bei den Griechen macht, möchte ich wissen«, bemerkte Großmutter trocken, um überhaupt etwas Negatives beizubringen. Der Alte erzählte weiter, dass sie ein Kind, eine Tochter hätten, irgendwohin kinderlandverschickt, die jammervolle Briefe nach Hause schreibe. »Ach, was! Wie alt ist denn die Kleine?« fragte Hochwürden interessiert.

      »So um zwölf«, meinte Großvater. »Ich habe Briefe von ihr gelesen. Also, wir sind schließlich die Großeltern und keine Unmenschen.«

      »Doch«, sagte Großmutter mit Nachdruck, »ich schon. Ich will gar nicht anders sein, als ein Unmensch. Überhaupt, mein Alter, habe ich Verschiedenes mit dir zu besprechen; hier wird sich manches ändern.« Die Besprechung zog sich ein wenig in die Länge, es kamen Dinge zur Sprache, die mich nichts angingen und bald

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