Magic Melanie. Michael Möller

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Magic Melanie - Michael Möller

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Kühlschränkchen, mehr war es ja nicht, aber dieses knapp 50 Zentimeter hohe Kästchen war ein ausgetüfteltes Einbaumodell. In diesen Wohnwagen musste mit jedem Millimeter Raum gerechnet werden. Ohne Werkzeug war da nur schwer etwas zu machen.

      "Onkel Harald!" Seine Werkzeugtasche war ihr eingefallen. Statt einer Antwort hörte sie das Geräusch eines anfahrenden Autos. Melanie musste nicht bei der Tür hinausschauen, um zu wissen, dass es der Passat ihres Onkels war. Typisch! Herkommen, abräumen, den Dreck liegen lassen und wortlos verduften.

      "Ich liiiiebe meine Familie!" schrie sie ihm nach. "Wenn man euch braucht, seid ihr nie da! Und wenn ihr was braucht, wird man euch nicht mehr los!" Sie rief aus dem kleinen Fenster. "Ich will dich nie mehr sehen!" Knallte den Fensterladen zu. Schnaufte. Wunderte sich: Sind das die Mondphasen? Kriegte sie ihre Tage? So leicht war sie doch nicht aus der Ruhe zu bringen! Was hatte sie sich im Ernst vorgestellt? Onkel Harald besaß nun, was er wollte, was ihm zustand. Er war nicht der Mann, der andere danach fragte, ob sie seine Hilfe brauchten. Und bevor sie ihn um etwas bitten konnten, war er meist verschwunden.

      Melanie durchwühlte die kleinen Schubladen in dem selbstgebauten Schrank, der durch eine Plastikvase mit zwei Plastiktulpen in den Rang eines Wohnzimmerschranks erhoben werden sollte. Vergeblich. Sie fand einen Schraubenzieher mit verbogener Klinge zwischen mürben Gummiringen, Rabattmarkenheftchen aus den 5oern und einem Teesieb. Er hatte einen Holzgriff, der erkennen ließ, dass er seltener als Schraubenzieher denn als Meißel benutzt worden war. Die Schrauben, mit denen der Kühlschrank verankert war, waren jedoch so grob, dass Mel keine große Mühe hatte, sie zu lösen. Sie suchte nach dem Stromanschluß und fand stattdessen hinter einer Blende am Fuß des Geräts ein Ventil und eine fadenscheinige Gasleitung. Auch das noch! Sie hatte eine panische Angst vor Gasöfen, sogar vor den gasbetriebenen Campingleuchten mit den blauen Kartuschen. Und Gas hatten sie zuhause so wenig wie einen Boiler. Sie kam sich reichlich verarscht vor. Nehmen Sie das Erbe an? Das war doch nicht die Frage! Bauen Sie das Erbe aus? Verschrotten Sie das Erbe gemäß der Schadstoffverordnung? Füttern Sie Ihr Erbe ein Mäuseleben lang? Ja-ja-ja, verdammt!

      Sie folgte der Gasleitung mit den Augen und konnte sich schließlich draußen, oberhalb der Deichsel des Wagens, überzeugen, dass keine Gasflasche ans System angeschlossen war. Sie dachte dabei an die Bilder, die vor einigen Tagen im Anzeigenblatt zu sehen waren. Eine Gasexplosion zerstört mühelos ein Mehrfamilienhaus. Sie dachte an Mutter. Auf einem alten Hof gab es tausendundeine Möglichkeit, gefährlichen Unsinn zu treiben. Irgendwie gab es ihr immer ein wenig Sicherheit, Philos in ihrer Nähe zu wissen. Er vertrat für sie so etwas wie eine natürliche Vernunft. Er tat nie etwas, was ihm schaden könnte. Hoffentlich war er inzwischen wieder bei ihr. Drinnen brach sie die dünnen Gasrohre einfach ab, was leichter ging als bei Hühnerknochen. Überrascht und verärgert war sie vom Gewicht des Apparates. Oh, Onkel Harald! Gute Fahrt, Alter! Mit großer Mühe nur konnte sie das Gerät bis zum Auto schleppen und schonte es nicht dabei. Wie eine Leiche, schoss es ihr durch den Kopf. Ihr Opa war ein verrückter Kerl gewesen. Liebenswert, diese verrückten Kerle. Aber wenn Verrückte so viel Mühe machen, stößt die Liebe an Grenzen.

      Der R4 ging hinten mächtig in die Knie, aber sie war stolz auf ihr praktisches Gefährt. Sicher wäre der Umzug nach Ulm kein Problem damit. Den Wohnwagen noch verschließen! Sie brachte es nicht über sich, ihn offen stehen zu lassen, wie Opa das immer tat. Sie ging zurück und wollte sich zwingen, die Mäuse zu vergessen. Wieso schaffte sie sowas nie? Etwas vergessen, einfach so! Ein bisschen was von Onkel Harald hätte sie doch gern gehabt! Der Herrgott hatte vergessen, sie mit den ortsüblichen Scheuklappen auszustatten. Blickwinkel 360 Grad. Wie die Fliegen. Sie hoffte inständig, dass sie die Tierchen nicht mehr antreffen würde.

      Und wirklich: Die dunkle Ecke war leer! Kluge Tierchen. Haben gemerkt, dass sie nicht so sehr willkommen sind. Melanie sah noch einmal flüchtig, sehr flüchtig überall nach, schloß aber dann die Wagentür. Ein Schlüssel war nirgends zu finden. So genau mochte sie nicht nachschauen. Womöglich hätte sie dann das Mäusenest aufgestöbert. Schnell weg hier.

      Auf dem Weg zum Auto fühlte sie sich beobachtet. Das passierte immer, wenn sie etwas tat, was man nicht von ihr erwartete, was sie selbst vielleicht nicht ganz in Ordnung fand. Wer da nun saß und ein Auge auf sie warf, wusste sie nie. Ein bisschen Ähnlichkeit mit ihrem Opa hatte die Gestalt vielleicht.

      Melanie verscheuchte die Gedanken und setzte sich trotzig-schwungvoll in ihr Auto. Auf dem Beifahrersitz hatte es sich eine fünfköpfige Mäusefamilie bequem gemacht. Die drei Kleinen schliefen. Zwei größere Exemplare saßen richtig ordentlich in Fahrtrichtung. Die Maus mit den längsten Bartspitzen wisperte: "Nun fahr schon los!"

      Durchgebrannt

      "Ich werde noch wahnsinnig!" schrie Mel. Es klang enttäuschend dumpf im Auto. Sie wollte das Fenster runterkurbeln, tastete an der Tür, fand aber keine Kurbel. Sie war wieder einmal abgefallen. Wütend beugte sich Mel während der Fahrt bis zur Beifahrertür und drehte dort das Fenster einen Spalt herunter. Wollte nochmal schreien, kam sich aber zu blöd dabei vor. Warf nur den Mäusen einen bösen Blick zu und fuhr weiter, die Hände jetzt fest ums Lenkrad geklammert.

      Ich höre Stimmen, dachte sie. Ich fahre kaputte Gaskühlschränke und eine Horde Bonsai-Ratten durch die Gegend. Ich fahre nach Hause und weiß, dass dort noch mehr solche Erbstücke auf mich warten. Ich komme nicht dazu, diese blöde Kurbel festzuschrauben. Ich habe nix als ein Papier, dass mir meine Reife bescheinigt, und will in einem Monat auf eigenen Füßen stehen. Ich trage an jedem Fuß eine Eisenkugel, die jeden Tag schwerer wird. Und es ist überhaupt nicht kindisch, hier zu schreien.

      Und sie schrie. Schrie wie am Spieß. Die Tränen traten ihr in die Augen. Sie konnte die Straße vor sich nicht mehr erkennen. Bremste scharf ab. Stand. Heulte. Weinte wie das Kind, das sie immer noch war. Immer bleiben würde. Kind, Kind!

      "Du hältst den Verkehr auf!" wisperte es von unten. Mel ballte unwillkürlich die rechte Hand zur Faust und schwang sie drohend über den Tieren. Die beiden Großen streckten nur die Köpfchen hoch, senkten sie dann und rückten etwas näher an ihre Brut heran.

      "Tu es nicht. Du würdest es bereuen. Und nun fahr. Wir werden beobachtet." Mel blickte kurz in den Rückspiegel, drehte das Radio an und stellte laut, was da gerade dudelte. Sie fingerte erfolglos nach Taschentüchern. Der Ärmel der Jeansjacke musste herhalten. Er war sowieso fettverschmiert von den Ausbauarbeiten im Wohnwagen. Endlich fuhr sie dann aber doch los und streckte den Stinkefinger energisch aus. Allerdings so, dass die Autofahrer hinter ihr es nicht sehen konnten.

      Die Sonne verdrückte sich hinter den westlichen Hügeln und hinterließ ein rosiges Farbenspiel, das Melanie einigermaßen beruhigte. Trotzig ließ sie den Blick von der engen und kurvenreichen Straße abschweifen, die sie zunächst von Honscheid Richtung Petershagen führte. Tiefe Schatten bildeten sich bereits im jungen Grün der Eichen, die haarige Kuppen auf den Hügeln bildeten. Auf der Höhe kurz vor dem Weiler Ginspert hielt sie auf offener Strecke an, um in Ruhe das Spiel der Lichter auf den Wipfeln zu beobachten. Ein leichter Südwind brachte Bewegung in die Fichtenspitzen und trieb die Wolkenbänder leise vor sich her. Mel öffnete die Tür und atmete tief ein, genoss es, dass dieser elend lange Winter endlich vorbei war. Sie schloss für einen Moment die Augen und merkte, dass auch ihre Kopfschmerzen sich verzogen hatten. Der hartnäckige Dauerschnupfen der letzten Monate hatte sich aufgelöst. Deswegen waren auch keine Tempos mehr im Auto.

      Als sie das Radio ausmachte, hörte sie erst einmal gar nichts mehr, außer diesem verrückten Nachdröhnen der Dire Straits, die Paps immer so gern gehabt hatte. Dann mischten sich piepsige Vogelstimmen hinein, die sie nicht kannte. Bis dann urplötzlich der erste Kranichschrei in diesem Jahr sie elektrisierte. Sie kletterte aus dem Auto, um den Kopf empor zu recken. Gerade rechtzeitig genug, um den Vogelzug noch zu erkennen. Es war nicht die klassische Eins, die jetzt in den Norden zog, sondern ein ziemlich ungeordneter

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