Laborratten. Niels Wedemeyer

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Laborratten - Niels Wedemeyer

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nun einmal seinem Naturell entsprach, fügte er sich in sein Schicksal, ohne sich ein einziges Mal über das ihm zugetragene Studium zu beschweren. Das lag auch daran, dass er in der Biologie Tätigkeitsfelder entdeckte, die seiner Modellbau-Leidenschaft schon sehr nahe kamen. Die relativ neue Gen- und Biotechnologie erwies sich als ideale Spielwiese für Technologiebesessene, fern ab der klassischen Suche nach dem Sinn aller Dinge.

      Hier ging es mehr um handwerkliche Fähigkeiten und weniger um alltagsferne Gedankenspiele. Und das war es, was auch Weinert sofort anzog. Nicht, dass er geistig anspruchsvollen Aufgaben nicht gewachsen gewesen wäre, doch wurde seine zurückhaltende und ruhige Art vielfach als verminderte Auffassungsgabe fehl interpretiert. Die, die ihn besser kennen gelernt hatten, wussten sehr wohl um seine sehr ausgeprägten analytischen und strategischen Fähigkeiten. Nur nutzte er diese so gut wie nie zu seinem eigenen Vorteil. Wer weiß, was Nicolas Weinert hätte erreichen können, wäre ihm der Begriff des Ehrgeizes nicht dermaßen fremd gewesen.

      An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass Ehrgeiz allein nicht ausreicht, um in der Wissenschaft Erfolg zu haben. Man konnte zwar bis zum Umfallen arbeiten und sich beim Chef über Gebühr „Liebkind“ machen, doch normalerweise war nur der experimentelle Erfolg von Wert. Das Schicksal wurde meist schon durch die Aufgabenstellung der Doktorarbeit festgelegt. Diese kam zumeist von einem bereits völlig praxisfernen Professor, der sich üblicherweise das Thema während einer langweiligen Zugfahrt zu einem noch langweiligeren Kongress erdacht hatte. Dem Kandidaten fehlte es üblicherweise an genügend Expertise, um den Sinn oder Unsinn der Aufgabe bereits zu Beginn der Doktorarbeit zu erkennen. Darum schuftete man von nun an drei bis sechs Jahre intensiv, meistens für ein halbes Gehalt, an einem bestimmten Thema, ohne Gewähr auf experimentellen Erfolg oder Titel. Nicht selten stellte sich das Thema dann als komplett realitätsfern, undurchführbar, zu komplex, zu langwierig oder, was für die Promotion noch schlimmer ist, als bereits von anderen bearbeitet heraus.

      Auch Weinert war nicht das große Losglück beschieden als er vor fünf Jahren sein Thema erhielt. Zu seinem Doktorvater, Professor Lamprecht, war er nur gekommen, weil kein anderer Professor der Fakultät ihn nach seiner missglückten externen Diplomarbeit in der Medizin in seinem Team haben wollte. Eine Note 4 für die Diplomarbeit gilt, wie im Falle von Weinert, als ein für alle sichtbares Brandmal. Man schließt daraus, dass die Person ein fauler Hund, ein Idiot oder, schlimmer noch, ein Querulant ist. Auf Weinert traf keines dieser Attribute zu.

      Der Begriff Pech traf es in seinem Fall wohl am besten. Aber wer möchte schon einen Pechvogel an seiner Laborbank stehen haben. Seine durchaus glaubhaften Beteuerungen, er sei während der Diplomarbeit entgegen aller vormals getroffenen Versprechungen der zuständigen Medizinern weder richtig betreut noch unterstützt worden, halfen da wenig. Wie groß seine Verzweiflung war, zeigte allein sein Gang zu Lamprecht. Keiner seiner Kommilitonen wäre freiwillig zu Lamprecht gegangen. Der alte Professor für Physiologie (Stoffwechselkunde) galt aufgrund seiner für Studenten des Grundstudiums viel zu komplexen Vorlesung und seiner hoffnungslos veralteten Praktika im Hauptstudium als unberechenbarer, griesgrämiger Kauz. Sein an Zynismus grenzender Humor waren ebenso berühmt wie gefürchtet. Weinert stand eines Tages mit zittrigen Knien vor Lamprechts Büro.

      Er hatte auf den Rat seiner Kommilitonen gehört, die gesagt hatten, dass Lamprecht nach dem Mittagessen in der Kantine ein wenig ruhiger und verträglicher wäre. Eine halbe Minute nach seinem zaghaften Klopfen, schallte ihm ein alles andere als ruhiges und verträgliches „Herein“ entgegen. Weinert hatte kaum den Kopf zur Tür herein gesteckt und ein zittriges „Ich hoffe, ich störe nicht, Herr Professor“ von sich gegeben, als ihm ein brummiges „Hamse aber“ entgegengeschleudert wurde. Weinert betrat zum ersten Mal überhaupt Lamprechts Büro. Der Raum strahlte nicht die Spur von Wärme aus, war dunkel, da die Fensterläden trotz des herrlichen Sonnenscheins zugezogen waren und enthielt keinerlei Assessoires, die für ein wenig Gemütlichkeit hätten sorgen können.

      Kein Bild an der Wand, keine Pflanze auf der Fensterbank. Der Schreibtisch sowie einer der beiden Gästestühle, aber auch große Teile des Bodens waren übersät mit Fachbüchern und vollgekritzelten Kopien von Fachaufsätzen. Darüber hinaus stank das Büro penetrant nach kaltem Rauch. Dass Lamprecht Kettenraucher war, war allgemein bekannt. Er hatte sogar die Genehmigung der Verwaltung bekommen, während der Vorlesung zu Rauchen. Ironischerweise stand er dabei meistens unter einem großen „Rauchen verboten“-Schild an der hinteren Wand des Hörsaals. Auf Weinert wirkte Lamprechts Büro wie der Vorhof zur Hölle. All dies steigerte nicht gerade seine Hoffnung, seinen bisher recht unglücklichen beruflichen Werdegang zum Besseren zu wenden.

      „Was wollen sie? Die Anmeldungen für das Praktikum sind bereits gelaufen.“, bölkte Lamprecht, ohne die Zigarette aus dem Mundwinkel zu nehmen. Weinert fasste sich und sagte:

      “Ich wollte mich bei Ihnen auf eine Doktorandenstelle bewerben.“ Weinert versuchte, aus der Miene von Lamprecht irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Vergebens. Der alte Professor verharrte wie versteinert auf der anderen Seite des Schreibtisches, während ihm unentwegt Asche seiner Zigarette auf den Pullover fiel. Weinert hätte niemals gewagt, ihn darauf aufmerksam zu machen. Selbst, wenn Lamprecht Gefahr drohte, in Flammen aufzugehen.

      „Ich habe ihre Gesicht schon mal gesehen, kann mich aber nicht erinnern, dass sie mir in den Praktika und Seminaren positiv aufgefallen wären“, brummelte Lamprecht.

      „Aber ich denke auch nicht, dass ich Ihnen negativ aufgefallen bin“, erwiderte Weinert schnell und hatte ad hoc das Gefühl, einen irreversiblen Fehler begangen zu haben.

      „Nein.“, sagte Lamprecht jetzt deutlich aggressiver, „Sie gehören zu der Masse profilloser Studenten, die meinen, sie könnten sich durch das Studium schweigen und hätten durch ihre Belanglosigkeit die Saat für späteren Erfolg gelegt. Aus Angst, zu versagen, machen sie lieber gar nichts, reden jedem nach dem Mund und sind froh, wenn in den Experimenten der Praktika das rauskommt, was alle für das Wahrscheinlichste halten. Ich gebe ihnen kostenlos einen kleinen Rat mit auf den Weg: Entweder zeigen sie als Wissenschaftler Profil und Rückrat oder sie verschwinden mit den meisten ihrer Zunft in einem Ausbilungsseminar für Taxifahrer oder Versicherungsvertreter.“

      Weinert stand wie gelähmt in dem muffigen Büro, ohne zu wagen, sich auf den noch freien Gästestuhl zu setzen, und sagte mit einer alles anderen als selbstbewusstenStimme „Ich lasse mir meinen Glauben an meinen Beruf nicht von Ihnen mies machen“. Es war mehr Verzweiflung als Mut. In Erwartung eines Wutanfalls des Alten ging Weinert spontan einen Schritt zurück und spannte sämtliche Muskeln an, die er hatte (es waren übrigens nicht sonderlich viele). Aber Lamprecht lehnte sich gelassen in seinen abgewetzten Chefsessel zurück und meinte nur:

      „Welch Überraschung. Sie scheinen ja sogar etwas Saft in den Knochen zu haben. Können Sie mir noch mal sagen, warum Sie mich belästigen?“

      „Ich bin auf der Suche nach einer Promotionsstelle.“

      „Ach. Und dann kommen Sie zu mir und gehen nicht zu all den Speerspitzen der Forschung in dieser Fakultät, deren Forschung und Technologie angeblich so ‚sophisticated’ ist? Lassen Sie mich raten, Sie waren schon bei allen und sind überall rausgeflogen. Haben Sie in Ihrer bisherigen Karriere zufällig schon mal Zentrifugen geklaut, sich Technischen Assistentinnen unsittlich genähert oder Forschungsgelder veruntreut?“

      Obwohl keine dieser Annahmen im Entferntesten zutraf, fühlte sich Weinert eigenartigerweise ertappt. Es gab hier nichts mehr zu verschleiern oder zu beschönigen, zumal er nun keinerlei Chance mehr sah, bei dem Alten unterzukommen.

      „Weder noch“, antwortete er, „Ich habe meine Diplomarbeit in der Medizin versägt, weil ich mich naiv auf Leute verlassen habe, die mir vorgaukelten, mehr zu wissen als ich. Dem war leider nicht so. In Kurzform: Hier traf wissenschaftliches Unvermögen auf schlechte Laborbedingungen und ungeeignetes Probenmaterial.

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