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       Montag, 9. Juni 2014

       Was für ein ätzender Flug. Bin heute in La Paz gelandet. Die Absteige, in der ich nun vorrübergehend wohnen muss, ist schrecklich. Überall sind Wasserflecken an den Wänden. Alles ist karg eingerichtet. Erinnert mich an eine spärlich möblierte Tiefgarage. Ich kann verstehen, dass der Staatsanwalt mich in Sicherheit wissen wollte. Nur warum in Bolivien? Mein Handy musste ich noch vor der Abreise abgeben. Kontakt zu Freunden ist mir strikt untersagt worden. Minnie fehlt mir! Es war schrecklicher, ihr vorzutäuschen, sie verlassen zu wollen. Immer wieder hat mir der Staatsanwalt gesagt, wie wichtig es ist, dass mein Untertauchen so real wie möglich wirken muss.

      Minnie macht einen Tee. Ihre Hände zittern vor Aufregung. Sie fühlt sich Jake so nah wie schon lange nicht mehr. Damals dachte sie, er würde schnell wieder zu ihr zurückkommen. Mit der Zeit hat sie die Trennung letztendlich akzeptiert.

      

       Dienstag, 8. Juli 2014

       Die Zeit steht still. Ich vermisse mein altes Leben, meine gewohnte Umgebung und Minnie! Dieses Tagebuch ist meine kleine Welt geworden. Wenn das weiter so geht, drehe ich noch durch. Einzig positiv: Habe die Freizeit genutzt und mein Spanisch aus der Schulzeit wieder auf Vordermann gebracht. Es reicht jetzt um Unterhaltungen zu führen. Südamerikaner sprechen zum Glück deutlich langsamer als Spanier. Ich bin einsam.

      Draußen wird ist es dunkel. Die ersten Lichterketten leuchten auf. Letztes Jahr brachte Minnie es nicht übers Herz die Weihnachtstage alleine zu verbringen. Dieses Jahr sieht ihr Feiertagsprogramm völlig anders aus.

      Warum hat Jake ihr dieses Tagebuch geschickt? Sie brüht einen weiteren Tee auf, macht es sich im Bett bequem und liest weiter in Jakes Vergangenheit.

      

       Donnerstag, 31. Juli 2014

       Mittlerweile gehe ich in den vielen Gassen der Stadt nicht mehr verloren und habe feste Spazierstrecken. Auch die dünne Luft bei 6000 Meter überm Meeresspiegel macht meiner Lunge nichts mehr aus. Die Menschen sind freundlich. Ich werde oft gegrüßt. Vermutlich, weil ich durch meine beachtliche europäische Körpergröße schnell als Tourist entlarvt bin. Am liebsten esse ich diese Fladen aus Maismehl auf der Avenida los Fernandos. Diese Teigpuffer aus den heißen Tonpfannen haben es mir echt angetan. Auch sonst habe ich mich an das Essen hier gewöhnt. Anfangs wollte ich kein Ziegenfleisch und einheimisches Essen probieren. Minnies Kochkünste fehlen mir sehr. Sie fehlt mir sehr! Es bricht mir das Herz, sie nicht zu kontaktieren. Ich lebe hier gefühlt in technischer Steinzeit. Muss so viele Eindrücke verarbeiten. Die Ereignisse in der Firma. Ständig kreisen meine Gedanken um alles, was im Büro jetzt liegen bleibt. Das stresst mich. Oft bezweifele ich, ob es richtig war, die Bundesaufsichtsbehörde über die fragwürdigen Vertragsabschlüsse der Geschäftsführer zu informieren. Woher hätte ich wissen sollen, dass die Staatsanwaltschaft selbst schon an der Sache dran ist und mich aus Sicherheitsgründen erstmal als einen wichtigen Zeugen am Ende der Welt versteckt?! Ja, ich bereue es. Hätte ich nichts gesagt, wäre mein Leben weiter so, wie es war. Bin traurig. Werde ich Minnie jemals wiedersehen? Was macht sie jetzt gerade ohne mich?

      Sie klappt das Buch für einen Moment zu und schließt ihre Augen. Letztes Jahr war sie Ende Juli mit Freundinnen Fallschirmspringen. Darauf wäre er nie gekommen.

      

       Donnerstag, 04.09.2014

       Mir ist heute etwas Merkwürdiges passiert. Auf dem Weg zum Fladenstand bin ich mit dem Schuh in eine verfaulte Avocado getreten. Während ich mich auf einer Bank um meinen dreckigen Turnschuh kümmerte, tippte mir ein Kind auf die Schulter. Es hatte sein Gesicht mit einem schwarzen Tuch vermummt. Die Größe und kleinen Hände ließen auf ungefähr fünf bis sechs Jahre schließen. Ich habe die Worte jetzt noch in den Ohren „¿Puedo cepillar sus zapato?“ Es wollte meine Schuhe putzen. Ich lehnte dankend ab. Doch es ließ nicht locker. „Mister, por favor!“, sagte es immer wieder. Die Situation wurde mir immer unangenehmer. Auf einmal zog es in Sekundenschnelle eine Trittstufe aus Holz unter dem Mantel hervor. Noch bevor ich was sagen konnte, kniete der kleine Junge auf dem Boden und polierte eifrig meinen Turnschuh. Ich mochte gar nicht hinsehen. Immer wieder schaute ich mich um, in der Hoffnung, dass kein anderer Erwachsener sieht, wie ich mir von diesem Kind die Schuhe polieren lasse. Es hat aber niemanden interessiert.

      Der Gedanke daran, dass kleine Kinder tagsüber Schuhe putzen, statt ihre Kindheit zu genießen ist für sie genauso unbehaglich, wie Jake es mit seinen Worten beschreibt. Sie schüttelt ihren Kopf und blättert um.

      

       Montag, 03.11.2014

       Hatte heute ein Vorstellgespräch an einer der Schulen hier. Letzte Woche habe ich durch den Staatsanwalt erfahren, dass ich noch bis Weihnachten oder so in Bolivien untertauchen muss. Man löse den Fall zurzeit mit Hochdruck, allerdings stehen die besagten Geschäftsführer noch immer unter strenger Beobachtung. So lange dürfe man die Ermittlung nicht gefährden. Als ich dann gestern in der Jugendherberge mitbekam, dass die Schulen in La Paz händeringend Langzeittouristen suchen, die den Kindern für kleines Geld Englisch beibringen, stand für mich fest, dass ich meine ungewollte Lebenssituation in die Hand nehmen muss. Einzige Voraussetzung war, dass man Spanisch und Englisch können muss. Und dass man ab 18 Uhr Zeit hat.

      

       Freitag, 28.11.2014

       Heute hat der Unterricht wieder Spaß gemacht. Ich habe den Kindern einiges über Europas Geschichte erzählt. Pedro kam wie gewohnt zu spät. Ich habe ihn in der Pause beiseite genommen und gebeten, dass er früher losgehen soll. Er schaute mich daraufhin verschüchtert an und entschuldigte sich mehrfach dafür, dass er es zeitlich nicht schafft noch mehr als zwei Stunden für den Schulweg einzuplanen. Aber er werde sich zukünftig bemühen schneller zu gehen.

       Ich war sprachlos. Mit dem Leihwagen brauche ich nur knapp 25 Minuten bis in die Stadt. Nach dem Unterricht habe ich Pedro angeboten ihn zu fahren. Er hat sich so gut er konnte dagegen gewährt. Aber ich habe mich nicht abwimmeln lassen. Der Junge tat mir so leid. Allein der Gedanke daran, dass er um 20 Uhr noch zwei ganze Stunden alleine von der Stadt bis rauf in die verwinkelten Wohnsiedlungen in den höher gelegenen Bergen laufen muss, ging mir einfach nicht in den Kopf. Wie wissbegierig muss ein Kind sein, um solche Anstrengungen auf sich zu nehmen? Auf der Rückfahrt war Pedro ganz still. Zwischendurch gab er mit einer Handbewegung an, wenn ich abbiegen sollte. Er sah auf dem Beifahrersitz des Jeeps klein aus. Seine blauen Spiderman-Turnschuhe mit den leuchtend roten Schnürsenkeln baumelten frei in der Luft vor dem Sitzpolster.

      

       Mittwoch, 17.12.2014

       Heute ist Minnies Geburtstag! Wie könnte ich das vergessen. Ich war neulich drauf und dran, ihr eine Postkarte von La Paz zu schicken. Einfach nur, damit sie weiß, dass es mir gut geht und dass ich sie noch immer über alles auf der Welt liebe. Aber der Staatsanwalt hat es mir mehrfach verboten. Jetzt habe ich schon so lange durchgehalten und möchte es nicht vermasseln. Meine Tage hier ziehen schnell vorbei. Tagsüber bin ich in der Stadt unterwegs und freu mich auf den Unterricht mit den Kindern. Mit Pedro habe ich vereinbart, dass ich ihn zwei Mal die Woche auf dem Weg zur Schule abholen komme. Anfang der Woche war ich früh dran. Die Straßen waren leer. Er stand noch nicht wie gewohnt vor der Haustür. Ich stieg aus um nach ihm zu sehen. In der Hütte, in der er mit seine Eltern und seinen

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