Vom Hohen und Tiefen und dem Taumel dazwischen. E. K. Busch

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Vom Hohen und Tiefen und dem Taumel dazwischen - E. K. Busch

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Und dann blickte Toni wieder in dieses Gesicht in der Dunkelheit, betrachtete diese starren Züge, die ohne Ausdruck waren, ohne Gefühl. Eine entsetzliche Leere. Unerwartet traf sie der Blick seiner Augen. Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Einen Moment noch schien Toni außerstande, sich diesem Blick zu entziehen, dann wich sie eilig zurück hinter den Vorhang.

      20. Februar - Von einer Blume in der Wüste

      I

      «Frida hat keinen Freund», erklärte Elena. «Du kannst dir absolut sicher sein, dass ich diesbezüglich bestens informiert bin.» Sie grinste, blickte dann wieder in den kleinen Spiegel an der Wand und tuschte sich weiter die langen Wimpern.

      Toni saß auf einem der Sitzkissen in Elenas Zimmer und nippte an einer heißen Schokolade.

      «Und du willst dir wirklich nichts anderes anziehen?» Elena schenkte Toni einen kritischen Blick von der Seite. «Immerhin ist es Fridas Geburtstag.»Toni sah an sich hinunter. Sie fand, dass an einem schwarzen Kleid nichts auszusetzen war.

      «Du siehst ein bisschen nach Beerdigung aus», erklärte Elena und lächelte versöhnlich. «Hast du nicht zumindest etwas Kürzeres?»

      «Ich mag keine Strumpfhosen.» Damit schien die Sache für Toni vollständig geklärt.

      Einen kurzen Augenblick noch musterte Elena ihre Freundin in dem schlichten, schwarzen Kleid, welches selbst im Stehen fast den Boden streifte. Die dunklen Locken waren zu einem dicken Zopf gebunden, der ihr seitlich über die Schulter fiel. Toni war wie üblich ungeschminkt und ihr Teint winterlich blass, dass die dunklen Augen ein wenig ungesund und schattig in den Höhlen lagen.

      «Vielleicht liegt es auch nur an deinem Gesichtsausdruck», kommentierte Elena abschließend, die offensichtlich jegliche Hoffnung aufgegeben hatte. Darauf vollendete sie ihr sorgfältiges Make-up mit ein wenig rosafarbenem Lipgloss. Derartige Rituale beging Elena mir einer beinahe religiösen Feierlichkeit. Sie presste ein paar Mal die Lippen aufeinander, wandte sich dann von ihrem Spiegelbild ab und posierte in ihrem kurzen, lavendelfarbenen Kleid scherzhaft in der Mitte des kleinen Zimmers. «Und?», fragte sie zum Abschluss und drehte sich einmal um die eigene Achse.

      Toni war sie sich nicht sicher, ob sie den Weg zu Fridas WG auch alleine auf Anhieb gefunden hätte. Sie wusste lediglich, dass es sich um eine der schmalen Gassen handelte, die in südlicher Richtung von der Hauptstraße abzweigten, und dass sich ein etwas dubioses Antiquitätengeschäft in derselben Straße fand, das weniger Antiquitäten als eine Menge unheimlichen Plunder feilbot. Dabei hatte Toni eigentlich einen sehr guten Orientierungssinn, der ihr selbst in Rom, Paris oder im tiefsten Wald noch niemals den Dienst versagt hatte. Es schien ihr also eher, als hätte es eine besondere Bewandtnis mit Fridas Wohnung. Als fände sich diese in einer Art Bermuda-Dreieck. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass sich Toni dort in der muffigen Wohnung immer ein wenig unwohl fühlte. Schließlich war Frida vor allem Elenas Freundin und im Grunde nicht mehr als eine flüchtige Bekannte.

      Elena war guter Laune und ihre beschwingten Schritte hallten zwischen den Häuserwänden wieder. Nach Tonis unvermittelter Flucht aus der WG hatten sie und Raphael noch einen äußerst erfreulichen Nachmittag miteinander verbracht. Zumindest wenn man Elenas überschwänglicher Berichterstattung Glauben schenkte. Das Ganze lag nun bereits zwei Wochen zurück und Raphael und sie waren seitdem ein paar Mal in der Mensa essen oder abends gemeinsam feiern gewesen. Es war recht eindeutig, dass sich ihre Mitbewohnerin mittlerweile Hoffnungen machte, was Raphael und sie betraf, auch wenn sie das natürlich niemals zugegeben hätte. Stattdessen betonte sie immer wieder, es handele sich um eine rein freundschaftliche Beziehung. Schließlich hätten sich Raphael und sie mit Ausnahme dieses einen Freitagnachmittags immer auch in Gesellschaft weiterer Bekannter befunden. Zwar war Toni nicht ganz klar, in wie fern diese Gesellschaft ein Beweis oder Gegenbeweis sein konnte für irgendetwas, doch war es auch nicht ihre Art, derlei argumentative Mängel anzuprangern. Und vielleicht hatte sie auch wirklich keine Ahnung von diesen Dingen. Zudem konnte sie wirklich nicht sagen, ob Elena nun wirklich Gefallen an Raphael fand, oder ob sie nicht viel mehr Gefallen daran fand, Gefallen an ihm zu finden. Denn seit sie Elena kannte, schwärmte diese immer für irgendeinen Kerl. Sie schien dabei ein Faible zu haben für hübsche Gesichter und eine leichtfüßige Unentschlossenheit. Toni dagegen vermochte sich nicht zu erinnern, selbst auch nur ein einziges Mal für irgendjemanden geschwärmt hätte. Jegliche Glorifizierung war ihr suspekt. Im Gegensatz zu Elena konnte sie sich auch nicht vorstellen, dass zwei Menschen für einander bestimmt waren auf irgendeine Art. Dies schien ihr ein metaphysisches Gerücht, genährt von rührseligen Büchern und Filmen.

      Toni war sich erst sicher, dass man in die richtige Gasse eingebogen waren, als man das Antiquitätengeschäft passierte und sie einen Blick in die dunkle Auslage werfen konnte. Beim Anblick einer alten Porzellanpuppe erschauerte sie unwillkürlich. Mehrere Fenster der WG waren auf die Straße hin geöffnet und es drang das dumpfe Pulsieren eines Basses hinaus auf die Gasse. Auf Elenas Klingeln ließ man sie ins Haus und kurz darauf betraten die beiden jungen Frauen die Wohnung.

      Nachdem man sich einen Weg zu Frida in die Küche gebahnt und ihr herzlich zum 24. Geburtstag gratuliert hatte, suchte Elena recht entschlossen nach Raphael, auch wenn sie diese Suche als einen beiläufigen Spaziergang zu tarnen versuchte und hier und da mit einem alten Bekannten ein paar Worte und ein Lächeln wechselte.

      Toni fühlte sich unbehaglich in Elenas Schlepptau. Wie ein Fisch, der einem Kutter folgte wegen der Speisereste, die hin und wieder über Bord geworfen wurden. Sie ließ sich daher unmerklich zurückfallen, bis sich der Abstand zu ihrer Mitbewohnerin soweit vergrößert hatte, dass niemand mehr eine Verbindung zwischen ihnen beiden hergestellt hätte. Nur aus der Ferne noch wurde sie Zeuge Elenas Triumphs: Sie hatte Raphael schließlich in seinem Zimmer entdeckt, wo er in einem von zwei abgewetzten Ohrensesseln saß. Das Bild erinnerte Toni an einen dieser uralten Schwarzweiß-Krimis.

      Raphael unterhielt sich angeregt mit einem Kumpel, hatte die Beine dabei lässig übereinandergeschlagen. Es fehlte lediglich eine rauchende Pfeife in seinem Mundwinkel.

      Ungläubig sah sie dabei zu, wie sich Elena nach einer flüchtigen Begrüßung auf die Armlehne neben ihn setzte. Da hockte sie nun in ihrem lavendelfarbenen Kleid wie ein zarter Vogel auf der Stange. Nur beim Lachen zeigten sich spitze Zähne. Toni wandte sich fast ein wenig ärgerlich ab von der Szene. Sie beschloss sich auf einen Streifzug durch die Wohnung zu begeben. Sie hatte immerhin ein Glas Caipirinha in der einen und einige Salzstangen in der anderen Hand und wäre somit für einige Minuten versorgt.

      Jeder der drei Mitbewohner schien seine eigenen Freunde und Bekannten eingeladen zu haben und so war eine recht bunte Truppe zustande gekommen. Toni erkannte sogar einen Kommilitonen, traute sich jedoch nicht ihn anzusprechen. Sie war sich auch nicht sicher, ob er sie ebenfalls erkannt hatte. Im Hörsaal war es dunkel und es saßen dort viele Studenten. Man wechselte höchstens ein paar Worte mit seinen Sitznachbarn. Mit Namen kannte sie selbst deshalb nur ein Dutzend ihrer Kommilitonen. In den Übungsgruppen trat Toni zudem sehr zurückhaltend auf. Sie rechnete nur dann vorne an der Tafel, wenn der Tutor sie dazu nötigte. Sie sprach nicht gerne vor vielen Menschen, selbst wenn man ihre elegante Lösung lobte. Meist saß sie mit Benjamin und Dominik in der letzten Reihe. Wenn es schwierig war, machten sie sich eifrig Notizen. In der Hoffnung, später einmal aus diesen schlau zu werden. War es einfach, hörten sie nur halbherzig zu. Dann trugen Benjamin und Dominik eines ihrer kindischen Turniere aus und malten im Wechsel Kreise und Kreuze aufs Papier, während Toni gedankenlos aus dem Fenster starrte oder frühzeitig nach Hause ging, um dort in Ruhe ihre Aufgaben zu lösen. Im Gegensatz zu ihren Kommilitonen lernte und rechnete sie immer allein.

      Nachdem Toni ihren ersten Caipirinha ausgetrunken hatte, bereitete sie sich nach Gutdünken einen zweiten zu.

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