Einmal im Jahr die Sintflut ebook. Alana Maria Molnár

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Einmal im Jahr die Sintflut ebook - Alana Maria Molnár

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verhängt. Damit Großvater keinen Schrecken bekomme, wenn er in den Spiegel schaut, sagen sie. Dann kann er also doch aufstehen, denke ich mit heimlichem Triumph, er tut nur so, als wäre er tot.

      Am selben Nachmittag bringen vier Männer eine große Holzkiste mit Goldverzierung und legen Großvater hinein und er läßt das alles mit sich geschehen. Über Nacht liegt er darin. Am nächsten Tag kommen viele Menschen und der Priester und tragen Großvaters Sarg auf den Friedhof. In ein tiefes Loch wird die Kiste hinuntergelassen und die ausgehobene Erde darübergeschaufelt. An einem Ende des Hügels, aus der Erde entstanden, die nicht mehr in das Loch hineinpaßt, stecken sie ein Holzkreuz mit goldenen Buchstaben.

      Vater sagt, daß der Name von Großvater darauf steht und die zwei Zahlen bedeuten das Jahr, in dem er geboren wurde und das, in dem er gestorben ist.

      Mein Großvater, József Márton, der Vater meines Vaters, ist mit 59 Jahren gestorben. Er hat von 1897-1956 gelebt.

      Großmutter geht jetzt jeden Tag auf den Friedhof und ich gehe mit, helfe ihr Blumen auf Großvater zu pflanzen und beim Gießen bin ich besonders eifrig. Es könnte ja sein, daß er aus den Blumen herauswächst. Obwohl ... ich habe es mit eigenen Augen gesehen, wieviel Erde sie über ihn geschaufelt haben.

      Vater und Mutter kriegen heraus, daß Großmutter mich im zarten Alter von vier-fünf Jahren zu den Totenwachen mitnimmt.

      »Und jetzt schleppt sie das Kind auch noch jeden Tag auf den Friedhof«, murrt Vater.

      »Sie geht freiwillig mit«, versucht Mutter zu schlichten, Vater aber läßt sich nicht mehr bremsen. Er flucht, daß das zarte Grün der Bäume im Garten errötet.

      »Sie machen das Kind noch völlig fertig, mit Ihrer Gottanbeterei und mit dem ganzen Kirchenhokuspokus«, beschimpft er die Großmutter.

      Die Höflichkeit seiner Generation, und das nicht nur in einem kleinen Dorf wie unseres, schreibt das Siezen der Eltern vor. Diese Ehrerbietung ist für Vater aber kein Hinderungsgrund, um mit seiner Mutter abzurechnen. Von der Kirche hält er nichts, von den verlogenen Pfaffen noch weniger und das Gotteshaus habe er seit seiner Eheschließung nicht mehr betreten. Worauf er stolz sei.

      Die Hochzeit meiner Eltern fand im Kriegsjahr 1944 statt, in einer idyllischen kleinen Kapelle in Buda, von der Vater später mit mehr Wohlwollen spricht als jetzt von der Kirche im allgemeinen. Er ist ein überzeugter Atheist, betont er bei jeder Gelegenheit.

      »Ein Ungläubiger«, sagt Großmutter verächtlich.

      »Was ist ein Ungläubiger, Großmutter?«

      »Das ist einer, der nicht an Gott glaubt und nicht betet und nicht in die Kirche geht. Dafür wird Gott ihn strafen.«

      Großmutter sät manch unguten Samen in meinen aufnahmebereiten Kindesacker. Es kostet mich in Erwachsenenjahren viel Mühe, die vielen Kukuckspflanzen von den eigenen zu unterscheiden. Aber Großmutter sät auch eine Menge Praktisches. Das Nützliche allerdings ist nicht geistiger Natur. Großmutter ist die Hüterin von Traditionellem und Wichtigem, sie kann fast alles, was man mit zwei Händen bewerkstelligen kann und schenkt großzügig ihr Wissen der Enkelin.

      Die Mutter meiner Mutter starb, als Mutter sechs Jahre alt war und die Stiefgroßmutter, die nur ein kurzes Gastspiel bei uns gab, war eine alte Hexe und geisterte eine ganze Weile nur als böses Gespenst in den Erzählungen meiner Mutter. Leibhaftig erscheint sie erst später auf der familiären Bildfläche.

      Dörfliche Idylle

      Der Ort, wo sich das Bisherige und fast alles Spätere abspielt, ist ein Dorf im Nordosten Ungarns. Unser Dorf ist viel größer als andere in der Gegend. Die anderen bestehen nur aus einer langen Hautpstraße: Man fährt an dem einen Ende hinein, dann immer geradeaus und wenn das zweite Ortsschild im Blickfeld auftaucht, ist man auch schon wieder draußen.

      Unser Dorf hingegen hat ein ganzes Gespinst aus Straßen und Gassen, die allesamt nach Dichtern und Freiheitskämpfern der zahlreichen Unabhängigkeitsbewegungen Ungarns benannt sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg auch nach den Helden des Arbeitskampfes und politischen Größen der jüngsten Geschichte. Die Hauptstraße, die genauso heißt wie alle Hauptstraßen der umliegenden Dörfer, ist die einzige asphaltierte, die anderen sind nur notdürftig befestigt. Kopfsteinpflaster gibt es bei uns nicht, größere und kleinere Kieselsteine ragen aus dem sandigen Boden hervor und rütteln die Pferdewagen ordentlich durch. Mit denen befördern die Bauern Heu, Mist, Saatgut, Korn, Mais, Kartoffeln und außerordentlich selten Ausflügler ins Grüne.

      Glücklich ist, wer auf einem mit Heu und Stroh beladenen Wagen mitfahren darf. Der kommt sich vor wie ein König auf dem Thron, der obendrein noch auf vier Rädern von meistens zwei Pferden gezogen wird. Nur hin und wieder steigt der Dampf von frischen Pferdeäpfeln nach oben, aber das kann die Nase der Wagenmajestäten nicht beleidigen, denn gegen soviel duftendes Heu behauptet sich der Roßapfeldunst nicht lange; er ist im Nu auf und davon. Verflogen.

      An den Hängen von zwei Gebirgen, Ausläufer der Karpaten, gedeiht ein guter Wein, der den Charakter der Umgebung bestimmt. Die meisten Bauern besitzen Weinfelder und große kühle Weinkeller in den traditionell gebauten, langgezogenen Landhäusern. Die meisten haben eine überdachte, mit einer meterhohen Mauer eingegrenzte und mit Säulen unterteilte Veranda, tornác genannt. Davor rankt bis zum Dachfirst Wein hoch, den man gleich zum Essen ernten kann, ohne auf die Felder zu gehen.

      Der Wein spielt in unserer Gegend die Hauptrolle. Vom frühen Frühjahr bis zum Spätherbst werden die Rebstöcke gehätschelt, beschnitten, hochgebunden, vor Schädlingen geschützt, und der Boden wird zwischen den Reihen regelmäßig aufgelockert. Die Tage nach der Blüte, wenn die Beeren ansetzen, sind heikel, besonders, wenn es Spätfröste gibt. Ein stetiger Grund zur Sorge ist ein zu feuchter, warmer Sommer. Und wenn die ersten Trauben zu reifen beginnen, beten die Bauern, daß das Wetter bis zur Lese sonnig und trocken bleiben möge. Soviel Fürsorge lassen sie ihren Kindern selten angedeihen.

      Auch nach der Ernte wird der Wein mit viel Aufmerksamkeit bedacht, wenn die Trauben gepreßt und der junge Wein in den großen Holzfässern gärt. Dann darf man nur mit einer brennenden Kerze in den Keller. Wenn die Flamme erlischt, empfiehlt es sich, schleunigst an die frische Luft zu gehen. Manch benebelter Winzer oder unbedachtes Kind überlebt eine solche Exkursion in den Hades der Weinkeller nicht.

      Nachdem der junge Wein sich abreagiert hat, wird er domestiziert. Das ist die Hohe Schule des Kelterns. Hierbei entscheidet es sich, ob aus der Ernte des jeweiligen Jahres Weinessig oder ein Qualitätswein wird. Großonkel János keltert gewöhnlich Weinessig, behaupten Großvater und Vater einvernehmlich, und wenn dieser hin und wieder eine glückliche Hand an den Wein anlegt, kommt bestenfalls eine trübe hefige Brühe dabei heraus, bei der man die nachträgliche Zuckerung herausschmeckt. Großvater hatte mit Vergnügen über den Wein seines Bruders gelästert, dessen Kaufkundschaft hauptsächlich aus der oberen Region, aus dem Norden des Landes kam. Das waren Bergleute, die keine Ahnung von echter Qualität hatten.

      Großvater bekam regelmäßig Besuch von Freunden, wenn der junge Wein bereits genießbar war. Er hatte im Spätherbst und Winter erstaunlich viele Freunde. Mit ihnen verschwand er am Vormittag im Weinkeller, tauchte vergnügt und mit einer verräterisch roten Nase zum Mittagessen auf, um danach wieder einen Ausflug in Gesellschaft in die Unterwelt zu wagen. Am Abend waren Großvater und Freunde nicht mehr ganz sicher auf den Beinen und kamen sie von außerhalb, konnte man ihre Rückreise nicht verantworten. Also blieben sie zum Frühstück am nächsten Tag. So erzählt es immer wieder Großmutter.

      Unser Weinkeller,

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