Einmal im Jahr die Sintflut ebook. Alana Maria Molnár

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Einmal im Jahr die Sintflut ebook - Alana Maria Molnár

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Auf den oberen Treppenstufen und einer Ablage überwintern die Geranien und von der gewölbten Decke hängen die gebündelten Knollen von Dahlien und Gladiolen. Auf halber Höhe des Treppenabgangs ist der kleine Kartoffelkeller. Hier hätten sich die Frauen in den letzten Kriegstagen versteckt, erzählt Großmutter, sie hatte man für ein paar Tage eingemauert. Und damit sie nicht erstickten, hatte man ein Loch durch die Decke des Kellers zur Kornkammer geschlagen, und ein Lüftungsrohr eingeschoben. Das Loch dort ist heute noch zu sehen.

      Die Straße, in der unser Haus steht, hat zwar einen amtlichen Namen, sie wurde nach einem berühmten Dichter benannt, trotzdem kennt sie jeder im Dorf nur als Rübenzeile. Die Mártons stammen ursprünglich aus der ungarischen Tiefebene und haben dort offenbar Rüben angebaut. Ob Zucker- oder Futterrüben, das weiß niemand mehr oder will niemand es genau wissen; Wein zu kultivieren ist eine weit höhere Aufgabe als sich mit gewöhnlichen Rüben abzugeben. So erinnert nur noch der Spitzname an die einstige Hauptbeschäftigung meiner Vorfahren.

      Vor fast allen Häusern der Straße steht die kleine Bank, der Ausruh- und Ausschauplatz der Alten. Am Sonntagnachmittag sitzt vor jedem Haus ein altes Mütterchen in Schwarz oder ein alter Mann mit blankgeputzten Stiefeln und Hut und lassen sich von den Vorbeigehenden grüßen.

      »Ruhen Sie sich aus, Onkel János oder Tante Teréz?« fragen sie. Und obwohl sie sehen, daß die Alten offensichtlich nichts anderes tun als dort zu sitzen und sich auszuruhen, empfiehlt es die Höflichkeit, danach zu fragen. Vielleicht auch noch nach der werten Gesundheit, wobei der Fragende sich etwas mehr Zeit für die Antwort der Alten nehmen sollte, denn das Thema kann mit zwei, drei Sätzen nicht abgehandelt werden. Die kleine Bank der Alten ist wie ein Logenplatz im Theater, den man sich mit jahrzehntelanger mühevoller Arbeit verdienen muß. Und so kommt es, daß die Alten zwar nicht mehr viel in Haus und Garten tun können, von den Jüngeren bei wichtigen Entscheidungen dennoch gefragt werden: »Wie denken Sie darüber, Vater oder Mutter?«

      Großmutter wird von meinen Eltern nicht gefragt, aber sie gibt ihre Kommentare auch ungefragt ab. Nach Großvaters Tod ist sie jetzt das altersmäßige Oberhaupt der Familie. Jedenfalls meint sie das und benimmt sich auch so.

      »Was mischen Sie sich überall ein?«

      Vater ist über Großmutters ungebetene Ratschläge ungehalten. Beleidigungen fliegen durch die Luft, vom Vater zur Großmutter hin und von der Großmutter zum Vater zurück. Vater flucht, Großmutter weint, Mutter versucht zu schlichten und obwohl sie Vaters Meinung ist, steht sie ihm nicht bei. Großmutter zieht sich zurück. Sie geht in ihre Wohnküche. Auf einem kleinen weißen Schränkchen, das früher als Ablageplatz für den Wassereimer diente, hat sie sich einen Hausaltar aufgebaut. Drei in zarten Farben bemalte Heiligenfiguren aus Biskuitporzellan stehen darauf und zwei hohe schmale Glasvasen, die immer mit Blumen gefüllt sind. Über dem Altar hängt ein kleines Holzkreuz. Großmutter kniet davor und betet. Anschließend beschwert sie sich, daß ihre Knie weh tun. Nach kurzer Zeit kommt sie mit geröteten Augen, aber gutgelaunt wieder heraus.

      »Ihr habt die Ziege wieder nicht rechtzeitig eingesperrt«, bemerkt sie trocken und verschwindet im Garten.

      Vater flucht wieder, weil er weiß, was das bedeutet: Die Ziege ist, da das Gartentor offensteht, wieder da drin gewesen und hat zum zigstenmal seine neue Weinzüchtung abgefressen. Merkwürdigerweise rührt das Tier nichts anderes an als diesen einen Rebstock mit den rötlichen Knospen, der solange die Ziege da ist, kaum eine Chance hat, stattliche Blätter, geschweige denn Früchte anzusetzen.

      Die Enten sind tot

      Mutter hat sich in den Kopf gesetzt, Enten großzuziehen. Sie überredet Vater, gleich fünfzig Küken zu kaufen. Der Hof ist groß genug, zu fressen haben sie auch. In den ersten Wochen bekommen sie gemahlene Maiskörner mit kleingeschnittenen Brennesseln und etwas Wasser vermischt. Die Brennesseln wachsen im Wassergraben hinter dem Haus.

      Der Graben, Flachsdeich genannt, dient zum Einweichen von Flachsgarben. Wenn sie lange genug im Wasser liegen, kann man sie ausschlagen. Dabei lösen sich die Fasern, die sich - gesponnen - als Kettfäden beim Weben nützlich machen. Ein erbärmlicher Gestank überzieht den Graben und die Umgebung, aber hier wachsen die kräftigsten Brennesseln. Die Hände in Lappen gewickelt, gehen wir mit Großmutter Brennesseln schneiden.

      »Schon wieder so eine neumodische Idee von deiner Mutter«, sagt sie. »Was muß sie jetzt auch noch Enten großziehen, hat sie nicht genug zu tun?«

      Großmutter beschwert sich bei mir über Mutter und Mutter über Großmutter. Ich bin der Abladeplatz für beide, stehe dazwischen und kann mich nicht entscheiden, wer von den beiden recht hat.

      Die Entlein gedeihen gut, werden zusehends größer. Niemand hat gemerkt, wann sie ihre gelben Flaumen gegen das weiße Federkleid getauscht haben. Ihr Appetit wird immer größer, und sie watscheln jedem erwartungsvoll entgegen, der den Geflügelhof betritt.

      An einem Morgen kommt Mutter kreidebleich in die Küche. »Alle Enten sind tot«, sagt sie. »Es war bestimmt der verdammte Köter von Onkel Józsi.«

      Der Onkel vom Nachbarhof ist ein entfernter Verwandter von Großvater. Er hält einen reinrassigen braunen Jagdhund, der hin und wieder, wenn er ein Loch im Zaun zwischen den beiden Gärten entdeckt, gerne die Hühner und anderes Vieh erschreckt. Ein verspielter junger Kerl, mit dem ich herumtoben kann, ohne daß er mir etwas tut.

      Der von Mutter ausgesprochene Verdacht hängt in der Luft wie ein Damoklesschwert und wartet darauf, erhärtet oder entkräftet zu werden. Der einzige, der das kann und demzufolge auch muß, ist Vater. Er weiß, daß die Frauen von ihm erwarten, daß er zu Onkel Józsi geht und ihn zur Rede stellt. Vater erhebt sich umständlich vom Frühstückstisch und macht ein paar Schritte in Richtung Küchentür. Dann bleibt er abrupt stehen.

      »Woher weißt du, daß der Hund es war?"«

      »Ich weiß es nicht, ich dachte nur ...«

      »Du solltest nicht denken, sondern nachsehen«, sagt Vater, seiner Wichtigkeit in der Situation bewußt.

      Er geht mit energischen Schritten voraus, um eine Untersuchung vor Ort vorzunehmen. Großmutter, Mutter, mein Bruder und ich können ihm kaum folgen. Die Tür des Entenstalls ist offen, Mutter hatte sie vor Schreck nicht wieder verschlossen. Vater bückt sich, um sich am niedrigen Eingang nicht den Kopf zu stoßen. Gespannt warten wir auf das Ergebnis der Untersuchung. Vater läßt sich Zeit. Schließlich kommt er heraus, er trägt eine Ente im Arm. Dann geht er wieder in den Stall, bringt diesmal zwei Tiere mit und wiederholt den Vorgang einige Male.

      »Haltet nicht Maulaffen feil«, knurrt er, »seht ihr nicht, daß ich Hilfe brauche? Los, packt mit an!«

      Was er vorhat, erklärt er mit keinem Wort, wir können nur raten.

      »Die Enten fühlen sich warm an«, bemerkt Großmutter. »Wenn sie tot wären, wären sie kalt."«

      Vater erwidert nichts auf Großmutters Bemerkung. Als alle Tiere in Reih und Glied unter dem Maulbeerbaum liegen, stellt er den Gartenschlauch an. Mit einem nicht zu starken Strahl bespritzt er die Enten, so wie er im Garten das Gemüse und die Himbeersträucher sprengt.

      Langsam kommt Leben in die Entenreihen. Das Gefieder verklebt und von den zerdrückten Maulbeeren bläulich gefärbt, versuchen sich die Tiere aufzurichten. Torkelnd und schnatternd machen sie die ersten Gehversuche. Die Richtung ist klar: der große Wassertrog. Sie drängeln sich um den Trog, purzeln hinein und versuchen wieder herauszukommen, was ihnen nicht gleich gelingt. Viele Schnäbel tauchen gleichzeitig

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