Sonne am Westufer. Fabian Holting
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»Es wird nicht lange dauern, denke ich.« Nicole nippte an ihrem Cognac. Bessell saß ihr im Sessel gegenüber. Er kam sich mittlerweile vor wie ein Psychoanalytiker, der sich geduldig die Probleme anderer Menschen anhörte und fragte sich, wer wohl demnächst noch alles vor ihm auf diesem Sofa säße. Nicole machte ein besorgtes Gesicht. Er hätte gerne gewusst, was ihr gerade durch den Kopf ging.
»Langsam bekomme ich Angst um mein Leben«, sagte sie nach einer Weile mit dünner Stimme.
»Vielleicht hat der Einbruch ja doch nichts mit dem Tod deines Mannes zu tun.« Sie sah ihn verwundert an.
»Das glaubst du doch selbst nicht.« Sie klang jetzt etwas gereizt. Bessell fiel ein, dass es ja gar nicht so aussah, als ob etwas gestohlen wurde. Es schien nur alles durchsucht worden zu sein. Er hatte Nicole noch nicht gefragt, ob sie etwas vermissen würde.
»Weil nichts geklaut wurde oder?«
»Ja, richtig, soweit ich das überblicken konnte.« Nicole lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander.
»Die Bilder an der Wand und die Musikanlage, allein das hätte sich für den oder die Einbrecher gelohnt.«
»Hattet ihr Geld in der Wohnung?«
»Nur drei oder vierhundert Franken. Sie lagen noch in der Schublade der Boiseriewand im Wohnzimmer, wo ich sie hingelegt hatte. Ich habe gleich sofort nachgesehen. Nicht weil ich mir um das Geld Sorgen gemacht habe, sondern weil ich wissen wollte, ob es ein normaler Einbruch war.« Nicole stöhnte missmutig und Bessell konnte tatsächlich einen Ausdruck von Verzweiflung in ihrem Gesicht ausmachen, so wie es ihm vorher noch nicht aufgefallen war. Sie schien sich ernsthaft Gedanken zu machen. Doch für Bessell hatte die Sache auch eine gute Seite. Jetzt gab es einen Anhaltspunkt dafür, dass mehr dahinter stecken musste, als nur eine Beziehungstat, welchen Grund es auch immer dafür gegeben haben mag. Vielleicht würden Nicole und er damit jetzt als Tatverdächtige ausscheiden.
»Der oder die Mörder müssen etwas von deinem Mann verlangt haben, was er ihnen nicht geben wollte. Aus Zorn darüber haben sie ihn dann erschlagen, und weil sie gehofft haben, er hätte das, was sie haben wollten, irgendwo in der Wohnung versteckt, sind sie noch einmal wiedergekommen, um es sich zu holen.« Nicole sah ihn aufmerksam an. Bessell stand auf, um noch Cognac nachzuschenken. Nicole legte ihre Hand über das Glas und lehnte stumm ab. Bessell schenkte sich daumenbreit ein.
»Hört sich an, wie in einem durchsichtigen Kriminalfilm, aber vielleicht hast du recht.« Nicoles Miene verfinsterte sich von einem Moment auf den anderen.
»Glaubst du, dass sie das, was sie gesucht haben, jetzt bei mir vermuten? Nicole sah bei der Frage nicht zu Bessell auf, sondern spielte nach vorn über den Couchtisch gebeugt mit dem Funkschlüssel ihres Autos, den sie neben das Cognacglas gelegt hatte. Mit dem Zeigefinger drehte sie den etwas klobigen Schlüssel, der an die Form einer bauchigen Flasche erinnerte, scheinbar gedankenabwesend hin und her. Bessell ließ sich Zeit mit der Antwort und blickte einige Sekunden grübelnd in seinen Cognacschwenker, in dem der bernsteinfarbene Weinbrand langsam rotierende Bewegungen vollzog. Vom benetzten Innenrand des Glases lief eine dünne, fast ölig wirkende Schicht hinunter.
»Sie werden sich wahrscheinlich fragen, ob dein Mann dich eingeweiht hat, was es auch immer sein mag. Vielleicht nehmen sie noch direkt Kontakt zu dir auf.« Bessell sah an Nicoles Miene, dass er sie mit dieser Vermutung noch mehr beunruhigt hatte. Dann fügte er hinzu:
»Aber da ihr euch trennen wolltet und sie das vermutlich wussten, werden sie nicht wirklich davon ausgehen, dass du im Bilde bist.« Bessell musste an den BMW denken, den er an dem Abend gesehen hatte. Eigentlich klang das alles wie eine Räuberpistole und schwer vorstellbar. Doch alles, was die Sache erklärlicher gemacht hätte, löste sich in Wohlgefallen auf. Ein Raubmord wäre schrecklich, aber nicht ganz ungewöhnlich gewesen. Doch Favalli hatte gesagt, dass Herrn Hengartner nichts gestohlen wurde unten am Strand. Dann hätte es tatsächlich ein Beziehungsmord sein können, schließlich hatte Nicole allen Grund gehabt, ihren Mann aus dem Weg zu räumen, nicht zuletzt des Geldes wegen, dass sie sonst bei einer Scheidung nicht bekommen hätte. Und jetzt der Wohnungseinbruch, der alles in einem ganz anderen Licht erscheinen ließ. Es klingelte an der Haustür. Nicole fuhr erschrocken zusammen.
»Das wird die Polizei sein«, sagte Bessell ruhig, weil er Nicoles ängstlichen Blick wahrgenommen hatte. Es war tatsächlich die Polizei, ein Streifenpolizist. Sein Kollege näherte sich bereits Nicoles Haustür, die nur angelehnt war. Bessell sprach mit ihm italienisch. Er erklärte, dass jemand drüben in der Wohnung war und alles durchsucht haben musste. Der Polizist fragte, ob sie schon etwas angefasst hätten und ob etwas gestohlen wurde. Nicole kam dazu und sagte freundlich Guten Abend. In ihrem holprigen Italienisch bedeutete sie dem Polizisten mit ihnen gemeinsam hinüberzugehen, um sich alles genau anzusehen. Der zweite Polizist stand vor der Haustür und telefonierte. Als sie näher traten, nickte er ihnen freundlich zu. Da die Polizisten offenbar nur schlecht deutsch verstanden, ließ Nicole Bessell übersetzen. Sie erklärte, dass sie die Haustür ganz sicher abgeschlossen hatte und dass das beim Nachhausekommen nicht mehr der Fall war. Die Haustür war lediglich ins Schloss gefallen. Der Polizist ließ sich von ihr den Hausschlüssel geben. Da er noch keine Handschuhe angezogen hatte, nahm er ein unbenutztes Taschentuch und zog die nur angelehnte Tür wieder ins Schloss. Er nahm eine kleine Taschenlampe aus der Beintasche seiner Hose. Im kleinen Lichtkegel der Taschenlampe betrachtete er das Schloss. Es waren keine Aufbruchsspuren zu erkennen. Dann probierte er den Schlüssel. Drehte ihn mehrere Male hin und zurück und sah dabei horchend in die Luft, so als würde er versuchen, die Zahlenkombination eines Tresors zu knacken.
»Wahrscheinlich war da jemand dran und hat das Schloss nur leicht beschädigt«, sagte er auf Italienisch und sah dabei nur Bessell an, der gleich darauf übersetzte. Der andere Polizist hatte aufgelegt und sagte:
»Favalli wird gleich da sein. Er hat bereits die Spurensicherung verständigt. Sie werden zwei Leute vom Einbruchsdezernat vorbeischicken.« Bessell musste wieder übersetzen. Der zweite Polizist gab ihnen erst jetzt die Hand. Dann gingen sie gemeinsam in die Wohnung. Schweigend betrachteten die beiden Polizisten das Durcheinander. Nicole stand mit verschränkten Armen daneben und blickte bisweilen von einem zum anderen. Auch an der Terrassentür waren keine Aufbruchsspuren zu erkennen, wie der Polizist mit der Taschenlampe in der Hand mit bedeutungsvoller Miene feststellte, nachdem er sie von außen begutachtet hatte. Dann hörten sie Schritte im Flur. Eine Frau und ein Mann traten herein. Sie waren von der Spurensicherung und begrüßten die Anwesenden mit knappen Worten, ohne ihnen die Hand zu schütteln. Die Frau hatte einen Fotoapparat mitgebracht und begann sofort damit, Fotos zu machen. Der Mann verschwand nach einem kurzen Moment wieder und kam kurz darauf mit einem Aluminiumkoffer zurück. Einer der uniformierten Polizisten nahm dies zum Anlass, Nicole und Bessell hinauszubitten, damit die Kollegen von der Spurensicherung ihre Arbeit ungestört verrichten könnten. Als sie auf die Straße hinaustraten, kam ihnen Favalli auch schon entgegen. Er musste unten an der Straße geparkt haben. Er sah sehr müde aus und machte alles andere als ein glückliches Gesicht. Doch er versuchte sich nichts weiter anmerken zu lassen und gab jedem kurz und fest die Hand. Mit dem Hinweis, dass er gleich noch einige Fragen stellen wolle, verschwand er in Nicoles Wohnung, um das Ergebnis des Einbruchs in Augenschein zu nehmen. Nach nur wenigen Minuten stand er wieder draußen auf der Straße. Der Mann von der Spurensicherung hantierte an der Haustür mit einem Pinsel, als Favalli sich Nicole zuwandte.
»Wann haben Sie den Einbruch bemerkt?«
»Als ich vorhin, so gegen halb sieben, nach Hause kam.« Nicole blickte unvermittelt zu Bessell, als wollte sie sich bei ihm vergewissern, dass die angegebene Zeit auch stimmte. Bessell verzog keine Miene.
»Wann hatten Sie die Wohnung