Die Bärin Roman. Wilhelm Thöring
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Читать онлайн книгу Die Bärin Roman - Wilhelm Thöring страница 25
„Lass mich einmal sehen!“ Sie schiebt eine Hand in Achims Strumpf, und als sie sie herauszieht, ist sie blutverschmiert. „Was ist das? Achim? Du blutest ja!“
Beide Jungen haben sich die Oberschenkel blutig gekratzt. Wütend stapft die Großmutter auf die Tochter zu. „Ursula, willst du den Jungen das Weihnachtsfest verderben?“, fährt sie sie an. „Sieh einmal!“ Sie streckt ihr die blutverschmierte Hand hin. „Die kratzen sich die Haut vom Fleisch. In diesen Strümpfen können sie nicht herumlaufen, das ist Dreck: Die fassen sich wie ein alter Sack an.“ Sie geht wieder zu den Jungen. „Hört zu: Ihr zieht das sofort aus!“
„Soll ich die vergeblich herbeigeschafft haben?“, fragt die Mutter. „Was habe ich dafür hergegeben!
Auch wenn sie ein wenig hart sind – sie werden sich daran gewöhnen...“
Nein, Ursulas Protest hilft nichts; in diesem Haus oder in dieser Stunde hat die Großmutter das Sagen, und beide Jungen dürfen sich von diesem kratzigen Zeug befreien. Endlich ist es für sie noch Heiligabend geworden.
Der Heilige Abend ist vergangen, Mitternacht ist vorüber; die Kinder schlafen seit zwei Stunden, und auch die Erwachsenen sind müde und wollen ins Bett, als der Bruno zurückkommt. Wie es aussieht, ist er mittlerweile nüchtern geworden. Wieder hängt er am Arm von Regina Stieglitz, seinem Mädchen, und beide sind verlegen und grinsen die Großmutter an, nachdem sie sie hinter der Karbidlampe im Dunkeln entdeckt haben. Kleinlaut gehen sie zuerst zu ihr und reichen ihr die Hand und wünschen frohe Weihnachten, dann zum Großvater, zuletzt zur Ursula. Die ist verärgert darüber, dass der Bruder diese fremde Person mitten in der Nacht ins Haus bringt. Dadurch, dass die Großmutter für alles Verständnis zeigt, was er sagt und tut und alles entschuldigt, denkt der Bruno nicht über sein Verhalten nach und macht, was ihm gerade in den Sinn kommt, findet Ursula. Vor allem das ärgert sie: dass die Großmutter sich sofort versöhnlich zeigt. Mit ihr, der Tochter, wäre sie anders umgegangen. Und so nimmt sie sich vor, ihren Unmut nicht zu verbergen. Einer muss den beiden zeigen, was er von diesem rücksichtslosen Überfall hält.
„Unseren Festbraten haben wir aufgegessen“, scherzt die Großmutter versöhnlich. „Brot mit Hagebuttenmarmelade, das kann ich euch noch geben.“
Regina lehnt dankend ab, nein, nein, sie seien gekommen, um sich für den unpassenden Überfall vorhin zu entschuldigen. Der Bruno habe nach Hause gewollt, um mit der Familie in die Kirche zu gehen, sagt sie, und das sei die volle Wahrheit. Aber dann habe er doch ein oder zwei Glas Schnaps zu viel getrunken, und er sei plötzlich umgekippt und habe nicht mehr gehen können.
„Bruno, wie bist du denn an den Schnaps gekommen?“, will die Großmutter wissen.
Das Mädchen wird rot. „Mein Vater hat welchen gebrannt“, gesteht sie und sieht sich um, als könnte sie von jemandem gehört werden, der das nicht wissen darf. „Obwohl das verboten ist – er hat Schnaps gebrannt, damit wir was zum Tauschen haben.“
„Wir verraten nichts!“, beruhigt die Großmutter sie. „Aber lassen Sie es nicht zu, dass der Bruno wieder so eine Dummheit begeht und trinkt. Dadurch könnte auch Ihr Vater auffallen.“
Ursula tritt aus dem Schatten, im Licht der Karbidlampe ist sie nur undeutlich zu sehen. Sie stellt sich neben den Bruno. „Ist sie seine Frau? Warum soll sie ihn vom Trinken abhalten, Mutter? Der Bruno ist alt genug und macht sowieso, was er will. Einen Schnaps zu trinken, das ist kein Verbrechen. Lass ihn doch trinken, wenn er trinken kann! Und wenn er hinterher einen schweren Kopf hat, dann muss er allein damit fertig werden. Ich kann versuchen, meine Kinder von Dämlichkeiten abzuhalten, nicht einen erwachsenen Menschen.“
„Was meinst du damit?“, fragt die Großmutter verwundert. „Heißt du es gut, dass er sich betrinkt und dann vergisst, was er sich vorgenommen hat?“
„Ich sage: Der Bruno ist kein Kind mehr, Mutter. Für alles, was er macht und sich in den Kopf setzt, ist er allein verantwortlich. Er braucht niemanden, der auf ihn aufpasst. Dich nicht mehr und seine Freundin auch nicht. Wenn sie seine Frau ist, wird sie ihm sagen, was er lassen soll. Aber ob er sich das sagen lässt...“
„Urschel, wie du redest! Warum greifst du mich an?“ Die Großmutter sieht verwundert von der Tochter zum Sohn, der nur Augen für seine Regina hat. Und weil der Großvater beruhigend nach ihrer Hand greift, sagt sie: „Ach, du bringst mich durcheinander... Über Jahre habe ich mich seinetwegen gegrämt, wie soll ich es plötzlich lassen können?“
Der Bruno hat alles ruhig mit angehört. Plötzlich geht er zur Großmutter und legt einen Arm um sie und küsst sie auf die Wange. „Mutter, du bist nicht mehr böse auf mich?“, fragt er.
Sie sieht ihn, noch verwirrter, von der Seite an. Dann lächelt sie ein wenig und meint: „Richtig böse, Bruno, bin ich nicht gewesen, nur enttäuscht.
Du bist auch gleich so heftig geworden, so aufsässig...“
„Sie kann auf jeden von uns böse werden, nur nicht auf dich“, knurrt Ursula im Dunklen, aber der Bruno verhindert eine neue Verstimmung, indem er erklärt: „Als ich nach Hause gekommen bin, da konnte ich die ersten Nächte nicht in einem Bett schlafen, Mutter. Wie soll ich mich jetzt in einem Leben zurechtfinden, das mich nicht braucht? Ich kann nicht tagelang auf einem Stuhl sitzen und den Himmel ansehen. Ich kann auch nicht Tag für Tag Steine putzen. Ich will das nicht! Ich möchte, dass mich jemand braucht. Dass ich sagen kann: Hier ist meine Aufgabe!“
Seine Hüfte umschlingend drückt die Großmutter ihn an sich. „Bruno, warum sagst du mir das nicht? Wie soll ich dich verstehen? Gott im Himmel, was sind das für Zeiten, dass wir uns nicht mehr verständigen können! Alles ist aus den Fugen geraten, alles!“
Ursula ist verdrießlich geworden, dennoch hat sie Kaffeewasser aufgesetzt, und der Großvater langt nach hinten und stellt Tassen auf den Tisch. „Na, dann ist wohl manches geklärt“, sagt er. „Siehst du, Mutter, nun fängt der Heilige Abend für dich noch einmal von vorne an!“
Und dann reden alle gleichzeitig und so laut, dass Ursula fürchtet, ihre Kinder könnten aufgeweckt werden. An der Schmalseite des Tisches schneidet die Großmutter Brot und bestreicht es mit Hagebuttenmarmelade. „Ihr beide seid durchgefroren“, sagt sie. „Und Hunger habt ihr auch. Junge Leute müssen essen...“
Ja, der Bruno langt tüchtig zu. Regina, sein Mädchen, isst nur, weil der Bruno sie nötigt. Als sie ihr Brot aufgegessen hat, blickt sie alle der Reihe nach an, dann geht ihr Blick nach oben und sie sagt so leise, dass die Großeltern eine Hand ans Ohr legen müssen: „Der Bruno und ich – wir haben uns heute verlobt... Und zum nächsten Weihnachtsfest – nicht wahr, Bruno? – zum nächsten Weihnachtsfest wollen wir dann heiraten...“
„Verlobt?“, fragt die Großmutter sprachlos, die es nicht fassen kann, was die Regina Stieglitz verkündet. Sie schaut zum Großvater hin, als bräuchte sie von ihm Bestätigung.
Das Mädchen nickt. „Ja, verlobt... Der Bruno und ich...“
„Hat er deshalb Schnaps getrunken und den Gottesdienst vergessen?“
„Nein, nein. Er hat vom Schnaps probieren sollen, ob der gut ist.“
Über diese Nachricht schüttelt die Großmutter immerzu ungläubig den Kopf und seufzt wieder, und sie weiß nicht, was sie anfangen soll. Der Großvater schiebt die Karbidlampe einige Male auf dem Tisch hin und her, dann meint er: „Ihr habt euch also verlobt, gut und schön. Und heiraten wollt ihr auch bald. Auch das ist zu verstehen.“ Er wendet sich an den Bruno. „Wie